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Aus dem Leben einer Seiteneinsteigerin

„Mein Respekt vor diesem Beruf ist enorm gewachsen.“

In der Mitte des Beruflebens noch einmal ganz neu anfangen und Lehrerin werden? Unsere Interviewpartnerin hat den „Seiteneinstieg mit gleichzeitiger Nachqualifizierung“, so die Benennung in Thüringen, gewagt. Hier gibt sie Auskunft über die damit verbunden Schwierigkeiten und Herausforderungen – auch coronabedingt – aber auch über die schönen und beglückenden Momente ihres neuen Berufs.

Canva - Symbolbild

Du standest bereits mitten im Berufsleben und hast Dich dazu entschieden, beruflich noch einmal neu anzufangen – als Seiteneinsteigerin mit gleichzeitiger Nachqualifizierung im Schuldienst des Landes Thüringen. Was waren die Gründe dafür und was erschien Dir an der Tätigkeit als Lehrerin reizvoll?

Die Idee, Lehrerin zu werden, hatte ich schon sehr lange, denn ich habe schon immer gern mit jungen Menschen zusammengearbeitet. Deshalb habe ich mich schon vor ungefähr acht Jahren über passende Qualifizierungsmöglichkeiten informiert, denn ein Einstieg mit meinem Fachhochschulabschluss war leider nicht möglich. Zur damaligen Zeit wurde zwar der Zertifikatsstudiengang an der Uni Erfurt entwickelt, aber die damit verbundenen enormen Kosten und unklaren Anerkennungsaussichten waren die Gründe, warum ich mich zunächst dagegen entschieden hatte.

Mein Wunsch, Lehrerin zu werden, wurde über die Jahre jedoch immer größer und dafür gibt es vielfältige Gründe. Ich war auf der Suche nach einer neuen Herausforderung, nach einer sinnvollen Tätigkeit und ich wollte mit jungen Menschen zusammenarbeiten, sie in ihrer Entwicklung ein Stück begleiten und unterstützen.

Welche Qualifikationen hast Du bisher erworben, die speziell für den Schuldienst angerechnet werden konnten? An welche Schulart hat es Dich verschlagen und welche Fächer unterrichtest Du dort?

Ich bin Diplom-Betriebswirtin und absolviere seit Oktober 2019 das Zertifikatsstudium Mathematik an der Uni Erfurt. Das war auch die Voraussetzung für die Einstellung an der Regelschule, an der ich zur Zeit Mathematik unterrichte.

Wie verliefen die ersten Wochen als Neuling, der sogleich allein vor einer Klasse stand? Was gab es für besondere Probleme und auch schöne Erlebnisse?

Ich bin ehrlich. Ich habe mich in den ersten Wochen oft gefragt: „Was hast du getan? Du hattest einen so ruhigen entspannten Job...“ Geholfen haben mir vor allem die lieben Kolleginnen und Kollegen, denn ich wurde vom ersten Tag an mit offenen Armen empfangen. Von Vielen bekam ich Hilfe angeboten, um in einer für mich völlig neuen Welt zurecht zu kommen.

Am Anfang waren vor allem das störende Verhalten einiger Kinder und die enormen Niveauunterschiede besonders schwierig für mich. Aber dennoch macht es mir jeden Tag Spaß, sich Dinge zu überlegen, mit denen man die Kinder aktivieren und vielleicht sogar manchmal etwas begeistern kann. Wenn das klappt, ist das ein tolles Gefühl.

Erst nach einem halben Jahr hast Du nun einen ersten Intensivkurs in pädagogischen und didaktischen Grundfragen durch das ThILLM erhalten. Die GEW fordert seit langem, dass diese Kurse vorgeschaltet sein sollen, bevor die Neulinge allein vor den Klassen stehen müssen. Siehst du diese Forderung auch so bzw. wie würdest Du das Heranführen gestalten?

Geplant war eigentlich ein früherer Kursbeginn im Herbst, es musste dann aber coronabedingt nach hinten verschoben werden. Ich war dennoch sehr froh, dass ich die Gelegenheit bekommen habe, daran teilzunehmen.

Insgesamt ging der Kurs in Vollzeit drei Wochen. Viele Teilnehmer-:innen, auch ich, hätten es besser gefunden, wenn die drei Wochen gesplittet werden würden. Es gab Themen wie z.B. Lehrpläne, Unterrichtsplanung und Differenzierung, die vorgeschaltet optimaler für alle Neulinge gewesen wären.

Themen wie projektorientierter Unterricht, die Online-Lebenswelt Jugendlicher und Demokratiebildung wären dagegen zu einem späteren Zeitpunkt eher passend gewesen. Das heißt nicht, dass die Themen nicht interessant für Seiteneinsteiger:innen waren, aber zu einem Zeitpunkt, wo alles neu ist und jeder erst einmal mit grundlegenden Dingen beschäftigt ist, gehen solche Themen etwas unter. Das ist sehr schade.

Viele Teilnehmer:innen wünschen sich darüber hinaus einen regelmäßigen Erfahrungsaustausch untereinander.

Stichwort Nachqualifizierung: Das zweite Fach, welches für eine volle Anerkennung notwendig ist, strebst Du in einem Zusatzstudium an, welches Du nebenbei jedes zweite Wochenende absolvierst. Wie sind dort die Umstände, was läuft gut, was nicht so gut?

Leider dauerte der Genuss des Studierendenlebens nur ein knappes halbes Jahr. Seitdem werden sowohl die Vorlesungen als auch Prüfungen coronabedingt nur online abgehalten. Nach anfänglichen Schwierigkeiten läuft das jetzt aber ganz gut. Mit den Dozent:innen kommunizieren wir über Messenger oder per E-Mail.

Dein Neustart fiel in die Zeit von Corona. Wie hat sich das auf Deinen Arbeitsalltag und Deine Ausbildung bisher ausgewirkt? Was sollte das Schulamt bzw. das ThILLM aus Sicht eines Neulings hier besser gestalten?

Hier muss ich sagen, dass meine vorherige Berufspraxis sehr nützlich war. Videokonferenzen und die Erstellung von Präsentationen war deshalb kein Problem für mich. Positiv hinzu kommt, dass ich mich mit Kolleg:innen und der Schulleitung jederzeit austauschen kann. Das ist, wie ich erfahren habe, wohl nicht überall so.

Als Unterstützungsmöglichkeit könnte ich mir einen Ansprechpartner beim ThILLM bzw. einen Crashkurs für Seiteneinsteiger:innen, in dem es vor allem um Lehrpläne, um die Schulcloud und anders geht, vor und nicht nach dem Berufsstart vorstellen.

Bereust Du Deine Entscheidung aus heutiger Sicht oder warum würdest Du den Seiteneinstieg mit gleichzeitiger Nachqualifizierung anderen empfehlen?

Nein, ich bereue es definitiv nicht. Es ist eine große Herausforderung für mich und als nächstes steht dann noch die Nachqualifizierung vor der Tür. Mein Respekt vor diesem Beruf ist in den letzten Monaten enorm gewachsen. Ich muss noch viel lernen, Methoden ausprobieren und die Abende mit Unterrichtsvorbereitung verbringen. Der Intensivkurs hat mir klar gemacht, dass es nicht die eine perfekte Lehrerin, den einen perfekten Lehrer gibt. Jede und jeder muss den eigenen Stil finden. Und genau das macht es so spannend.

Welche drei Dinge wünschst Du Dir im Hinblick auf einen guten Seiteneinstieg?

  1. Den Austausch mit anderen Seiteneinsteiger:innen.
  2. Zeit zum Hospitieren, mehr und überhaupt.
  3. Methodische und didaktische Tipps, um Schüler:innen zu motivieren.

Vielen Dank.

 

Zur Erklärung: Die Vorgehensweise in Thüringen

Nachqualifizierung von Seiteneinsteiger:innen mit dem Ziel der Befähigung für ein Lehramt

Die Nachqualifizierung mit dem Ziel der Befähigung für ein Lehramt umfasst

-> eine pädagogisch-praktische Ausbildung einschließlich spezieller bildungswissenschaftlicher und fachdidaktischer Veranstaltungen sowie

-> eine staatliche Prüfung, die sich an den Anforderungen der Zweiten Staatsprüfung für das entsprechende Lehramt orientiert.

Als Voraussetzung für die Teilnahme an dieser Nachqualifizierung muss die Lehrkraft, die an einer Schule im staatlichen Schuldienst in Thüringen eingestellt wurde, einen Hochschulabschluss nachweisen,

  • der an einer Universität oder gleichgestellten Hochschule erworben wurde, und
  • der nach § 22 Absatz 2 Thüringer Lehrerbildungsgesetz der Ersten Staatsprüfung für ein Lehramt gleichgestellt wurde.

Weiterhin können Lehrkräfte mit einem an einer Universität oder gleichgestellten Hochschule erworbenen Hochschulabschluss zur Teilnahme an der Nachqualifizierung zugelassen werden,

  • bei denen der Abschluss wegen fehlender oder nicht ausreichender fachwissenschaftlicher Studien- und Prüfungsleistungen der Ersten Staatsprüfung für ein Lehramt nach § 22 Absatz 2 Thüringer Lehrerbildungsgesetz nicht gleichgestellt werden konnte,
  • die aber bezogen auf mindestens ein Ausbildungsfach die Voraussetzungen für eine Gleichstellung nach § 22 Absatz 2 Thüringer Lehrerbildungsgesetz erfüllen.

Für diese Lehrkräfte erfolgt die Nachqualifizierung nur in mindestens einem Ausbildungsfach. Für eine vollständige Anerkennung ist nach erfolgreichem Abschluss der Nachqualifizierung der Erwerb der Lehrbefähigung in den fehlenden Ausbildungsfächern durch eine Prüfung in einem weiteren Fach (Ergänzungsstudiengänge an der Friedrich-Schiller-Universität Jena) oder den Abschluss eines als gleichwertig anerkannten weiterbildenden Studiums (Zertifikatsstudiengänge der Universität Erfurt) erforderlich.

Die berufsbegleitende Nachqualifizierung kann nicht von Lehrkräften absolviert werden,

  • die eine Erste Staatsprüfung für ein Lehramt erworben haben oder
  • die einen der Ersten Staatsprüfung als gleichwertig anerkannten Hochschulabschluss nachweisen oder
  • die bereits mit dem Vorbereitungsdienst für das entsprechende Lehramt in Thüringen begonnen haben.

Diese Lehrkräfte können die Befähigung für das entsprechende Lehramt nur durch das Absolvieren des Vorbereitungsdienstes und dem erfolgreichen Abschluss der Zweiten Staatsprüfung erwerben.

Auszug aus: „Seiteneinstieg in den Thüringer Schuldienst“ des Thüringer Ministeriums für Bildung, Jugend und Sport

 

 

Kontakt
Dr. Michael Kummer
Referent für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
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