Demokratie ist bekanntermaßen eine der gesellschaftlichen Organisationsformen, die gelernt werden kann. Insofern ist es sehr begrüßenswert, dass die Thüringer Landesregierung mehr als drei Millionen Euro und damit deutlich mehr Mittel als früher für diese Lernprozesse zur Verfügung stellt.
Das derzeitige Thüringer Landesprogramm „Denk Bunt“ hat viel in Bewegung gebracht, was Gewerkschaften seit Langen forderten. Auch das klare Bekenntnis, diese Förderung auf Dauer zu stellen, kann man kaum kritisieren. Immerhin ermöglichen diese Mittel, dass sich die Gesellschaft über die Gefahren, die der Demokratie drohen, selbst aufklärt. Darüber hinaus wird es möglich, uneingelöste Demokratieversprechen oder demokratisierungsresistente Räume zu identifizieren. Dies alles geschieht im Rahmen der unterschiedlichsten Projekte. Dass diese auch noch wissenschaftlich begleitet und evaluiert werden, trägt viel dazu bei, dass die geförderten Konzepte und Projekte über die Jahre hinweg qualitativ besser wurden. Insofern hat Helmut Holter Recht, wenn er vermeldet, hierbei handele es sich um „eine Investition in lebendige Demokratie“.
Diese demokratische Lebendigkeit vermisst man allerdings weitgehend beim Umgang mit dem eigenen Verantwortungsbereich. Zwar sind alle Fachressorts an der Überwachung und Kontrolle des Landesprogramms beteiligt und senken bei Anträgen und Projekten auch schon mal den Daumen. Aber sie geben keine Auskunft über die Aktivitäten, die sie selbst in ihren Verantwortungsbereichen unternehmen, was sie wie mit wem gegen oder für was zu tun gedenken oder getan haben. Das ist die absolute Leerstelle bzw. die fehlende Lehrstelle. Darüber hinaus hat es hinsichtlich der Demokratieerziehung in der Schule in den letzten Jahren keine breit angelegten und klar sichtbaren Anstrengungen, geschweige denn wahrnehmbare Fortschritte gegeben. Aber gerade dort wäre es nicht nur notwendig, sondern auch möglich.
Deshalb ist es auch wenig verwunderlich, wenn Lehrer*innen, Polizist*innen und Verwaltungsangestellte Klage führen, sie seien auf die Herausforderung eines demokratischen Aufbruchs innerhalb der Institutionen schlecht vorbereitet, bekämen kaum Unterstützung „von oben“, fühlen sich als Engagierte im Landesdienst alleine gelassen. Leitbilder würden zwar en gros verabschiedet, Unterstützungssysteme und Qualifizierungen dafür aber kaum existieren. Oder Vorgesetzte gäben zu verstehen, dass andere Prioritäten Vorrang genössen.
Im Prinzip sollte das Gesamtkonzept „Landesprogramm“ eigentlich langfristig an seiner eigenen Überflüssigmachung mitarbeiten. Die Idee war – v. a. als die derzeitigen Regierungsparteien noch in der Opposition waren – autoritäre und hierarchische Mentalitäten in den Landesinstitutionen in demokratische und offene zu verwandeln. Um damit demokratisches Potenzial zu stärken. Und demokratische Verhaltensweisen und Handlungsnormen überall im Regelvollzug zu etablieren.
Hierüber fehlt jegliche Bilanzierung, Evaluation, meist sogar auch nur der Ansatz eines Konzepts. Das ist die Schwachstelle jener „Investitionen in die lebendige Demokratie“: Ist also gerade dort, wo das Lernen verantwortet wird, etwa vergessen worden, dass man Demokratie nicht nur lernen kann, sondern dass man sie auch lernen muss, am besten überall und am allerbesten in der Praxis?
- Auszeichnung für das jahrelange couragierte Engagement für Demokratie und Zivilcourage