Zum Inhalt springen

Eine teilnehmende Beobachtung aus Weimar

Unser Kindergarten bleibt!

Nun war ja in den letzten Jahren ganz schön viel an Einschränkungen des öffentlichen Lebens hinzunehmen, die zeitweise ganz schön auf mein Wesen drückten. Erst hat Corona unser kulturelles Miteinander eingeschränkt und der Spaß blieb zeitweise sehr auf der Strecke. Dann hat Putin ernst gemacht und versteht nun keinen Spaß mehr – die Menschen in der Ukraine schon seit 2014 nicht. Und einen Tag vor dem internationalen Frauentag wurden meinen Kolleg:innen und mir mitgeteilt, dass unser und zwei weitere Kindergärten in Weimar geschlossen werden. Oha, da ist allen das Lachen vergangen!

Wie kam es dazu? Was war vorher geschehen?

Um darüber zu berichten, verbleibe ich mal im Mikrokosmos Weimar. Es ist noch gar nicht lange her, da wurden neue Kindergartenplätze in der Stadt geschaffen. Dafür wurden Gebäude vergrößert beziehungsweise neue gebaut, denn vor zehn Jahren besagten die Prognosen steigende Kinderzahlen voraus. Vor ca. vier Jahren wurde der letzte neu geschaffene Kindergarten feierlich eröffnet. Die Kinderzahlen deckten sich mit den vorhandenen Plätzen und es gab sogar noch kleine Puffer um eine gewisse „Wahlmöglichkeit“ für die jungen Eltern zu gewähren.

Doch nun im Jahre 2023 sollen uns die Kinder in Weimar ausgehen?

Um ehrlich zu sein, ja! Denn es gab schon im Jahr 2022 Einrichtungen in Weimar, die ihre Platzkapazität nicht mehr ausschöpfen konnten und wurden mit reduzierter Kinderzahl weiter geführt. Das war bekannt, wurde seitens der Stadt aber noch nicht offiziell moniert. Auch in Gewerkschaftskreisen gab es Rückmeldungen aus dem Jahr 2022, das einige Gemeinden und Städte  mit sinkenden Kinderzahlen zu tun haben und vor der Frage stehen: Was tun? Aber hier auch, alles noch nicht offiziell.

Und dann, im Februar 2023, die ersten Tagungen des Unterausschusses der Stadt Weimar, in dem der konkrete Schließungs-und Reduzierungsplan durch den Stadtrat dargelegt wurde und die großen Träger vor vollendete Tatsachen gesetzt wurden. Dieser konkrete „Vorschlag“ wurden uns dann am 7. März in der Mittagsdienstberatung unterbreitet. Grundlaut der Verkündung: Kindergarten „Benjamin Blümchen“ wird geschlossen und das Gebäude wird umgewidmet. Und das alles wohlgemerkt im vollen Auslastungszustand der Einrichtung, auf Jahre hinaus!

Wir sind ein Kindergarten, der mit stetiger Auslastung und Zuspruch der Elternschaft seine pädagogischen Aufgaben meistert. Dieses plötzlich aus dem Nichts kommende „Wir schließen!“ kann ich bis heute nicht nachvollziehen. In der freien Wirtschaft stehen einem schon mal die Vorboten einer kommenden Schließung ins Haus. Da wären zu nennen: Auftragsrückgänge, Produktionsreduzierung, oder Lohnzahlung können nicht mehr beglichen werden. Da kündigt sich etwas an und hier gibt es bald ein negatives Ereignis. Aber das traf und trifft auf die drei betroffenen Kindergärten nicht zu.

Da denkt man nun, im Staatsdienst zu arbeiten, ist zukunftsfest. Weit gefehlt!

Seit Jahren leben wir im Teilzeitmodus und im Befristungsverhältnis, damit kostengünstig mit uns umgesprungen werden kann. Und dann, mir nichts, dir nichts, sollen drei Kindergärten schließen und ein Kindergarten seine Kapazität zwangsweise herabsetzen.

Nun gibt es zu diesem Thema noch nicht viel zu sagen, außer dass die Prognosen eindeutig einen Trend aufweisen: Weniger Kinder sind in den nächsten Jahren zu betreuen.

Prognosen sind Prognosen – ob sie stimmen, wissen alle erst hinterher.

Denn es gibt Regionen in Thüringen, die einen jahrelangen Kindergartenplatzmangel hatten, und nun von den sinkenden Kinderzahlen demzufolge weniger betroffen sind. Der Bereich der Tagespflegepersonen darf dabei nicht aus dem Blick fallen. Denn ohne sie hätte vielerorts keine grundlegende Betreuung in den letzten Jahren stattfinden können.

Was aber stimmt: viele Kolleg:innen scheiden aus dem Dienst, gehen in den wohlverdienten Ruhestand. Junge Pädagog:innen kommen kaum nach, ziehen weg in gute und sichere Arbeitsverhältnisse. Auch der Betreuungsschlüssel und viele weitere grundlegende Voraussetzungen sind in anderen Bundesländern besser gestaltet als hier in Thüringen. Die Stimmen der Gewerkschaften zu diesen Themen werden oft ignoriert oder nicht für voll genommen.

Doch meine Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft war bei mir.

Sie gab mir Kraft und einen klaren Ausblick, was jetzt zu tun ist. Denn ich musste nach dieser Nachricht erstmal aus der Schockstarre heraus kommen. Nach besagtem 7. März setzte die schlechte Nachricht bei unserer Kindergartenleitung Kräfte frei, die unser Träger zum Glück nicht bremste. Ab dann folgten Aktionen, eine Petition und Termine und eine Demonstration, Schlag auf Schlag. In der Öffentlichkeit gab es große Unterstützung. Unsere Kindergartenleitung, das Kollegium und unser starker Elternbeirat setzten alle Hebel in Bewegung um eine Schließung abzuwenden.

Das alles führte letztendlich dazu, dass der konkrete „Vorschlag zur Schließung der drei Einrichtungen“ von der Stadtverwaltung Weimar zurück genommen wurde. Der öffentliche Diskurs muss nun mit belastbaren Zahlen weiter geführt werden.

Die Chance, die dahinter liegt

Die sinkenden Kinderzahlen sind eine Chance, endlich etwas Grundlegendes an den Bedingungen für die Betreuung unserer Kinder zu ändern. Angefangen beim Betreuungsschlüssel, der pädagogischen Grundfläche pro Kind, sachgrundlose Befristungen der Fachkräfte und so weiter. Es gibt viele Baustellen, die seit Jahren darauf warten, in Angriff genommen zu werden.

Mit dieser großen Problematik setzte sich auch unsere Podiumsdiskussion am 15. Juni im Haus Dacheröden in Erfurt auseinander. Kraft und gute Argumente für die weitere Diskussion im 2024 konnte ich dort tanken. Denn noch in diesem Jahr geht es im Unterausschuss der Stadt Weimar weiter, wie mit sinkenden Kinderzahlen langfristig umgegangen werden soll.

Kontakt
Nadine Hübener
Referentin für Bildung
Adresse Heinrich-Mann-Str. 22
99096 Erfurt
Telefon:  0361 590 95 54
Mobil:  01573 336 02 98