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Rückblick

Corona und die Tarifrunde in Thüringen

Tarifrunden werden in der öffentlichen Wahrnehmung fast ausschließlich mit (Warn-)Streiks in Verbindung gebracht. Dabei sind sie – aus gewerkschaftlicher Perspektive – so viel mehr.

Tarifrunden beginnen für uns mit der Forderungsdiskussion durch die Mitglieder. Für die TV-L-Runde 2021 starteten wir unsere Diskussion in Thüringen im April 2021 im Rahmen einer Sitzung der Tarifkommission. Diese setzt sich aus Mitgliedern aus allen Kreis- und Betriebsverbänden zusammen, wobei die Verbände auch mehrere Personen in dieses Gremium entsenden können, um z. B. die unterschiedlichen Beschäftigtengruppen wie Lehrkräfte, Erzieher:innen oder Sonderpädagogische Fachkräfte auf Seiten der Kreise sowie Verwaltungsangestellte, wissenschaftliche Beschäftigte und Assistenzen auf der Seite der Hochschulbetriebe abzubilden. Ein buntes, quirliges Gremium.

Nach einem solchen Auftakt heißt es dann: rein in die Kollegien und dort die Diskussion vertiefen und schärfen. Aber auch mit Beschäftigten über die Sinnhaftigkeit gewerkschaftlicher Organisation sprechen, aufklären über die Möglichkeiten und Grenzen, innerhalb von Tarifverhandlungen Arbeitsbedingungen zu verändern. Alle diese Diskussionen wurden in einem zweiten Treffen der Tarifkommission im Juli 2021 zusammengeführt und schließlich auf Bundesebene Ende August eingebracht.

Digitale Formate

Bereits zu diesem Zeitpunkt war klar, dass diese Tarifrunde – wie auch schon ein Jahr zuvor die TVöD-Runde – unter den Vorzeichen der Corona-Pandemie zu organisieren sein würde: Erschwernisse bei Präsenztreffen, eingeschränkte Versammlungsmöglichkeiten, tagesaktuelle Prämissen bei den Beschäftigten. Als lernende Organisation hatten wir auf einige diese Herausforderungen nun Antworten: digitale Formate und intensivierte social media-Arbeit. Insbesondere die Erzieher:innen und Studierenden zeigten sich offen, mit einem Foto und persönlichem Statement, z. B. zur „Herzensforderung“, unser gewerkschaftliches Anliegen in dieser Tarifrunde bei den Nutzer:innen von Facebook, Instagram und Twitter bekannt zu machen. Auch jenseits sozialer Medien galt es Möglichkeiten zu organisieren, mit denen Gewerkschaftsmitglieder ihren Forderungen in der öffentlichen Wahrnehmung Nachdruck und Durchsetzungswille verleihen konnten.

Reale Aktion

Am siebzehnten November führten wir vor der Thüringer Staatskanzlei in Erfurt einen Aktionsnachmittag durch. Dieser sollte insbesondere Beamt:innen und Beschäftigten aus dem Raum Mittelthüringen die Möglichkeit geben, sich außerhalb ihrer Arbeitszeit zu engagieren und somit Teil der „Tarifbewegung“ zu werden. Für ein „Speed-Dating“, bei dem Beschäftigte Fragen an Minister:innen stellen konnten, waren die Finanzministerin Heike Tauber und der Bildungsminister Helmut Holter vor Ort und standen Rede und Antwort. Insbesondere die anwesenden Sonderpädagogischen Fachkräfte nutzen die Chance sowohl aus finanzpolitischer als auch aus bildungspolitischer Sicht den jeweiligen Minister:innen Statements und Entwicklungsperspektive abzuringen. Abgerundet wurde dieser Aktionsnachmittag mit einer RegenschirmChoreografie zu Tim Bendzkos „Nur noch kurz die Welt retten“.

Warnstreik in klein

In Vorbereitung auf die dritte, finale Verhandlungsrunde am letzten Novemberwochenende und mit Blick auf die bis dato enttäuschende Haltung der Arbeitgeber zu den Themen Wertschätzung und Anerkennung, wollten wir dann auch in Thüringen ein Zeichen setzen und planten für den 25. November einen ganztägigen thüringenweiten Warnstreiktag. Doch bereits bei der Busbestellung durch die Kreisund Betriebsverbände wurde klar: viele GEW-Mitglieder scheuten vor einer Präsenzveranstaltung und einer Busanreise zurück.

Und die Entwicklung der Inzidenzen kannte ebenfalls kein Halten mehr, täglich wurden neue Klassenquarantänen gemeldet. Es galt die Notbremse zu ziehen: aus einem thüringenweiten wurde ein zentraler Jenaer-Aufruf, einzig die Jenaer Beschäftigten sollten sich auf dem Campus-Gelände versammeln und somit stellvertretend für die Thüringer Beschäftigten streiken. Eine Ausnahme bildete der Hochschulbereich: für alle Thüringer Hochschulen organisierten wir einen Online-Streik mit Streikversammlung im Videokonferenzraum und digitaler Streikliste.

Dabei konnte nicht ausbleiben, dass Mitglieder anderer Kreisverbände, die eigentlich vorgehabt hatten zum Streik zu kommen, enttäuscht waren. Trotz allem war es eine vernünftige, verantwortungsvolle Entscheidung.

Was bleibt von dieser Tarifrunde in Thüringen?

Wir haben nächste Schritte in Richtung digitale Vernetzung und Organisation gemacht. Die Kolleg:innen, die beim Aktionsnachmittag in Erfurt oder beim Streik in Jena anwesend waren, konnten für ihre Forderungen einstehen, Gesicht zeigen und sich mit anderen Beschäftigten austauschen und vernetzen.

Was aber auch mehr als offenbar wurde: die Gangart und Tonalität bei den Arbeitgebern des öffentlichen Dienstes ist härter geworden. Hier gibt es nichts zu „verschenken“. Ganz im Gegenteil: hier wird mit dem Wissen um pandemische Einschränkungen der Wirkungsmacht gewerkschaftlicher Aktionen auf Zeit gespielt und der Versuch unternommen, Verschlechterungen im Tarifwerk durchzusetzen.

Darauf gibt es eigentlich nur eine Antwort: gewerkschaftliche Organisation, um für die Durchsetzung der Arbeitnehmer:innen- und Beamt:innen-Rechte auch jenseits von Tarifrunden zu kämpfen.

Aber auch um in der nächsten Tarifrunde den Arbeitgebern deutlich zu machen: „Wir sind viele, wir sind laut, weil ihr uns die Wertschätzung klaut!“

Kontakt
Nadine Hübener
Referentin für Bildung
Adresse Heinrich-Mann-Str. 22
99096 Erfurt
Telefon:  0361 590 95 54
Mobil:  01573 336 02 98