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Transthuringia. Erfahrungsbericht einer transidenten Thüringer Lehrerin

Endlich Ferien. Es ist heiß und ich kann den „Sale“-Angeboten nicht widerstehen. „Ach, Sie sind doch so schön groß und schlank, die Dame“ meint die Verkäuferin, als ich frage, ob das hinreißend schöne schulterfreie Sommerkleid mir wirklich steht. Ein paar Tage vorher habe ich für mein Ensemble zum Abschlussball unserer Schule ähnliche Komplimente bekommen. Vor allem von Schülerinnen des Abschlussjahrgangs – keine Veranlassung mehr zu schmeicheln. Meine Wahrnehmung hat sich von der Frage „ob“ schon lange verschoben hin zu „wie“ die Frau gesehen wird und ich stehe und drehe und  wende mich genauso vor dem Spiegel wie so viele andere Frauen.

„Das Fotos stimmt nicht mehr“ sagte ich kürzlich zu einer Polizistin, als ich mich ausweisen musste, weil meine Straße wegen einer Veranstaltung nur noch für Anwohner zugänglich war. Warum ich das sagte? Weil ich transident bin.

Transident (auch „transgender“) zu sein bedeutet, dass die geschlechtliche Identität und der bei der Geburt zugewiesene Geschlechtseintrag nicht übereinstimmen. Sagt das Gehirn „Mädchen“, aber der Körper „Junge“, spricht man von Transmädchen bzw. Transfrauen. Im umgekehrten Falle spricht man von Transjungen bzw. Transmännern. Auch wenn die Ursachen der Entstehung von Transidentität noch weiterer Forschung bedürfen, so steht eins fest: Es ist nichts, wofür man sich „entscheidet“, „verführt“  oder wozu man „umgewandelt“ werden kann. Es gehört zur Vielfalt menschlicher Identitäten, es ist normal und nichts, dessen man sich schämen muss. Ganz normale transidente Kinder werden in ganz  normalen Familien geboren.

Es ist auch nichts, dass aus einem Transmenschen „heraus“ gebracht werden kann. Nicht durch Schläge, nicht durch Spott und nicht durch „erzieherische Maßnahmen“.

Ich wünschte mir, meine Eltern und vor allem meine Lehrer und Erzieher hätten diese Kenntnisse schon damals in den 1960er Jahren gehabt. „Sei kein Mädchen“, „So etwas macht ein Junge nicht“ und später „So was wie Du soll mal unser Land verteidigen“ waren Dinge, die mir Verwandtschaft und Pädagogen vorwurfsvoll sagten. Schon als Kind wurde mir klar gemacht, dass mit mir etwas nicht stimmt, dass ich nicht genüge und dass ich anders bin (obwohl ich lange nicht wirklich wusste, was „anders“ an mir war), aber diese Andersheit war falsch und schlimm. Etwas, für das ich mich bis in meine 50er hinein zu schämen lernte.

Heute sind wir weiter gekommen: Transidentität ist mittlerweile nicht mehr so ein Tabuthema und eine kurze Recherche im Internet (vorausgesetzt, man wertet die Suchergebnisse kritisch) vermitteln viele  Fakten. Es gibt Biografien von Transmenschen zu lesen, einige auch auf Deutsch. In der  gesellschaftlichen Darstellung und Wahrnehmung von Transmenschen stehen wir an einem Wendepunkt: Hin zur Normalität.

Ganz besonders meine Schüler gaben und geben mir diesbezüglich unendlich viel Mut und Zuversicht. In jeder meiner Klassen habe ich mit den Schülern, nachdem ich vorzeitig fremdgeoutet wurde, darüber gesprochen, was es bedeutet, transident zu sein und von meinem Leben berichtet. Authentisch, offen und ehrlich. Keinerlei Ablehnung, kein Kichern, kein Tuscheln, keine Schimpfwörter. Viele positive  Reaktionen, Anerkennung und Respekt – gerade für diese Offenheit. Auch in Fachschaften, bei Bekannten und Freunden erwies sich, dass solche Berichte und Informationen aus erster Hand Verständnis und Akzeptanz zeitigen.

Das zweite Schulhalbjahr bestätigte nach der ersten Aufregung eines: Normalität. Meine Schüler nennen mich „Frau K.“ und so steht es auch in den Stundenplänen. Seit dem Coming Out macht der Unterricht übrigens noch mehr Spaß. Nicht mehr verstellen und „es“ verstecken müssen – die Schüler merken das und honorieren es. Das einzige, was meine Schüler und Kollegen heute (nach wie vor) als aufregend an mir betrachten und zum Teil auch nicht verstehen können, ist die Tatsache, dass ich mich an Wochenenden mit einem Passagier vor dem Bauch aus Flugzeugen stürze.

Normalität: Transmenschen sind ganz normale Menschen von nebenan. Verkäuferin, Kraftfahrerin, Literaturwissenschaftlerin, Polizistin, Feuerwehrfrau, Gleisarbeiterin, Soldatin und ja, auch Lehrerin, um nur einmal einige Berufe aus dem Kreise meiner Transfreundinnen zu nennen. Und sie alle haben die  Kärrnerarbeit auf sich genommen, es all den Menschen im Umfeld zu erklären, zu berichten, von sich zu sprechen. Der abstrakten „Transfrau“ eine menschliche Dimension zu verleihen, die Empathie weckt. Und zu hoffen, dass diese Menschen es weitergeben.

Und hier komme ich zu dem, was mich an meiner GEWerkschaft ärgert: In den Medien der GEW, die uns helfen können, unsere Geschichten zu erzählen, wird über uns gesprochen. Transmenschen kamen bisher nicht zu Wort. Authentische Berichte und Porträts von Transmenschen, die es anderswo schon gibt, finde ich in den Angeboten der Bildungsgewerkschaft (was für ein Multiplikatorenpotenzial!) leider nicht.

Wir tauchen, wenn überhaupt, unter dem Kürzel „LSBTI“ manchmal nebenbei auf; oft genug in Stereotypen („Gefangen im falschen Körper“), Halbwahrheiten („Lösung“ zur genderkonformen Integration einer transidenten Schülerin in den Schulalltag über das Instrument des Transsexuellengesetzes, was gar nicht notwendig ist) oder sogar obsoleten Begriffen wie dem bei uns verpönten Wort „Geschlechtsumwandlung“.

In meiner Selbsthilfegruppe übrigens treffen sich wöchentlich Transfrauen und -männer, Lesben und Schwule und haben immer eine schöne Zeit miteinander und wissen um die speziellen „Befindlichkeiten“. Warum funktioniert es auf Funktionärsebene in der GEW nicht? Liegt es daran, dass Transmenschen selbst in „LSBTI“- Arbeitsgemeinschaften maximal eine 5 %-Minderheit sind und deshalb Vertreter, die selbst nicht aus eigenem Erleben wissen, wie es ist, transident zu sein, gegenüber der Öffentlichkeit „für uns“ sprechen? Und/oder liegt es daran, dass wir einfach nicht authentisch, unkommentiert zu Wort kommen? Doch gerade unsere Geschichten sind es, die Verständnis und Akzeptanz hervorrufen!

Natürlich kann man jetzt die Schultern zucken. Noch so eine kleine Minderheit, die lautstark fordert. Um wen sollen wir uns denn noch alles kümmern? Nun, zum einen zeigt sich die Qualität eines  Sozialwesens auch daran, wie mit Minderheiten umgegangen wird, wie sie integriert statt segregiert werden. Und zum anderen benötigen Lehrer und Erzieher auch „dazu“ Kenntnisse und Verständnis, denn das „kleine T“ klopft an die Türen unserer Kindergärten und Schulen: Immer mehr Kinder und Jugendliche verdrängen und unterdrücken „es“ nicht mehr. Sie sollen keine Schamgefühle hervorrufende Pädagogik mehr durchmachen müssen. In den USA gibt es bereits diverse Richtlinien und sogar Gesetze, die die Integration von transidenten Schüler/innen regeln!

Noch ein Wort zum Schluss. Die junge und freundliche Polizistin erwiderte auf meine o. g. Vorab-Erklärung „Aber das ist doch okay. Nichts, für das Sie sich rechtfertigen müssten.“ Vielleicht hat sie ja einen Transmenschen in ihrem Bekanntenkreis? Ich bin mir eher sicher, dass unsere Polizisten in ihrer Aus- und Weiterbildung über Transmenschen erfahren und wissen, dass wir eben ganz normale  Menschen sind, die der Herr nur über einen Umweg geschickt hat.

 

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Kontakt
Marcus Heyn
Vertreter des Landesausschusses Diversity
Adresse Heinrich-Mann-Str. 22
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Telefon:  0361 590 95 21
Hannah K. - Foto: privat