Aus aktuellem Anlass
Thüringer CDU bleibt ihrer reaktionären Tradition treu. Und was ist mit uns?
Mit ihrem Antrag „Gendern? Nein danke!“, den der Thüringer Landtag am 10.11.2022 mit den Stimmen von CDU, AfD und „Bürgern für Thüringen“ beschlossen hat, bleibt die Thüringer CDU ihrer reaktionären Tradition treu. Wie sieht es aber bei uns als GEW Thüringen aus?
Mehr als 20 Jahre nachdem die damals CDU-geführte Thüringer Landesregierung beim Bundesverfassungsgericht (erfolglos) gegen die eingetragene Lebenspartnerschaft geklagt hat, setzt sie nun ihren rechten Kulturkampf fort und sucht die Annäherung zur AfD. Mit diesem Beschluss wird die Landesregierung aufgefordert, geschlechtergerechte Sprache zu verbieten und stattdessen den Gebrauch des generischen Maskulinums (also der männlichen Form) Bildungseinrichtungen und der öffentlichen Verwaltung vorzuschreiben.
Dieser Beschluss ist ein Schlag ins Gesicht aller Menschen, die sich bemühen, inklusiv zu handeln und (auch sprachlich) niemanden auszugrenzen. Und erst recht stellt es eine Missachtung aller derjenigen Menschen dar, die nicht mit der maskulinen Form bezeichnet werden wollen. Es ist eine Bevormundung aller im Bildungswesen und im Landesdienst Beschäftigten, indem ihnen ein diskriminierungsfreier und anerkennender Gebrauch der deutschen Sprache verboten werden soll.
Es geht um mehr als nur „gendern“
Der Thüringer CDU geht es offenbar aber um viel mehr: Mit diesem Annäherungsversuch zur AfD lotet sie aus, wie groß der gemeinsame Nenner für eine Zusammenarbeit ist. Und die FDP schaut zu, anstatt dagegen zu stimmen. Vielleicht möchte sie sich ja als Juniorpartnerin in dieser sich abzeichnenden rückwärtsgewandten Koalition qualifizieren.
Was bedeutet es aber für uns als Beschäftigte in Bildung und Wissenschaft? Können wir uns solcher Bevormundung widersetzen? Das hängt natürlich davon ab, ob und wie die Landesregierung diesen Appell umsetzt.
Keine Konsequenzen an den Hochschulen
Für den Bereich der Hochschulen halte ich einen solchen Zwang für nicht zulässig. Der Präsident der Friedrich-Schiller-Universität Jena hat auch unmittelbar Stellung bezogen: „Wir halten … an unseren Empfehlungen zur geschlechtergerechten Sprache fest. Den Universitätsangehörigen ist es mit Verweis auf die Freiheit von Forschung und Lehre freigestellt, die vielfältigen sprachlichen Möglichkeiten einer geschlechtergerechten Sprache für sich zu wählen. Gleichzeitig wird niemandem ein Nachteil entstehen, der auf das Gendern verzichtet“, so Prof. Walter Rosenthal am 11.11.22.
Unser Tarifvertrag ist da ebenso eindeutig: „Der Arbeitgeber hat bei der Wahrnehmung des Direktionsrechts die Grundrechte der Wissenschaftsfreiheit und der Kunstfreiheit sowie das Grundrecht der Gewissensfreiheit zu beachten“ (§ 3 Abs. 8 in der Fassung von § 40 TV-L ).
Ich bin mir auch sicher, dass ein Großteil unser Kolleg:innen an den Hochschulen sich einem verordneten Zwang zur sprachlichen Ausgrenzung aus Gewissensgründen nicht unterordnen wird.
Die GEW Thüringen ist allerdings auch keine Vorreiterin
Bei aller Schelte der Landtagsmehrheit müssen wir uns als GEW Thüringen jedoch die Frage stellen, wo wir eigentlich stehen. Sicher bemühen sich die meisten von uns, eine anerkennende, nicht diskriminierende Sprache zu verwenden. Gerade die Kolleg:innen in der Landesgeschäftsstelle leisten da in der Kommunikation nach innen und nach außen gute Arbeit. Unser Landesausschuss Diversity beschäftigt sich intersektional mit Diskriminierungskategorien und trägt aktiv zur Sensibilisierung nach innen und nach außen bei.
Und dennoch: Auf der 10. LVV hat beispielsweise ein Antrag zur redaktionellen Neufassung der Satzung in geschlechtergerechter Sprache (deutlich) keine Mehrheit gefunden – und das sicherlich nicht nur, weil die meisten sich nicht sicher waren, ob nun Asterisk, Doppelpunkt oder Unterstrich die geeignetsten Hilfsmittel sind. Während die einen beim Blick in Satzungen und Ordnungen über eine ausgrenzende Sprache der Vergangenheit entsetzt sind, halten andere den Gebrauch des generischen Maskulinums für völlig unproblematisch. Und das ist nicht nur eine Generationenfrage oder wohnort- bzw. bildungsbereichabhängig.
Die Diskussion ist nur verschoben, nicht aufgehoben
Uns steht hier ein Diskussionsprozess noch bevor, der im Rahmen der Organisationsentwicklung geführt werden muss. Ziel ist die Entwicklung von konsensfähigen Vorschlägen, um unseren satzungsmäßigen Antidiskriminierungsauftrag allumfassend, also auch sprachlich, wahrnehmen zu können.
99096 Erfurt