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Interview mit dem Bildungsminister

Ein Landeshaushalt mit Abstrichen. Konsequenzen für den Bildungshaushalt 2024

Damit im Dezember letzten Jahres nach langwierigen und zähen Verhandlungsrunden der Haushaltsplan durch den Thüringer Landtag beschlossen werden konnte, hat die rot-rot-grüne Minderheitsregierung Änderungen an verschiedenen Haushaltsschwerpunkten einräumen müssen. Zu den Auswirkungen auf den Bildungsbereich haben wir den Thüringer Minister für Bildung, Jugend und Sport Helmut Holter befragt.

Thüringens Bildungsminister Helmut Holter - Foto: Steve Bauerschmidt / TMBJS

Welche Mittel wurden durch das TMBJS beantragt und welche hat es bekommen?

Im Haushaltsentwurf waren für mein Ministerium rund 2,236 Milliarden Euro vorgesehen, beschlossen wurden letztlich 2,239 Milliarden Euro. 98 Millionen mehr als im Haushalt 2023. Das wichtigste ist: Wir haben einen Haushalt. Damit können Behörden, Vereine und Verbände nahtlos und verlässlich arbeiten. Leider ist es nicht ganz der Bildungshaushalt, den wir, auch bundesweit übrigens, bräuchten, um den zahlreichen und vielfältigen Herausforderungen im Bildungswesen vollumfänglich gerecht zu werden. Es sind leider auch Bremsen eingebaut worden, wenngleich auch auf den ersten Blick im Schulbereich nicht gespart wurde. Auf die Sorgenfalten, die mich beim zweiten Blick überkommen, kommen wir sicherlich noch zu sprechen. Aber zunächst das große Ganze: Einzelplan 04 – das ist der Etat, den ich verwalte –, ist nicht nur der größte Einzeletat im Landeshaushalt, sondern mit seinen Positionen betrifft er direkt oder indirekt auch die Lebenswelt praktisch jedes einzelnen Thüringers, jeder einzelnen Thüringerin. Und genau genommen besteht ja ein parteiübergreifender Konsens, dass wir massiv in unser Bildungssystem investieren müssen, nicht nur für Chancengerechtigkeit, sondern auch, um international konkurrenzfähig zu bleiben.

Wie lief die Debatte ab?

Sie kennen die politische Konstellation in Thüringen: Die rotrot-grüne Minderheitskoalition ist auf Stimmen der Opposition angewiesen und muss Ausgleich und Kompromiss nicht nur untereinander, sondern auch mit der Opposition suchen. Das ist die demokratische Realität, und es gehört zu den Stärken der Demokratie, dass man auch unter solchen Bedingungen zueinanderfindet um des Landes und seiner Menschen willen. Aber natürlich prallen da auch gegensätzliche Interessen aufeinander. Die Haushaltsdebatten waren daher sehr anspruchsvoll und teilweise zäh, es wurde viel gerungen und es wurde uns auch einiges wieder abgerungen und weggestrichen, das wir fest im Plan hatten. Die wochenlangen Verhandlungen fanden kurz vor Weihnachten ihren Abschluss. Das ist ein Erfolg, denn der Haushaltsbeschluss bedeutet wichtige Planungssicherheit für viele Akteurinnen und Akteure, aber er hat auch einen Beigeschmack.

Wir bekommen zum Beispiel keine Erhöhung der Mittel für Schulsozialarbeit im Jahr 2024. Zur Wahrheit gehört auch, dass der Haushalt eine globale Minderausgabe von etwa 150 Millionen Euro vorsieht, die die Landesregierung einzusparen verpflichtet ist. Die CDU hat hier also einen Rotstift angesetzt, ohne zu sagen, was genau gespart werden soll. Aber der Rotstift wird sicherlich auch wieder den Bildungsbereich in Millionenhöhe treffen. Eine globale Minderausgabe hatten wir schon 2022, und sie hat es uns sehr schwer gemacht, mit gutem Schwung aus der Coronakurve zu kommen. Denn sie ist für die Regierung so etwas wie eine eingebaute Bremse. Das ist ungefähr so, wie wenn man beim Auto die Handbremse beim Losfahren nicht löst: Man kommt nicht auf Touren und am Ende quietscht, raucht und riecht es. Ich kann nur mutmaßen, was die CDU damit vorhat: Offenbar soll der Regierung das Regieren erschwert oder unmöglich gemacht werden. Aber davon lasse ich mich nicht ins Bockshorn jagen.

Welche Vorhaben sind damit umsetzbar?

Als großen Erfolg können wir im Personalbereich die Höhergruppierung der Sonderpädagogischen Fachkräfte verbuchen. Diese war längst überfällig und ist nun endlich enthalten. Auch die Tarifsteigerungen für alle Angestellten sind natürlich eingepreist. Mit 1,559 Milliarden Euro haben die Personalausgaben einen Anteil von 70 Prozent an den Gesamtausgaben des Einzelplans. Die Steigerung beträgt hier ca. 70 Millionen Euro.

Im Herbst 2024 wird erstmalig an der Uni Erfurt das duale Regelschullehramtsstudium starten. Wir gehen da mit der Uni einen völlig neuen Weg. Auf der Habenseite steht auch, dass wir Pädagogische Assistentinnen und Assistenten nun unbefristet und in größerer Zahl einstellen können. 2023 eingeführt, 2024 schon verstetigt: Für Thüringer Verhältnisse ist das sehr schnell. Auch das Modellprojekt zu Schulverwaltungsassistentinnen und -assistenten können wir ausbauen und weitere Landkreise dafür ins Boot holen. Damit werden wir den Weg der Multiprofessionalität konsequent weitergehen, auch wenn die Bremse bei der Schulsozialarbeit schmerzt.

Und auch für 2024 gilt: Wir werden konsequent so viele Neueinstellungen wie nur möglich vornehmen. Die Einstellungen haben weiter höchste Priorität.

Welche Vorhaben können nicht realisiert werden bzw. wo wurde der Rotstift angesetzt?

Wir können die Schulsozialarbeit nicht ausbauen, obwohl das Gesetz im Landtag bereits in der Beratung war. Jetzt aber die Bremse. Auch das Kindergartengesetz steht auf Halt. Wir hatten ein weiteres beitragsfreies Jahr geplant und eine Verbesserung des Betreuungsschlüssels. Jetzt die Bremse. Damit wird sich die Qualität in den Kindergärten nicht wie erwartet verbessern, sie wird sich allerdings auch nicht verschlechtern. Das Ziel muss aber auch für kommende Haushaltsverhandlungen bleiben, Familien finanziell stärker zu entlasten: Beitragsfreiheit ist da ein großes Pfund, das vielen Familien zugutekäme.

Einige schmerzliche Einschnitte mussten wir leider auch im Bereich Demokratieförderung hinnehmen. Hier wurden insgesamt 473.000 Euro gekürzt. Das ist in den extrem aufgeheizten Zeiten, in denen wir gerade leben, schwer zu verdauen und für mich auch unverständlich.

Welche Auswirkungen hat der Haushalt auf die Arbeitsbedingungen der Kolleg:innen vor Ort?

Das ist ein weites Feld. Fangen wir mal bei Schulgebäuden an: Das Bauministerium wird seine Schulbauförderung, die wir gemeinsam ja ausgebaut haben, fortsetzen können, damit die Kommunen hier weiter den Investitionsstau abarbeiten können. Gute Schulgebäude sind natürlich wichtig. Die technische Digitalisierung wird voranschreiten. Die Mittel aus dem Digitalpakt sind praktisch komplett an die Kommunen ausgereicht und werden aktuell verbaut, sofern die Projekte nicht schon abgeschlossen sind. Ich mache mich mit meinen Kolleginnen und Kollegen der anderen Länder in Berlin für eine Fortsetzung des Digitalpakts stark. Stark gemacht haben wir uns auch dafür, dass der Bund das StartChancen-Programm endlich auflegt und untersetzt. Da gibt es jetzt endlich Signale, dass es im Sommer starten kann. Das Programm sieht die langfristige Förderung von ausgewählten Schulen über zehn Jahre vor – 100 werden es in Thüringen sein. Vor allem Bildungsungerechtigkeit soll damit gezielt bekämpft werden, weshalb wir hier auch erstmals mit einem Sozialindex bei der Auswahl arbeiten werden.

Arbeitsbedingungen haben natürlich auch mit Wertschätzung und Anerkennung zu tun. Da haben die Tarifparteien einen für beide Seiten guten Tarifabschluss erzielt, der auch Anerkennung ausdrückt. Ich hatte bereits am Rande der Streiktage gesagt, dass ich diese Anerkennung für wichtig halte, denn einfach sind die Arbeitsbedingungen vor allem aufgrund des Lehrermangels und der aktuellen Krisen nicht. Wir können hier leider nur Schritt für Schritt erreichen – die Bewältigung des Lehrermangels ist eine Generationenaufgabe, denn es sind in den 1990er und 2000er Jahren entscheidende Fehler gemacht worden, vor denen Gewerkschaften übrigens rechtzeitig gewarnt hatten. Schnell wird es nicht gehen, ich mache mich und die Landesregierung da ehrlich. Aber die Verbesserungen, die möglich sind, die gehen wir mit aller Kraft an. Unter Ministerpräsident Bodo Ramelow sind 6.500 Lehrerinnen und Lehrer neu eingestellt worden, jede und jeder Dritte, der oder die aktuell im Schuldienst ist. Diese Größenordnung ist einmalig in Thüringen.

Klar ist aber auch, dass Schule immer ein Raum sein wird, der nah an den Herausforderungen der Menschen arbeitet. Es bleibt eine herausfordernde Arbeit, und ich bin sehr dankbar gegenüber allen, die diese Arbeit tagtäglich machen. Es gibt kaum eine wichtigere.

Welche eigenen Schwerpunkte sind Ihnen wichtig, was möchten Sie noch sagen?

2024 ist ein Wahljahr inmitten herausfordernder Zeiten. Das werden auch die Schulen spüren. Es stehen Kommunal-, Europa- und Landtagswahlen im Kalender. Es ist wichtig, dass wir jenseits aller Parteizugehörigkeiten und -affinitäten Demokratie als unseren gemeinsamen Gestaltungsraum betrachten, in dem Respekt, Toleranz und Offenheit wichtige Grundpfeiler sind. Politische Bildung gehört zum Bildungsauftrag unserer Schulen, Demokratieerziehung ebenso. Die Heftigkeit der Debatten hat zugenommen, der Ton wird verletzender, wir erleben auch ein Erstarken von ausgewiesenen Gegnerinnen und Gegnern der Demokratie. Das fordert uns heraus, die Demokratie umso stärker zu leben und zu verteidigen und die Grundwerte überall voranzustellen. In unserer Gemeinsamkeit liegt die Kraft.

Vielen Dank für das Gespräch!

Kontakt
Dr. Michael Kummer
Referent für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
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