The Hill we climb
Erwachsenenbildung und Corona in Jahr drei
Es ist zwar üblich, nach der Weihnachtspause wieder zum Allgemeinplätzchenbacken überzugehen, aber in vielerlei Hinsicht ist dies nicht despektierlich. Als Corona-Allgemeinplätzchen ist zu konstatieren, dass die grundlegenden Probleme des Sektors Erwachsenen- und Weiterbildung noch einmal schärfer zu Bewusstsein kommen.
Verschärft werden diese noch durch die zumindest in Thüringen besonders problematische politische Situation, dass es an einer mit parlamentarischen Mehrheiten ausgestatteten Regierung und einem rechtzeitig verabschiedeten Landeshaushalt mangelt. Dies ist vor allem für die öffentlich verantwortete Erwachsenenbildung problematisch, weil nun die durch Corona schon sehr unsicher gewordenen Planungshorizonte für Kurs- und Veranstaltungsorganisation auch noch von der Finanzierungsseite her mit zusätzlicher Unsicherheit belastet werden.
Das Überhandnehmen von Projektfinanzierungen mit ganz kurzen Planungshorizonten führt bei Einrichtungen und v. a. bei Beschäftigten zu weiterer Verunsicherung. Zumal, wenn im Ergebnis zwar die Fördermittel und -programme zunehmen, die Zeithorizonte ihrer Umsetzung aber immer kürzer werden. Was nutzen millionenschwere Programme, wenn sie gesteuert werden als ginge es um Brosamen vom Tisch zufälliger politischer Mehrheiten mit kaum absehbarem Verfallsdatum?
Bildung auf Halde
In Ministerien und Verwaltungen wird zudem offensichtlich allzu häufig davon ausgegangen, dass man Bildung „auf Lager halten“ könne, und bei Bedarf ausliefere. Ein prägnantes Beispiel dafür, das auch unsere Schulkolleg:innen sicherlich gut nachvollziehen können, ist letztes Jahr im Frühsommer geschehen: Ferienkurse für Schüler:innen. Wie sagte es eine hierfür zuständige Volkhochschulmitarbeiterin: „Wie bei der Deutschen Bahn. Beim ersten Schneefall fällt denen auf, dass auch dieses Jahr wieder Winter sein wird. Beim Kultus heißt der Bahnwinter Sommerferien“ Hintergrund war, dass im März 2021 mitten im Corona-Hoch massiv Mittel für Ferienkurse zur Verfügung standen. Auch die Erwachsenenbildung sollte eingebunden werden, aber viel kam bei der Stachanow-Kampagne nicht rum.
Corona-Management
Das ließe sich auch auf das regionale Corona-Management übertragen. Einheitliche Regeln? Fehlanzeige. Misslich für landesweit agierende Einrichtungen. Höherer Organisationsaufwand, weniger generelle Nachfrage und unsichere und niedrigere Teilnehmendenzahlen bei allgemein höheren Aufwendungen je Kurs und vor allem Teilnehmenden. Überforderung der Leitungen undMitarbeiter:innen, zunehmender Frust wegen viel Vorbereitung und wenig Realisierung. Man muss seinen Beruf schon sehr lieben …
Erwartbarer Fachkräftemangel
Dies trifft auf eine Fachkräftesituation, in der die Branche dringend mittelfristiger Stabilität bedarf, weil die vorwiegend befristete Beschäftigung bei der aktuellen Arbeitsmarktlage nicht mehr attraktiv genug ist. Bei den Honorarkräften kommt zusätzlich hinzu, dass es zu einer Abwanderung in andere Branchen kommt, die stabilere Einkommen ermöglichen.
Kursleiter:innen mit gefragten Fachkompetenzen – Stichworte IT oder Pädagogik – finden als Quereinsteiger:innen auf absehbare Zeit woanders bessere und v. a. sichere Arbeitsbedingungen, meist mit Aufstiegschancen, den die eher flach hierarchisierte Erwachsenenbildung kaum bieten kann.
Volkshochschuldirektor:innen klagen schon darüber, dass das Kursangebot in Zukunft kaum mehr wie vor Corona aufrechterhalten werden kann, weil einfach Personal fehlt.
Nachfragerückgang
Dies ist derzeit noch nicht das große Problem, weil es von einem substanziellen Rückgang der Nachfrage nach Bildungsleistungen verdeckt wird. Wie schon in der großen Finanzkrise nach 2008ff. werden auch derzeit die Weiterbildungsaktivitäten, trotz des massiven Umfangs der Kurzarbeit von den betroffenen Unternehmen nicht dazu genutzt, das menschliche Arbeitsvermögen zu verbessern.
Faktisch findet keine Fortbildung während der Kurzarbeit statt, obwohl der arbeitsweltliche Wandel – Stichwort: Klima, Digitalisierung und Mobilitätsrevolution – gerade auch in Thüringen handgreiflich „auf der Straße“ liegt. Ein Indiz dafür, dass in den Industrie- und Dienstleistungsunternehmen so etwas wie Weiterbildungsplanung kaum existiert. Zum Nachteil der Beschäftigten in den Betrieben der beruflichen Weiterbildung. Und das vor dem Hintergrund, dass die Arbeitsagenturen und die Bundesanstalt mit neuen Förderlinien aufwarten, die sich gegenüber früher sehen lassen können.
Was Positives zum Schluss
Die Hilfe für die Einrichtungen der Erwachsenenbildung durch den Gesetzgeber und die Landesregierung war vorbildlich. Der Mittel wurden weiter ausgezahlt. Einbußen konnten ausgeglichen werden, was viel ist für eine Branche, deren Chance, Rücklagen zu bilden rechtlich (Gemeinnützigkeit) und wirtschaftlich sehr begrenzt sind. Gleiches gilt für die berufliche Weiterbildung, wo Kurzarbeitsregeln und Liquiditätshilfen die Krisenfolgen lindern halfen. Und, das darf man nicht vergessen, eine übergroße Koalition inklusive CDU ist auf dem Weg, die Mittel, die der Erwachsenenbildung zur Verfügung stehen, weiter zu erhöhen. Wenn es auch, wie oben dargestellt, an technokratischer Kompetenz und konzeptioneller Phantasie mangelt, wie diese am fördertechnisch sinnvollsten einzusetzen sind. Dieser Makel kann geheilt werden.
Was dringend ansteht
Es wäre zu hoffen, dass es noch in dieser Legislaturperiode zu einem Novellierungsanlauf des Erwachsenenbildungsgesetzes und v.a. auch des beruflichen Förderinstrumentariums kommen wird - Stichwort: ESf+. Dabei haben stabile Förderstrukturen eine wichtige Funktion, um den ganzen Bereich der Weiterbildung aus dem Malus der Projektförmigkeit zu entlassen. Ohne einen klaren Rahmen für stabile Beschäftigung und eine tarifliche Bezahlung ohne Wenn und Aber in Anlehnung an den TVL oder TVöD bei den Volkshochschulen wird dies nicht zu machen sein. Dicke Bretter sind da zu bohren, wenn etwa im Renommierprogramm DenkBunt die E 9 gerne noch als Maß aller Dinge unterhalb von Leitungsaufgaben angesehen wird, während in westlicheren Ländern die E 13 als Norm für pädagogisches Fachpersonal gilt.
Das ist ein Skandal angesichts des auch in Thüringen übergroßkoalitionären Raisonnement zum Thema Ostbenachteiligung. Dort wo sie aus eigener Kraft beseitigt werden kann, sind die Worte rar und die Taten bislang ungesehen.
„The hill we climb“ (Amanda Gorman) kann man „den Hügel, den wir besteigen“ übersetzen, in der Thüringer Erwachsenenbildung muss dies aber mit „den Berg“ übersetzt werden. Davor liegen aber bekanntermaßen „die Mühen der Ebene“ (Bertold Brecht).
Darauf ein Corona!
99084 Erfurt