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Offener Brief an die Landtagsabgeordneten demokratischer Parteien - Weniger Lehrkräfte in Thüringer Schulen - Sagen Sie NEIN zum Doppelhaushalt

Unbefristet in Bayern, Hessen, Niedersachsen oder befristet in Thüringen? Wie die eingeplanten Ausgaben für den Schulbereich im Doppelhaushalt 2016/17 gegen den Koalitionsvertrag verstoßen.

Offener Brief an die Abgeordneten demokratischer Parteien des Thüringer Landtags:

Sehr geehrte Abgeordnete, sehr geehrter Abgeordneter,

vor der anstehenden Diskussion des Doppelhaushalts 2016/17 im Thüringer Landtag möchte Sie die GEW Thüringen eindringlich an Ihre besondere Verantwortung und Mitgestaltungsmöglichkeit als Abgeordnete/r in Zeiten knapper Mehrheitsverhältnisse erinnern. Seien Sie tatsächlich das Korrektiv dieser Landesregierung und nutzen Sie Ihr Landtagsmandat verantwortungsvoll, denn die kreativlose Fortführung einer Sparpolitik incl. des Stellenabbaupfades im Bildungsbereich wird dem Land Thüringen letztlich mehr schaden als nützen.

Bitte nehmen Sie den Koalitionsvertrag ernst und erinnern Sie sich daran, dass der Begriff der „guten Arbeit“ gleich 7-mal darin aufgeführt wird. „Gute Arbeit“ bedeutet u. a. sichere Arbeit (Kündigungsschutz, Zurückdrängung von Befristungen) und menschengerechte Arbeit (Begrenzung von Arbeitsbelastung, Vereinbarkeit von Familie und Beruf, etc.). Wenn allerdings der Doppelhaushalt 2016/17 in seiner geplanten Form beschlossen wird, kommt es gleich an mehreren Stellen zu Verstößen gegen „gute Arbeit“ und damit gegen den Koalitionsvertrag. Das gilt auch trotz der versprochenen, allerdings nur befristeten einzustellenden zusätzlichen 300 Lehrer*innen (200 in 2016 und weitere 100 in 2017).

Aussage im Koalitionsvertrag auf Seite 1:

„Wir werden uns für gute Arbeit, gegen Niedriglöhne und prekäre Beschäftigungsverhältnisse einsetzen“

  • Aus Rückmeldungen von GEW-Schulungen wissen wir, dass Mehrarbeit auf verschiedenste Arten und Weisen verschleiert wird und daher in keiner Statistik auftaucht.
  • Weil statt Stellen im Haushalt nur Finanzmittel eingeplant wurden, werden die Vertretungslehrer*innen nur befristet eingestellt.
  • Weil statt Stellen im Haushalt nur Finanzmittel eingeplant wurden, werden die zusätzlichen 200 Lehrer*innen 2016 und 100 Lehrer*innen 2017 nur befristet eingestellt. Die meisten Nachbarländer Thüringens stellen dagegen unbefristet ein. Schon 2015 mussten viele Stellen in andere Bereiche gewandelt werden, da die geeigneten Bewerber*innen fehlten. Das wird ab Frühjahr 2016 massiv zunehmen.
  • Weil statt Stellen im Haushalt nur Finanzmittel eingeplant wurden, werden die dringend und dauerhaft benötigten DaZ-Lehrer*innen (Deutsch als Zweitsprache) nur befristet eingestellt. Die Arbeitsverträge der ersten eingestellten DaZ-Lehrer*innen laufen in 2016 bereits wieder aus, aufgrund rechtlicher Bestimmungen müssen dann neue Kolleg*innen gesucht werden und die bisherigen Kolleg*innen gehen in die Arbeitslosigkeit.
  • Die Anzahl der DaZ-Lehrer*innen jetzt schon völlig unzureichend. Der Hauptteil der Flüchtlingskinder kommt jedoch erst im ersten Quartal 2016 an die Thüringer Schulen.

Aussage im Koalitionsvertrag auf Seite S. 3.:

„Den Schulunterricht werden wir durch die Neueinstellung von 500 Lehrerinnen und Lehrern pro Jahr und die Unterstützung längeren gemeinsamen Lernens verbessern.“

und auf Seite S. 47:

„Pro Jahr sollen 500 Lehrerinnen und Lehrer eingestellt und zusätzlich einer Vertretungsreserve aufgebaut werden. Ziel ist es, sowohl den Grundbedarf zur Unterrichtsabsicherung zu decken als auch Unterrichtsausfälle zu vermeiden. Die Umsetzung des Personalentwicklungskonzepts SCHULE wird geprüft.“

  • Es ist keine Verbesserung, weil diese 500 Einstellungen keine zusätzlichen Stellen sind, sondern lediglich einen Teil der Altersabgänge ersetzen. In der Summe wird es weniger Lehrkäfte an den Schulen geben.
  • Gleichzeitig steigen die Schüler*innenzahlen, daher ist das keine Verbesserung, sondern eine Verschlechterung der personellen Ausstattung von Thüringer Schulen. Die Prognose von 2013 geht bereits von einer Steigerung aus, darin sind die zusätzlichen ca. 8.900 Flüchtlingskinder noch gar nicht eingerechnet.
  • Steigende Schüler*innenzahlen bedeuten steigenden Personalbedarf, es sei denn: Die Lehrer*innen-Schüler*innen-Relation wird verschlechtert und/oder die Arbeitszeit der Lehrkräfte wird herauf gesetzt.
  • Die 100 Lehrer*innen, die als Vertretungsreserve bisher eingestellt wurden, reichen bei Weitem nicht aus. Von einer dynamischen Grundabsicherung des Unterrichts und der Vermeidung von Unterrichtsausfällen ist man weit entfernt, da zumeist nur ein Teil der strukturellen Unterbesetzung aufgefangen wird.
  • Eine Information, dass die Umsetzung des Personalentwicklungskonzeptes SCHULE  bisher geprüft wurde bzw. eine Kooperation mit den beteiligten Vertragspartnern fand bisher nicht statt. 

Aussage im Koalitionsvertrag auf Seite S. 48:

„Wir werden die Kapazitäten in der Ausbildung von Lehramtsanwärterinnen und -anwärtern erhöhen.“

  • Es gab 2015 keine Erhöhung der Kapazitäten und auch für 2016 und 2017 sind keine höheren Haushaltsmittel hierfür eingeplant. Es wird also nicht mehr Fachleiter*innen geben, die aber benötigt werden, wenn eine größere Anzahl an Lehrer*innen ausgebildet werden soll.
  • Pro Jahr beenden ca. 450 bis 500 Lehramtsanwärter*innen ihren Vorbereitungsdienst mit der 2. Staatsprüfung. Das sind aufgrund der hohen Bedarfe der nächsten Jahre deutlich zu wenig.

Aussage im Koalitionsvertrag auf Seite S. 48:

„Auf der Grundlage des „Entwicklungsplan Inklusion“ werden wir eine „Qualitätsoffensive Inklusion“ starten. Dazu gehört, die Ausbildungskapazitäten in Thüringen im Bereich Lehramt Förderschulen und Sonderpädagogische Fachkräfte auszubauen.“

  • Eine „Qualitätsoffensive Inklusion“ fand bisher nicht statt und ist auch nicht geplant.
  • Der Ausbau der Ausbildungskapazitäten im Bereich Lehramt Förderschulen und Sonderpädagogische Fachkräfte ist mit den geplanten Haushaltsmitteln nicht umsetzbar.

Empfehlung und Forderung der GEW Thüringen:

Wir verlangen von der Thüringer Landesregierung, ihren eigenen Koalitionsvertrag ernst zu nehmen und sich ihrer Verantwortung für den selbst formulierten Anspruch von guter Arbeit und einem leistungsfähigen Thüringer Schulsystem zu stellen. Vor dem Hintergrund der bereits vorhandenen Problematiken und der durch die Flüchtlingskinder weiter stark anwachsenden Zahl an Thüringer Schüler*innen ergeben sich daraus zwangsläufig Handlungszwänge bei der Planung des Landeshaushalts:

  1. Der Stellenabbaupfad für den Schulbereich muss verlassen werden und die Stellenzahl an den tatsächlichen Bedarf angepasst werden.
  2. Alle Stellen für Lehrer*innen in Thüringen müssen unbefristet ausgeschrieben werden und entsprechend im Haushalt als Stellen geplant werden.

Bitte sorgen Sie mit Ihrem Landtagsmandat dafür, dass die Sparpolitik nicht auf dem Rücken der Kolleg*innen in den Thüringer Schulen und damit letztlich nicht auf dem Rücken der Kinder, Jugendlichen und deren Eltern ausgetragen wird. Helfen Sie mit, diese Landesregierung zu einer verantwortungsvollen Schwerpunktsetzung von sicherlich notwendigen Einsparungen zu zwingen, nur eben nicht im Bildungsbereich. Eine weitere Verschlechterung der personellen Situation an den Thüringer Schulen, sowohl quantitativ wie qualitativ, würde das Bundesland Thüringen weit zurück werfen.

Dafür vielen Dank!

Freundliche Grüße

Kathrin Vitzthum
Landesvorsitzende der GEW Thüringen 

 

  

Anhang - Zahlenmaterial

Geplanter Stellenabbaupfad für den Schulbereich

Quelle: Einzelplan 04, ohne Stellenabbau durch Kommunalisierung aller Grundschulhorte

  • 2016: 4
  • 2017: 3
  • 2017: 95
  • 2018: 496
  • 2019: 611

 

Gegenüberstellung von Einstellungen und Abgängen von Lehrern in Thüringen

Quelle: Personalentwicklungskonzept SCHULE

Schuljahr

Einstellungen

Altersabgänge

Summe

2014/15

500

- 389

+ 111

2015/16

500

- 622

- 122

2016/17

500

- 728

- 228

2017/18

500

- 766

- 266

2018/19

500

- 845

- 345

  

Prognose der Schülerzahlen

Quelle: 12. Koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung, Stand 03.07.2013 und damit vor der Ankunft der Flüchtlinge in den Thüringer Schulen 

Schuljahr

Allgemeinbildende Schulen

Berufsbildende Schulen

Gesamtzahl

2014/15

184.123

50.873

233.830

2015/16

185.455

50.886

234.995

2016/17

186.473

51.330

236.341

2017/18

187.230

51.956

237.803

2018/19

186.915

52.462

239.186

Kontakt
Dr. Michael Kummer
Referent für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Adresse Heinrich-Mann-Str. 22
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