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Selbst in die Hand genommen

Vom Organizing-Semester ins Streiksemester? TVStud Thüringen ist bereit!

„Strukturaufbau, Mapping, 1:1-Gespräch…“ – wenn man sich montags ab 18 Uhr online zum Plenum der TVStud Initiative Thüringen dazu schaltet, können die Fachbegriffe erst einmal überwältigen.

TV-Stud Konferenz vom 24.26.02.2023 in Göttingen,Foto: Kay Herschelmann
TV-Stud Konferenz vom 24.26.02.2023 in Göttingen, Foto: Kay Herschelmann

Doch die Motivation der Studierenden, die sich zusammengeschlossen haben, um bessere Arbeitsbedingungen für Tutor*innen, studentische und wissenschaftliche Assistent*innen an Hochschulen zu erkämpfen, ist ansteckend: „Jetzt oder Nie!“ heißt es da, „Wir gewinnen das!“ und: „Auf in den heißen Herbst!“.

Der heiße Herbst – damit ist natürlich die bevorstehende Tarifrunde für den Tarifvertrag der Länder (TV-L) gemeint, von der sich studentisch Beschäftigte bundesweit erhoffen, dass ihr Anliegen, der Tarifvertrag für studentisch Beschäftigte (TVStud) verhandelt wird. Schon in der Tarifrunde 2021 erstritten studentisch Beschäftigte bundesweit eine Gesprächszusage von der Tarifgemeinschaft deutscher Länder: Zwar sollte noch nicht über einen Tarifvertrag verhandelt werden, aber eine Bestandsaufnahme über die Arbeitsbedingungen studentischer Beschäftigter erhoben werden. Da die Datenlage zur Beschäftigung Studierender an Hochschulen und Forschungseinrichtungen chronisch unzureichend ist, nahm die bundesweite TVStud Vernetzung die Bestandsaufnahme einfach selber in die Hand und führte eine umfassende Studie mit über 11.000 studentisch Beschäftigten bundesweit durch, in die auch 373 Fragebögen aus Thüringen einflossen.

Selbst in die Hand genommen: Bestandsaufnahme zur Situation studentischer Beschäftigter

Die Ergebnisse der Studie „Jung, akademisch, prekär“, die im Januar 2023 veröffentlicht wurde, sind erschreckend, wenn auch nicht überraschend für die studentische Beschäftigten, die sich in der Thüringer Initiative zusammengeschlossen haben. Gerade Thüringen steht im bundesweiten Vergleich der Arbeitsbedingungen studentisch Beschäftigter oftmals am schlechtesten da: So betrug die durchschnittliche Vertragslaufzeit 2022 hier nur 4,7 Monate, der monatliche Stundenumfang nur 25,67 Stunden bei gleichzeitig geringen Stundenlöhnen (Hopp et. al. 2023: Jung, akademisch, prekär. Bremen: iaw; S. 70, 65, 63). Mit einem daraus resultierenden monatlichen Einkommen von nur 282,34 Euro aus der studentischen Beschäftigung ist ersichtlich, dass man sich die Tätigkeit als Tutor*in, studentische oder wissenschaftliche Assistent*in leisten können muss (ebd. S. 64). Wer auf das Geld angewiesen ist, um damit den Lebensunterhalt zu finanzieren, ist nicht nur wegen der schlechten Entlohnung auf zusätzliche Einnahmequellen angewiesen, sondern auch aufgrund der nur auf wenige Monate begrenzten finanziellen Sicherheit. Diese Unsicherheit wirkt sozial selektiv und spiegelt sich entsprechend in der Sozialstruktur der studentischen Beschäftigten wider. Ein Ende der Kettenbefristungen wäre folglich auch eine Maßnahme für mehr Chancengerechtigkeit in der Bildung, das ist Konsens innerhalb der Bewegung.

Miteinander vernetzt

In Thüringen bildete sich die lokale Initiative im Frühjahr 2021, seitdem wächst sie beständig, umfasst etwa 20 Kernaktive und viele mehr, die sich mit dem Vorhaben solidarisieren. In einer großen Telegram-Gruppe informieren sich aktuell bereits mehr als 200 Interessierte über die Arbeit der lokalen Initiative, auf Instagram folgen noch einmal doppelt so viele.

Von Anfang an finden die mittlerweile wöchentlichen Treffen der Gruppe online statt, denn der Anspruch ist, studentisch Beschäftigte und ihre solidarischen Mitstreitenden aus allen Thüringer Hochschulstandorten zu vernetzen. Dennoch studieren und leben die meisten der Aktiven in Jena und neuerdings auch in Erfurt. Die große Bekanntheit der TVStud Initiative in Jena lässt sich auch mit der Besetzung eines Hörsaals an der Friedrich-Schiller-Universität im Winter 2022 begründen, in der die Forderung nach einem Tarifvertrag für studentisch Beschäftigte neben die Hauptforderung nach dem Erhalt des Lehrstuhls für Geschlechtergeschichte mit aufgenommen wurde. Im Zuge dessen kam es auch zu Gesprächen mit dem Präsidium der FSU und zur gemeinsamen Erarbeitung einer „Leitlinie für die Beschäftigung von studentischen und wissenschaftlichen Assistent*innen“ mit dem Assistent*innenrat, dem Studierendenrat, Personaldezernat und Präsidium. Was einen Erfolg anmuten lässt, muss seine Wirksamkeit noch unter Beweis stellen – die TVStud Initiative hat da so ihre Zweifel. Nicht zuletzt die Studie „Jung akademisch prekär“ hat gezeigt, dass freiwillige Vereinbarungen von Hochschulen oder Ländern in Hinblick auf die Verbesserung der Arbeitsbedingungen von studentisch Beschäftigten nur begrenzt erfolgreich sind. Daher setzt die TVStud Initiative auf die bindende Wirkung eines flächendeckenden Tarifvertrags, der im Herbst erkämpft und, wenn nötig, erstreikt werden soll.

Organizing von unten – Endlich ein Gesprächsangebot in Thüringen

Um die Streikfähigkeit und Verhandlungsmacht der Studierenden zu erhöhen, die traditionell einen geringen Organisierungsgrad haben, haben die Thüringer Aktiven – ähnlich wie andere Ortsgruppen in der ganzen Bundesrepublik – das Sommersemester 2023 für eine groß angelegte Organizing-Kampagne genutzt. Dazu haben sie die Daten von studentisch Beschäftigten erhoben und diese zu 1:1-Gesprächen eingeladen, um mehr über ihre Arbeitsbedingungen und ihre Bereitschaft, diese zu verändern, zu erfahren. Viele erklären sich nach einem solchen Gespräch bereit, einem Streikaufruf zu folgen, an Aktionen teilzunehmen oder auch Gewerkschaftsmitglied zu werden.

Neben den wöchentlichen Organisationstreffen und mehreren, über das Jahr verteilten Organizing-Workshops, in denen den Teilnehmenden die Grundlagen der Organizing-Methode und die Merkmale einer guten Ansprache vermittelt werden, steht aktuell für die Initiative auch die politische Lobby-Arbeit im Fokus: Angesichts der anstehenden Tarifrunde gilt es, die Thüringer Regierungsparteien an ihre Versprechen aus dem Koalitionsvertrag und aus ihren Parteiprogrammen zu erinnern. So wurde zum Beispiel am 05.07.2023 in einer öffentlichen Aktion am Thüringer Landtag versucht, gemeinsam mit weiteren TV-L Beschäftigten aus Universität und Hochschule Jena sowie des Universitätsklinikums Jena ein Forderungspapier an Thüringer Finanzministerin Heike Taubert zu übergeben, die für Thüringen im Arbeitgeberverband Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) sitzt. Während Ministerin Taubert sich leider nicht bereit erklärte, die Forderungen persönlich anzunehmen, taten dies mehrere Mitglieder des Landtags von R2G sowie Prof. Dr. Benjamin-Immanuel Hoff, Chef der Staatskanzlei. Einige Wochen später ging jedoch ein Beben durch die Reihen der Kernaktiven: Das Büro des Chefs der Staatskanzlei lud zu einem Gespräch – gemeinsam mit Finanzministerin Heike Taubert. Die Aufregung, die dies innerhalb der Initiative auslöste, lässt sich nur verstehen, wenn man die Vorgeschichte kennt: Schon im Oktober 2021 bat die Thüringer TVStud Initiative erstmalig um ein Gespräch mit Ministerin Taubert, das abgelehnt wurde. Auch weitere Kontaktversuche waren ergebnislos – bisher. Dass das Gespräch nun stattfindet, ist der steigenden Aufmerksamkeit für TVStud und dem damit verbundenen Druck auf die Politik geschuldet, und ist für sich allein genommen schon ein gutes Zeichen.

Dass sich die Zeiten ändern, merken die Aktiven auch daran, wie die Reaktion auf ihr Engagement außerhalb der eigenen „Bubble“ ausfällt: Ob im Gespräch mit Kommiliton*innen an Uni und FH, im Kreis von Gewerkschafter*innen oder im Austausch mit anderen TV-L Beschäftigten, wenn gemeinsam die Tarifrunde geplant wird: TVStud ist inzwischen allen ein Begriff – und das, obwohl „TVStud“ zugegebenermaßen keine sehr selbsterklärende Bezeichnung ist. Das macht Hoffnung für die Tarifrunde, die für die TVStud Aktiven in Thüringen und anderswo unter dem Motto steht: „Strike to win!“

Links, um auf dem Laufenden zu bleiben: Telegram-Kanal von TVStud Thüringen
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