Zum Inhalt springen

Zum Wissenschaftszeitvertragsgesetz

Arbeitgeberverbänden einheizen! Hochschulpolitik steht im heißen TV-L-Herbst.

Es braucht einen Systemschock! Aufruf zur Beteiligung an den Protestaktionen zur Tarifrunde der Länder.

Foto: canva
Foto: canva

Die deutsche Hochschulpolitik der vergangenen Jahrzehnte ist ein Sorgenkind, das für die GEW zur Geduldsprobe geworden ist. Die Arbeitsbedingungen für die Statusgruppen unterhalb der Professor*innen in Deutschland liegen schon lange im Argen. Wer das 2009 veröffentlichte wissenschaftspolitische Programm der GEW liest, kann den Eindruck gewinnen, dass in den letzten 14 Jahren hochschulpolitischer Stillstand war – die Forderungen von damals haben ihre Aktualität bis heute nicht eingebüßt, die Beschäftigungssituation von nicht-professoralen Wissenschaftler*innen ist prekär, Kettenbefristungen sind für den akademischen Mittelbau Alltag. Wer eine sichere Position im deutschen Wissenschaftsbetrieb will, muss häufig eine jahrelange Durststrecke kurzfristiger Arbeitsverträge, unbezahlter Überstunden und Existenzangst hinnehmen, die man aushalten und sich leisten können muss – doch in den meisten Fällen zahlen sich die Entbehrungen nicht mit der erhofften Dauerstelle aus.

Vom zurückgezogenen Reformvorschlag zum Reförmchen

Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF)  bemüht sich seit Anfang dieses Jahres um einen Besserungsvorschlag. Doch den ersten Reformvorschlag vom 17. März zog das von der FDP geführte BMBF nach nur 51 Stunden zurück, nachdem es von allen Seiten Kritik hagelte. Die GEW und ihre Bündnispartner*innen, u.a. NGAWiss und die #IchBinHanna-Initiative bemängelten unter anderem, dass die Schärfung des extrem schwammigen Qualifizierungsbegriffs, mit dem das Sonderarbeitsrecht seit dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 02.02.2022 gerechtfertigt wird, ausblieb. Zurück in der „Montagehalle“ wurden die beteiligten Stakeholder – darunter die GEW in Vertretung von Andreas Keller – zur Anhörung eingeladen. Knapp drei Monate später lag am 06. Juni der überarbeitete Referentenentwurf vor. Wesentliche Änderungen sind Soll-Vorschriften für Mindestlaufzeiten von Erstverträgen (für Promovierende drei, nach der Promotion zwei Jahre, für studentische Beschäftigte ein Jahr), Drittmittelbeschäftigte sollen in den ersten Jahren gleichgestellt werden und haben ebenfalls Anspruch auf Vertragsverlängerung bei Mutterschutz, Elternzeit und chronischer Krankheit. Das sind kleine Schritte, die jedoch nicht ausreichen, um die Probleme des WissZVG zu lösen. Die Mindestvertragslaufzeit in der Promotionsphase muss der faktischen Promotionszeit von durchschnittlich 5,7 Jahren entsprechen und sollte 6 Jahre betragen. Mit Abschluss der Promotion muss die vollständige wissenschaftliche Qualifizierung anerkannt werden. Es braucht eine Befristungshöchstgrenze von 35%, um schrittweise mehr Dauerstellen und Verträge mit Anschlusszusage zu schaffen. Und nicht zuletzt sollte endlich die Tarifsperre fallen.

Von der Schwierigkeit sich gewerkschaftlich zu organisieren

Der Frust bei den Wissenschaftler*innen sitzt tief, die Überlegung, den akademischen Betrieb trotz Begeisterung für Forschung und Lehre zu verlassen, ist ein ständiger Begleiter. Dennoch tun sich GEW und ver.di mit der gewerkschaftlichen Organisierung der wissenschaftlichen Arbeiter*innen schwer. Die Beschäftigten können nicht auf jahrzehntelange Erfahrung gewerkschaftlichen Arbeitskampfes zurückblicken, wie klassischerweise ihre Kolleg*innen in der Industrie. Die GEWerkschaft ist unter Wissenschaftler*innen noch weitgehend unbekannt. Für Wissenschaftler*innen gab es noch nie einen bundesweiten Flächentarifvertrag. Eine entsprechende Sperre ist im WissZVG festgelegt und bleibt auch in der Reform erhalten. Hinzu kommen die extrem kurzen Beschäftigungszeiträume, der Konkurrenz- und Konformitätsdruck unter den „Peers“ beim Wettbewerb um Publikationsmöglichkeiten, sowie das Lehrstuhlprinzip, welches eine hohe Abhängigkeit der wissenschaftlichen und verwaltungstechnischen Beschäftigten von Professor*innen schafft. All dies macht die Mobilisierung für den Arbeitskampf voraussetzungsvoll. Nur wer eine sichere Stelle hat, keine Diskriminierung fürchten muss, keine Care-Arbeit leistet, oder einfach Glück mit seinem/ihren Arbeitgeber hat, der/die den Arbeitskampf unterstützt, glaubt, sich den Aufstand leisten zu können. Doch mit der Mobilisierungsenergie von TVStud zur Erkämpfung eines Tarifvertrags für studentische Beschäftigte in der aktuellen Tarifrunde der Länder rückt die Stärke der gewerkschaftlichen Organisierung auch ins Bewusstsein von immer mehr Wissenschaftler*innen (viele Mittelbauinitiativen lernten im Sommer von der Organizing-Strategie der studentischen Initiative für den heißen Herbst). TVStud konnte viele Studierende als Neumitglieder für GEW und ver.di gewinnen – es wäre schön, wenn sich dieser Effekt bald auch durch steigende Mitgliederzahlen des wissenschaftlichen Personals bei GEW und ver.di bemerkbar macht.

Worin sich die Kritik am WissZeitVG unterscheidet

So widerstreitend die Ziele der Interessensgruppen in der Hochschulpolitik sind, so einhellig teilen dennoch Gewerkschaften, Beschäftigtenbündnisse wie NGAWiss, Arbeitgeberverbände wie die HRK, Bund und Länder die Erkenntnis, dass die Sonderbefristungspraxis an Hochschulen und Forschungseinrichtungen der Qualität wissenschaftlicher Arbeit schadet. Das Wissenschaftszeitvertragsgesetz ist aber nur eine von mehreren Stellschrauben, an denen gedreht werden muss, um die Beschäftigungsverhältnisse im Wissenschaftssystem zu verbessern und die Qualität der wissenschaftlichen Arbeit zu gewährleisten. Bei den Verbesserungsvorschlägen, wie sie etwa in der Debatte um die WissZVG-Reform formuliert werden, zeichnen sich die Konfliktlinien bei den Lösungsvorschlägen ab. Sie verlaufen zwischen neoliberalen Beharrungskräften auf Wettbewerb und Konkurrenz nach dem unsolidarischen Credo der individuellen Leistung (HRK und DHV) und den Positionen von Gewerkschaften und Beschäftigtenbündnissen, die in sicheren und planbaren Beschäftigungsverhältnissen die notwendige Bedingung für ein konstruktives wissenschaftliches Denken sehen, das nicht von Existenzangst und Marktkonformität beschnitten wird.

Stellschrauben: Was andere schon besser regeln

Es gibt einige Beispiele aus den letzten Jahren, die zeigen, dass bei der Reform der Hochschulgesetze der Länder mehr möglich ist, als der aktuelle Novellierungsvorschlag des BMBF. Bereits 2014 novelliert Hamburg das Landeshochschulgesetz, wobei die Mindestlaufzeit von Erstverträgen für Promovierenden und Postdocs auf 3 Jahre festgelegt wurde und mindestens ein Drittel der Arbeitszeit für die wissenschaftliche Arbeit eingeräumt werden muss. Promovierende haben einen Anspruch auf mindestens eine halbe Stelle. Lehrpersonal und nicht-wissenschaftliches Personal sind grundsätzlich unbefristet einzustellen. Stellen in Drittmittelprojekten sollen für die gesamte Projektlaufzeit dauern. In der Dienstvereinbarung zwischen der Viadrina Universität in Frankfurt (Oder) mit dem Personalrat ist seit 2014 eine Mindestvertragslaufzeit für Promovierende von 3, für Postdocs von 4 Jahren festgelegt, Vertragsverlängerungen müssen jeweils mindestens 1 Jahr betragen. Mindestens 40% der Arbeitszeit sollen der wissenschaftlichen Arbeit zukommen. Postdocs sind grundsätzlich in Vollzeit anzustellen. Der Nachteilsausgleich wird zur Vorschrift. Drittmittelbeschäftigte sollen für die gesamte Projektlaufzeit eingestellt werden. 2021 novelliert Berlin das Landeshochschulgesetz und schreibt vor, dass Postdocs Anspruch auf eine Anschlusszusage haben bei befristeter Einstellung. Dies sind Schritte in die richtige Richtung, aber auch bei diesen Fällen gibt es noch viel Potenzial.  

Protest muss auf die Straße – Tarifrunde der Länder und TVStud

Aktuell läuft die Tarifrunde der Länder, in der TVStud den Tarifvertrag für studentische Beschäftigte erstreiten könnten und über die Entgelte und Inflationsausgleichsprämien der Hochschubeschäftigten entschieden wird. Im Bundestag wird der Referent*innenentwurf des BMBF zum WissZVG diskutiert. Dies ist die heiße Phase, in der es einmal mehr auf die starke Stimme des Bündnisses von Gewerkschaften und Beschäftigteninitiativen ankommt. Hoffnung macht die TVStud-Initiative, die bei einem erfolgreichen Ausgang der Anstrengungen viel Energie für den weiteren Arbeitskampf in der Wissenschaft mitbringen kann. Als GEW und zusammen mit unseren Bündnispartner*innen können wir zeigen, wie viele wir sind; beteiligen wir uns an den Protestaktionen und Kundgebungen in unseren Städten, an unseren Hochschulen und Universitäten – gemeinsam ist ein Systemschock möglich.

Ramona Mayer war Praktikantin bei der GEW Thüringen. Neben Fragen, die die Diversität der Gesellschaft betreffen, ist sie als Studentin auch stark an hochschulpolitischen Fragen interessiert.