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15 Jahre Bologna in Thüringen

Vor 15 Jahren wurde der Bologna-Prozess eingeläutet. Was hat sich in Thüringen dadurch verändert? Artikel aus tz 5/2014

Im schönen Bologna in Italien, weit weg von Thüringen, wurde vor 15 Jahren der Bologna-Prozess, wie wir ihn kennen, eingeläutet. Damals verständigten sich 29 Staaten auf gemeinsame Ziele zur Verbesserung des europäischen Bildungssystems. Vieles, was in der Vergangenheit vergessen worden war, fand hier Beachtung. Der Fokus sollte nicht länger darauf liegen, was im Studium gelehrt werden soll, sondern was die AbsolventInnen gelernt haben müssen. Zudem rückten die Bologna-Ziele die Studierenden in den Mittelpunkt und ergänzten Aspekte wie Studierbarkeit, soziale Rahmenbedingungen und Teilzeitstudium.

Doch von diesen Zielen ist an den Thüringer Hochschulen noch nicht viel umgesetzt worden. Dies zeigen auch die vielfältigen Proteste in Thüringen, allen voran die Bildungsstreiks in den
Jahren 2009, 2012 und zuletzt in diesem Jahr. Viele Studiengänge orientieren sich nicht an den Bologna-Zielen, sondern an rein formalen Vorgaben z. B. für die Modularisierung und die Berechnung der Leistungspunkte nach dem ECTS (European Credit Transfer and Accumulation System). So werden nützliche Instrumente wie das ECTS zum Fallstrick. Denn ursprünglich dient die Angabe der Arbeitsstunden in „Credit Points“ den Studierenden als Richtwert, wie viel Zeit sie für den Erwerb der vorgesehenen Kompetenz des entsprechenden Moduls benötigen. Die Idee dahinter ist, Studierenden bessere Planbarkeit für ihr Studium zu ermöglichen und Leistungen, die an anderen Hochschulen
im In- und Ausland erbrachten wurden, einfacher anzurechnen. Doch findet sich kaum eine Thüringer
Hochschule, die den Arbeitsaufwand nicht aus den früheren SWS (Semesterwochenstunden)
berechnet hätte, welche lediglich die Präsenzzeit benennen und Vor- und Nachbereitung nicht berücksichtigen. Obendrein gilt an unseren Hochschulen die Regel, je aufwändiger das Modul, desto stärker wird es in der Endnote gewichtet, obwohl solch eine Kausalität nie im ECTS angedacht war. Aber sollte nicht die Bedeutung der erworbenen Kompetenz für den Abschluss den Anteil an
der Endnote definieren?

Natürlich! Denn eine hohe Gewichtung der bedeutendsten Kompetenzen würde für alle Klarheit darüber schaffen, welche Fähigkeiten der Studiengang vermittelt.

Doch dieser veränderte Fokus weg vom Input hin zum Outcome lässt sich nicht in wenigen Schritten umsetzen. Ziele und Kompetenzen, die auch berufliche Fähigkeiten einschließen müssen und damit für den Arbeitsmarkt befähigen, müssen in den Gremien der Hochschulen diskutiert werden und dann Schritt für Schritt in einen Studiengang übersetzt werden. Daran sollte sich schlussendlich auch eine Antwort auf die Frage ergeben, ob ein Bachelorabschluss in 6, 7 oder 8 Semestern erlangt wird.
Solche Prozesse benötigen jedoch viel Zeit, Geld und Unterstützung. Doch in Zeiten unterfinanzierter Hochschulen gab es keine Gelder, die Thüringer Hochschulen allein für die Umsetzung des Bologna-Prozesses erhielten und dafür hätten nutzen können. So wurden viele Studiengänge in kürzester
Zeit modularisiert – im übrigen ist die Modularisierung ein rein deutsches Phänomen –, teils in Kommissionen und teils allein durch Lehrende. An vielen Stellen hätten Studierende und MitarbeiterInnen einbezogen werden können und müssen. Die Konsequenz sind mühsame Versuche der Studierenden, im Dialog mit den Dekanaten und Hochschulleitungen die so entstandenen Probleme zu lösen. Die 2011 gemeinsam durch die Konferenz Thüringer Studierendenschaften (KTS), die Landesrektorenkonferenz (LRK) und das Thüringer Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur
(TMBWK) erarbeiteten Empfehlungen zur weiteren Umsetzung der Bologna- Reform sind an den meisten Hochschulen Thüringens in der Schublade verschwunden. Oder wie an der Bauhaus-
Universität Weimar nach Vorstellung im Senat und kleineren Änderungen nicht weiter verfolgt worden.
Aber die Probleme sind so aktuell wie 2011. Die Prüfungszeiträume sind viel zu kurz und führen beispielsweise an der FSU Jena in Zweifachstudiengängen teilweise sogar zu Überschneidungen
einzelner Prüfungstermine. Solche Probleme werden verschärft, wenn keine Nachholprüfungen angeboten werden.

Auch in puncto Gleichstellung bleibt Vieles offen. Obwohl Nachteilsausgleiche in den Ordnungen erfasst sind, sieht es mit deren Umsetzung nicht rosig aus. Besonders stiefmütterlich behandeln die Hochschulen das Thema Teilzeitstudium. Und dass, obwohl die Zahlen der letzten Jahre einen deutlichen Anstieg von Erwerbstätigkeit neben dem Studium zeigen. Auch die familiäre Situation ist von großer Bedeutung, gerade vor dem Hintergrund, dass jeder fünfte Studienabbruch familiär begründet wird. Vier der Thüringer Hochschulen werben daher auch mit ihrer Zertifizierung als familienfreundliche
Hochschule. Doch eine Ansprechperson und Willkommensgeschenke für Neugeborene von Hochschulangehörigen allein machen noch keine Familienfreundlichkeit. Meist sind die betroffenen Studierenden mit der Flut an Bürokratie für studien- und prüfungsrechtliche Organisation allein. Es gibt kaum Hilfe bei der Planung von Veranstaltungen und der Wechsel ins Teilzeitstudium muss wiederholt
beantragt und überprüft werden.

Aktuell wird die gemeinsame Arbeit der KTS, der LRK und des Ministeriums wieder aufgenommen, um einen neuen Anlauf zu nehmen, die eigentlichen Ziele der Bologna-Reform doch zu erreichen. Auch nach 15 Jahren liegt also weiterhin viel Arbeit vor den Hochschulen. Und der Optimismus stirbt zuletzt.

Janine Hofmann

Janine Hofmann war von März 2010 bis Juli 2011 Bologna-Expertin und behält auch heute die Entwicklungen kritisch im Blick.