Unentschieden
Arbeitszeiterfassung? Ja und nein!
Seit dem Urteil des EuGHs zur verpflichtenden Arbeitszeiterfassung gibt es immer wieder heftige Diskussionen zwischen Befürworter:innen und Gegner:innen dieser Entscheidung. Gerade im Hochschulbereich gibt es dazu sehr gegensätzliche Meinungen. Die Einen kämpfen für eine grundsätzliche Erfassung der Arbeitszeit aller Personengruppen, da diese eine gewisse Schutzfunktion bieten können. Die Anderen sehen eine solche Erfassung eher als praxisfern und hinderlich für die tägliche Arbeit im Hochschulbetrieb.
Als Personalrats- und Gewerkschaftsmitglied einerseits und wissenschaftlicher Mitarbeiter andererseits schlagen bei diesem Thema zwei Herzen in meiner Brust, deren Takt jedoch nicht so recht in Einklang zu bringen ist. So liegt mir natürlich der Schutz der Mitarbeiter:innen sehr am Herzen, es ist aber auch Fakt, dass die Zusammensetzung des Personals an den Hochschulen sehr heterogen ist. Selbst innerhalb der verschiedenen Statusgruppen prallen hier sehr unterschiedliche Bedürfnisse aufeinander, die auch besondere Anforderungen an eine Zeiterfassung stellen bzw. dieser sogar entgegenstehen. Zu berücksichtigen sind beispielsweise die Interessen der Mitarbeiter:innen aus der Verwaltung, der technischen und wissenschaftlichen Mitarbeiter:innen in befristeten oder unbefristeten Arbeitsverhältnissen, der angestellten Promovend:innen, der studentischen und wissenschaftlichen Assistent:innen usw. Hinzu können auch noch Umstände aus dem privaten Umfeld kommen, die Einfluss auf die Arbeitsorganisation haben.
Schon an dieser Stelle wird klar, wie umfassend und vor allem komplex sich das Pro und Contra einer Arbeitszeiterfassung gestalten. Eine vollständige Diskussion im Rahmen dieses Artikels ist deshalb auch nicht möglich. Vielmehr sollen die hier aufgeführten Argumente zum Nachdenken anregen und Verständnis für die verschiedenen Positionen in der Diskussion schaffen.
Was spricht für eine Arbeitszeiterfassung?
Das Hauptargument der Befürworter:innen einer Arbeitszeiterfassung ist der Schutz der Mitarbeiter:innen.
Dieses Argument ist leicht nachvollziehbar. So soll beispielsweise das Personal vor unbezahlter Mehrarbeit bzw. nicht berücksichtigten Überstunden geschützt werden. Daneben gibt es aber auch Mitarbeiter:innen, die vor Selbstausbeutung geschützt werdenmüssen. Dabei handelt es sich um Fälle, die aus Neugier, Forscher drang und Idealismus nicht selten die Arbeitszeit aus den Augen verlieren und dadurch eine Unmenge unbezahlter Mehrarbeit leisten.
Nun kann hier argumentiert werden, dass dies die Freiheit eines/einer jeden Einzelnen ist, andererseits ist aber auch bekannt, dass dies später häufig zu gesundheitlichen Problemen führen kann, da Körper und Geist keine ausreichenden Erholungsphasen erhalten. Aus diesem Grund hat der Gesetzgeber eine Höchstarbeitszeit von 10 Stunden festgelegt. Zwischen den Arbeitsphasen ist daraufhin eine 11stündige ununterbrochene Ruhephase vorgeschrieben. Über Dienstvereinbarungen können hier zusätzliche Regelungen getroffen worden sein.
Was spricht gegen eine Arbeitszeiterfassung?
Das klingt erst einmal alles plausibel und nachvollziehbar, aber auch die Gegner:innen der Arbeitszeiterfassung haben stichhaltige Argumente, von denen im Folgenden einige angeführt werden sollen. So ist beispielsweise das Arbeitsumfeld von wissenschaftlichen Mitarbeiter:innen von Lehre und Forschung geprägt. Lehre kann hierbei zwischen 07:00 Uhr und 21:00 Uhr stattfinden. Wie soll also ein Lehrender, der im schlimmsten Fall zwei Veranstaltungen an den Randzeiten durchführen muss, damit umgehen? Danach spätestens 10 Stunden verpflichtend eine Ruhepause vorgesehen ist, müsste die Arbeitszeit zwischen beiden Veranstaltungen entsprechend unterbrochen werden. Richtig auf die Füße fällt es dann denjenigen Lehrenden, die über weite Strecken zu ihrem Arbeitsplatz pendeln müssen und nicht einfach mal zwischendurch nach Hause können, um sich zu erholen.
Auch Promovierende dürften wenig Verständnis für eine strikte Arbeitszeiterfassung haben, da deren primäres Ziel die Fertigstellung ihrer Dissertation ist. Hier wie auch sonst in der Forschung kommt es nicht nur darauf an, ob 8 oder 10 Stunden an einem Thema gearbeitet wird. Vielmehr tragen produktive und kreative Phasen dazu bei, Ergebnisse effizient zu liefern. Diese Phasen können nach Typus zu ganz unterschiedlichen Zeiten auftreten und auch mal länger als 10 Stunden dauern, wenn z. B. gerade Messreihen, Simulationen o.ä. durchgeführt werden. Häufig kommen auch noch Deadlines für Konferenzbeiträge, Meilensteine bei Projekten usw. hinzu.
Gerade zum Ende von Projekten liegt es in der Sache, dass sich Aufgaben häufen. Dann ist es für Mitarbeiter:innen schwer möglich zu sagen: „Meine Arbeitszeit ist erschöpft. Ich gehe jetzt nach Hause.“ Gerade befristete Mitarbeiter:innen, die auf eine Verlängerung ihres Arbeitsvertrages oder ein Nachfolgeprojekt hoffen, befinden sich hierbei in einer Abhängigkeit, die sie dazu zwingt, die Arbeitszeiterfassung zu umgehen bzw. Arbeiten in ihrer Freizeit durchzuführen, damit Ergebnisse rechtzeitige geliefert werden können. In solchen Fällen kann dann häufig die geleistete Mehrarbeit offiziell nicht abgerechnet werden, während diese sich bei einem System ohne Zeiterfassung (aber mit Vertrauensarbeitszeit) leicht mit Zeiten ausgleichen lassen würde, in denen freie Kapazitäten bestehen.
Das waren nur wenige Beispiele, die belegen sollen wie facettenreich sich eine Diskussion zum Thema gestaltet. Viele Beispiele lassen sich dabei übrigens sowohl als Pro- wie auch als Contra-Argument bzgl. Arbeitszeiterfassung verwenden, würden aber den Umfang an dieser Stelle sprengen. Deshalb soll jetzt nur noch kurz auf die Möglichkeiten der Zeiterfassung eingegangen werden.
Welche Möglichkeiten der Zeiterfassung gibt es?
Die Umsetzung der Zeiterfassung selbst birgt auch genügend Diskussionspotential, um mehrere Artikel zu füllen. Die wichtigsten Systeme dürften hierbei Stechuhr, automatische Dokumentation via Internet und (elektronische) Selbstdokumentation sein, wobei diese Varianten wieder in unterschiedlichster Form ausgeführt sein können. Bei der Selbstdokumentation sei noch erwähnt, dass diese dem/der Vorgesetzten in kurzen regelmäßigen Abständen zur Kontrolle vorgelegt werden muss, um dem Urteil des EuGHs zu entsprechen. Der jeweilige Vorgesetzte ist für die Erfassung verantwortlich und kann zur Rechenschaft gezogen werden. Ansonsten hat jedes dieser Systeme Vor- und Nachteile und passt für bestimmte Personengruppen mehr oder weniger gut. Und ja: Jedes System lässt sich hintergehen bzw. betrügen. Dies erscheint aber als Argument gegen eine Arbeitszeiterfassung zu kurz gegriffen, weil die Vertrauensarbeitszeit alleine Missbrauch auch nicht verhindern kann. Des Weiteren bietet die Abrechnung der Zeit selbst immer wieder Diskussionsstoff. So seien beispielsweise Wissenschaftler:innen angesprochen, die zu Hause eine Idee für ein gerade laufendes Projekt haben. Sollen sie diese Idee aufschreiben und gilt dies dann als Arbeitszeit? Sicher ist dieses Beispiel überspitzt, zeigt aber auch den Einfluss der Vermischung von Privatem und Beruflichen bzw. die sich daraus ergebenden Probleme bei der Arbeitszeiterfassung.
Wie bei vielen arbeitsrechtlichen Themen sind auch bei der Diskussionen zur Erfassung der Arbeitszeit viele Facetten zu berücksichtigen. Nach dem EU-Gesetz ist eine Arbeitszeiterfassung vorgeschrieben, deshalb wird man auch an den Hochschulen perspektivisch nicht um die Einführung selbiger herumkommen. Die Form der Erfassung ist im Gesetz nicht vorgegeben. Für die Hochschulen wäre demnach z. B. auch eine Kombination aus verschiedenen Erfassungssystemen für die verschiedene Personengruppen denkbar und sinnvoll.
Fazit und Aufruf zum Mitreden
Eine einfache Lösung, die jedem genügt, wird es dabei nicht geben. Jede/r Beschäftigte sollte deshalb den aktuellen Prozess der Diskussion und einer möglichen Einführung konstruktiv begleiten und sich daran beteiligen. Darauf sind dann auch die Personalräte angewiesen, die entsprechende (Rahmen) Dienstvereinbarungen aushandeln und dabei die bestmögliche Lösung finden müssen.