Ausbildung von Erzieher:innen
„Wir wollen den Beruf der Erzieher:in nach oben öffnen und damit begeistern.“
Die Ampelkoalition will einen bundesweiten Rahmen für die Ausbildung von Erzieherinnen und Erziehern setzen: vergütet, schulgeldfrei und mit hohen Qualitätsstandards. In einem Diskussionspapier, welches in der Aprilausgabe der E&W veröffentlicht wurde, fordert die GEW die Einlösung dieses Versprechens. Wir sprachen mit Doreen Siebernik, Leiterin des Organisationsbereichs Jugendhilfe und Sozialarbeit beim GEW-Hauptvorstand, zu den Details.
Warum schlägt die GEW eine Stärkung der fachschulischen Ausbildungsformen mit einer verbindlichen Implementierung von Mindeststandards vor?
Das Grundrecht auf Bildung zu sichern und zu ermöglichen ist Aufgabe des Staates. Kindergärten sind Bildungseinrichtungen und damit Orte, die Kinder auf das
Leben in der Gesellschaft vorbereiten und sie zugleich befähigen dieses, ihr Leben aktiv mitzugestalten. Bildung, Erziehung und Betreuung sind in der Praxis untrennbar miteinander verbunden. Genau deshalb braucht es eine starke fachschulische Ausbildung. Die Kultusminister:innenkonferenz setzt mit ihren Regelungen den bildungspolitischen Rahmen. Wir fordern einen bundeseinheitlichen Rahmen für die Breitbandausbildung zur staatlich anerkannten Erzieher:in, der Qualitätsstandards setzt und sichert. Die Auslagerung der Ausbildung und damit die Abgabe der Verantwortung für die Inhalte ist falsch. Es braucht jedoch eine gute Verzahnung mit den Praxislernorten, die umfassend gestärkt werden müssen und mit zusätzlichen Ressourcen auszustatten sind.
PiA ist in Thüringen immer noch ein Modelprojekt mit nur 120 Plätzen je Ausbildungsjahrgang. Wie hoch schätzt die GEW den Bedarf an dieser Ausbildungsform ein?
Wenn wir die Zahlen des Forschungsverbund der TU Dortmund und dem Deutschen Jugendinstitut als Grundlage nehmen, können wir allein in Ostdeutschland bis 2030 mit einem Potenzial von bis zu 58.000 neuausgebildeten Kolleg:innen rechnen. Die PiA Ausbildung, sowie die weiteren Formen der praxisintegrierenden oder berufsbegleitenden Ausbildungen, werden deshalb auch für Thüringen immer wichtiger. Das Angebot sollte zeitnah deutlich ausgebaut werden, denn die Erfahrungen zeigen, dass diese Form der Ausbildung stark nachgefragt ist.
In Thüringen wird diskutiert, ob PiA auf den Personalschlüssel angerechnet wird. Welche Gründe sprechen aus Sicht der GEW dafür und welche dagegen?
Die Kolleg:innen, die im Rahmen der PiA Ausbildung den Beruf erlernen, sind Lernende. Sie sollten auf keinen Fall auf den Personalschlüssel angerechnet werden. Die Anforderungen sind komplex und Pädagog:innen arbeiten mit Kindern. Fehler sind unverzeihlich. Es entstehen keine Werkstücke, die man zur Not neu drechseln kann, es wird keine Rechnung falsch ausgestellt, die korrigiert werden könnte. Auszubildende brauchen Zeit, um den Beruf zu erlernen. Dafür braucht es qualifizierte Begleitung durch Praxisanleitungen und zeitliche, sowie räumliche Ressourcen. Die angehenden Kolleg:innen müssen geschützt und ihre Qualifizierung als Aufgabe des gesamten Teams in der Einrichtung verstanden werden.
Vor dem Hintergrund, dass in Thüringen die Träger von der Kommune die Personalkosten 1:1 erstattet bekommen und das Land seine Landespauschalen an die Kommune überweist: Wie soll die Ausbildungsumlage konkret funktionieren?
Bedingt durch die hohe Diversität im System, gibt es bundesweit eine große Disparität bei der Finanzierung der Weiterqualifizierungen. Die Ausbildungsumlage soll da zum Tragen kommen, wo Träger bei der Refinanzierung der Weiterqualifizierung für die Kolleg:innen unzureichend unterstützt werden. Die Ausbildungsumlage versetzt damit alle Träger in die Lage den Praxislernort zu stärken. Die vollumfängliche öffentliche Refinanzierung sollte in allen Bundesländern selbstverständlich sein. Thüringen setzt an dieser Stelle bundesweite Maßstäbe.
Wenn man das System quasi nach oben öffnet, entzieht man damit nicht wieder Fachkräfte?
In jedem Beruf werden Karrierewege nach oben geöffnet. Jedoch sind für Erzieher:innen berufliche Perspektiven in den Einrichtungen der Kinder & Jugendhilfe äußerst begrenzt. Die Möglichkeit sich weiter zu entwickeln, sind für die Berufswahl und die Attraktivität der Arbeit wichtig. Dem Erzieher:innenberuf hängt der Ruf an, ein Sackgassenberuf zu sein. Außer eine unmittelbare Leitungstätigkeit zu übernehmen, bietet das System keine Chancen. Deshalb ist es wichtig, den Kolleg:innen aus der Praxis den Einstieg in ein berufsbegleitendes oder integrierendes Studium zu ermöglichen, den Wechsel von der Fachschule auf die Hochschule zu erleichtern und dabei Kompetenzen, die außerhalb der Hochschule erworben worden sind, auf ein Studium inhaltlich und zeitlich anzurechnen. Alle Menschen wollen ihr Leben
attraktiv und abwechslungsreich gestalten, dazu gehören Wege nach vorne und nach oben. Wir wollen den Beruf der Erzieher:in nach oben öffnen und damit viele neue Menschen für die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen begeistern.
Stichwort Perspektiven durch Weiterbildung: Gibt es bereits Beispiele, z. B. andere Systeme in anderen Ländern, für die Anerkennung von non-formalen und informellen Kompetenzen für Qualifizierungsprozesse?
Wir verfügen bereits heute sowohl auf europäischer sowie auf nationaler Ebene über Systeme, welche die Anerkennung von nonformalen und informellen Kompetenzen abbilden und strukturieren sollen. Mit der Verabschiedung des Europäischen Qualifikationsrahmens für lebenslanges Lernen (EQR) durch das Europäische Parlament in 2008 und der Erarbeitung eines Deutschen Qualifikationsrahmens für lebenslanges Lernen (DQR) haben wir seit knapp zehn Jahren die erforderlichen Werkzeuge an der Hand. Nicht umsonst, ist die Weiterqualifizierung zur staatlich anerkannten Erzieher:in im DQR 6 eingeordnet und somit einem Bachelorabschluss gleichgestellt. Was uns fehlt, ist die politische Debatte zur Weiterentwicklung dieser Systeme und der Aufnahme von Kompetenzprofilen, die den Bedarfen der Kolleg:innen in der Praxis gerecht werden. Dabei muss sichergestellt sein, dass formal erworbene Qualifikation dadurch nicht entwertet werden. Oberstes Ziel ist, dass diese Beschäftigten so aus- und weitergebildet werden, dass sie den Abschluss zum/zur staatlich anerkannten Erzieher:in erwerben und diese Ausbildung im Rahmen ihrer Arbeitszeit bewältigen können.
Wie ließen sich herausgehobene Tätigkeiten, für die die Beschäftigten Zusatzqualifikationen erwerben müssen (z. B. Kinderschutz, Praktikumsbetreuung, Elternberater:innen etc.), honorieren?
In allen weiterführenden Bildungseinrichtungen nach der Kita,in Schulen und Hochschulen, gibt es sogenannte Funktionsstellenkegel. Diese bilden Funktionsstellen für besondere Aufgaben ab. Auch in der frühen Bildung ist es selbstverständliche möglich, herausgehobene Tätigkeiten über entlohnte Funktionsstellen zu honorieren und so einen finanziellen Anreiz zur Weiterqualifizierung zu schaffen. Vorschläge für besondere Funktionsstellen liegen bereits bei der Politik und den Arbeitgeberverbänden auf den Tischen. Als GEW führen wir vielfältige Gespräche, denn wir wollen die Ausbildung zur staatlich anerkannten Erzieher:in weiterentwickeln und Qualitätsstandards setzen. Ganz sicher gehören unsere Tarifforderungen dazu, denn unterschiedliche Tätigkeiten und Funktionsstellen müssen sich in den Endgeldtabellen abbilden.
Vielen Dank!
Hier ist das Diskussions-Papier zu finden: www.gew.de/aktuelles/detailseite/perspektiven-oeffnen
99096 Erfurt
Erzieherin | Aziz-Nesin-Grundschule | Friedrichshain-Kreuzberg