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Genderverbot

CDU legt Schippe drauf – Kampf gegen Sprachrealität wichtiger als die Brandmauer?

Bereits im November 2022 beschloss die Thüringer CDU-Fraktion mit den Stimmen der AfD-Fraktion einen Antrag im Landtag, welcher Landesregierung, Landesbehörden und Landtag dazu aufforderte, geschlechtergerechte Sprache nicht zu verwenden. Mit einem neuen Antrag geht die CDU-Fraktion nun einen Schritt weiter: Geschlechtergerechte Sprache soll nun per Gesetz an Thüringer Schulen und in der Verwaltung verboten werden.

Erneut greift die CDU-Fraktion damit ein Thema auf, bei dem selbst CDUGeneralsekretär Linnemann warnt: „Wir sollten keine Kulturkämpfe führen.“ Er betont, „dass der Staat nicht vorschreiben sollte, wie jemand zu reden hat“1. Stattdessen stellen die Christdemokraten erneute übereinstimmende wissenschaftliche Erkenntnisse infrage: Die in der Gesetzesbegründung von 2022 prominent vorgetragene Behauptung, geschlechtergerechte Sprache würde das „tradierte binäre Geschlechtersystem von Männern und Frauen infrage [stellen]“, widerspricht sowohl biologischen Tatsachen, höchstrichterlicher Rechtsprechung als auch bundesgesetzlicher Gesetzgebung. Mindestens genauso gravierend wie die abermalige Anfeuerung eines Kulturkampfes auf dem Feld der Sprache wiegt bei dem erneuten Antrag das erwartbare Abstimmungsverhalten im Landtag: So kann die CDU-Fraktion den Antrag nur mit den leicht vorhersehbaren Stimmen der AfD-Fraktion beschließen. Mit dem Einbringen des Antrags macht die Thüringer CDU-Fraktion deutlich, wie löchrig die vermeintliche Brandmauer gegenüber jener AfD ist, die nach dem Landesverfassungsschutz als gesichert rechtsextrem gilt.

Doch wie steht es nun wirklich um geschlechtergerechte Sprache?

Bereits 2017 stellte das Bundesverfassungsgericht fest, dass der Artikel 2 des Grundgesetzes auch die geschlechtliche Identität von Menschen schützt, die sich dauerhaft weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuordnen lassen wollen. Folglich forderte das höchste deutsche Gericht einen weiteren positiven Geschlechtseintrag als weiblich oder männlich ein. Schließlich beschloss der Deutsche Bundestag im Dezember 2018 einen – unter der Federführung des damaligen CSU-Innenministers Seehofer entstandenen – Gesetzesentwurf zur Einführung des Personenstandes „divers“. Spätestens seit 2018 existiert damit auch rechtlich ein dritter Personenstand. Damit verfehlt der aktuelle CDU-Gesetzesantrag das selbstgesteckte Ziel einer rechtssicheren Sprache auf der Grundlage des Grundgesetzes.

Sprache bildet Realität – und Realität bildet Sprache

Fragen wir Menschen auf der Straße nach den Namen von Schauspielern, dann werden weit überwiegend männliche Personen genannt. Erst die Frage nach Schauspieler:innen liefert ausgeglichenere Antworten. Das Beispiel verdeutlicht eine sehr gut nachgewiesene sprachwissenschaftliche Erkenntnis: Die alleinige Verwendung des generischen Maskulinums fördert eine Gedankenwelt, die von Männern dominiert wird. Bereits seit den 1960er Jahren existieren Diskussionen über eine geschlechtergerechte deutsche Sprache. Seit 1998 empfiehlt die Duden-Grammatik Doppelnennungen („Schauspieler & Schauspielerinnen“), was heute keine Irritation im Lesen und Sprechen mehr auslöst. Studien belegen nicht nur, dass damit die Gedankenwelt geschlechtergerechter wird, sondern auch die Auswirkung auf Berufswahl und die Einschätzung der beruflichen Qualifikation von Frauen.2 Sprache formt auch die gedankliche und reale Welt, in der wir leben. Und genauso wie diese Welt und ihre Wahrnehmung durch den Menschen einem steten gesellschaftlichen Wandel unterzogen ist, so wandelt sich auch die Sprache. Ein Verbot dieser Entwicklung durch die fiktive Formulierung einer vermeintlich „wahren Sprache“ steht dem nicht nur entgegen, sondern ist auch anti-emanzipatorisch.

Wahre Sprache, Sprachpolizei und Barrierefreiheit

Immer wieder wird von Gegner:innen geschlechtergerechter Sprache ins Feld geführt, dass diejenigen, die diese nicht anwenden, von einer vermeintlichen „Gender-Lobby“ bestraft würden. Tatsächlich ist kein einziger Fall bekannt, in dem eine Schul- oder Hochschularbeit im generischen Maskulinum wegen dieser Verwendung negativ bewertet worden ist. Erst durch ein Verbot geschlechtergerechter Sprache wird eine Sprachpolizei eingeführt, die doch im CDU-Antrag kritisiert wird. Auch das Argument, geschlechtergerechte Sprache sei nicht barrierefrei, muss kritisch hinterfragt werden. Richtig ist, dass beispielsweise der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband e.V. feststellt, dass die Verwendung von Sonderzeichen beim Einsatz von Bildschirmvorleseprogrammen beim aktuellen Entwicklungsstand noch nicht geeignet ist. Gleichzeitig empfiehlt der Verband ausdrücklich geschlechtsneutrale Formulierungen (oder nachrangig: Beidnennungen). Auch beim Einsatz einfacher und leichter Sprache existieren erste Lösungsansätze. Ein Verbot geschlechtergerechter Sprache fördert also nicht die Barrierefreiheit, sondern verhindert die Entwicklung barrierearmer Varianten geschlechtergerechter Sprache.

Kontakt
Matthias Gothe
Mitglied im Landesausschuss Diversity
Adresse Heinrich-Mann-Str. 22
99096 Erfurt
Telefon:  0361 590 95 21