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Innenperspektiven

Bedingungen in der Schulsozialarbeit

Immer mehr Schulsozialarbeiter:innen sind an den Thüringer Schulen tätig – so auch Jan Haasler an der GEM 10 in Erfurt. Als GEW-Mitglied beantwortete er ausführlich unsere Fragen nach seinen aktuellen Arbeitsbedingungen.

Aus welcher Motivation heraus bist Du Schulsozialarbeiter geworden?

Nach dem Diplomstudium Erziehungswissenschaften/Sozialpädagogik/Sozialarbeit an der TU Dresden kam ich eher zufällig zur Schulsozialarbeit. Während ein Studienfokus und auch das Thema meiner Diplomarbeit im Bereich der Armutsforschung lagen, sammelte ich meine Praxiserfahrungen in einer Kindertagesstätte im Erfurter Norden. Die erste Stelle, auf die ich mich erfolgreich bewarb, war 2015 eine Stelle der Schulsozialarbeit durch den PERSPEKTIV e.V. in Erfurt an einer Regelschule in Erfurt Rieth. Ich wurde sowohl im Träger, von meiner damaligen Tandemkolleg:in sowie der Schulleitung bzw. dem erweiterten Schulleiter-Kollegium freundlich, offen und auch sehr ehrlich aufgenommen. Auch die Kinder und Jugendlichen nahmen mich gut auf bzw. testeten mich insofern, als dass ich meine heutigen Ansätze zur Beziehungsgestaltung schon frühzeitig erproben und erlernen konnte. Frisch vom Studium kommend hatte ich mir gar nicht vorgestellt, im schulischen Kontext zu landen und meinen mittlerweile fast zehnjährigen Berufsalltag zu verbringen. Inhaltlich fühlte ich mich zwar nicht per se „fit“ für die Tätigkeit (trotz guter Kenntnis der „Sozialpädagogik der Lebensalter“), dennoch brachte ich Einiges mit, was mir bis heute von Vorteil ist: eine schnelle Auffassungsgabe und Anpassungsvermögen an immer wieder sich ändernde Situationen – häufig mehrfach täglich. Die gute Begleitung durch den Träger und die je einzelnen Kolleg:innen haben es mir sehr erleichtert, in diese Tätigkeit mit all ihrer Vielfalt, ihren Verrücktheiten und teilweise Unverrückbarkeiten in den jeweiligen Systemen (Schule/Jugendhilfe) hineinzuwachsen.

Welche Arbeitsbedingungen findest Du als Schulsozialarbeiter vor und wo schränkt Dich und Deine Kolleg:innen das ein?

Grundsätzlich finden wir in Thüringen gute Bedingungen vor auf Grund des Landeprogrammes, der Förderrichtlinie und den Fachlichen Empfehlungen zur Schulsozialarbeit. Viele arbeitnehmerrechtlichen Bedingungen sorgen dafür, langfristig in der Tätigkeit zu bleiben und bleiben zu können. In den jährlichen Sachberichten reflektieren wir das gelaufene Schuljahr. Bezogen auf meinen Standort, an dem ich tätig bin, unterscheide ich zwei Ebenen: Die Kooperation mit der Schule (Schulleitung/Kollegium) und die dortigen Rahmenbedingungen und die stadtteilbezogene Kooperation bzw. Rahmenbedingungen. Als Standort im „Brennpunkt“ (auch wenn dieser Begriff veraltet und überfrachtet scheint, stellt er für mich das passende Begriffskonstrukt dar) begegnen wir einer hohen Zahl von Fällen und genereller Arbeit mit einer multiplen Problemlage (vgl. Helbig/Jähnen 2018, Erfurter Sozialstrukturatlas): Armut, Migration und Flucht, Bildungsbenachteiligung und daraus resultierende Konflikte und Problemfelder (Gewalt, Kindeswohlgefährdung, Schuldistanz, psychische Krankheiten, Sucht u.v.m.).

Die Arbeitsbedingungen laut Kooperationsvereinbarung mit der Schule sind (an meinem Standort) sehr gut. Angefangen von einer Schulleitung, die Schulsozialarbeit in ihren Anfängen mit unterstützt hat, der Kommunikation und Kooperation auf Augenhöhe bis hin zu einem Kollegium, das weitgehend die Möglichkeiten, Chancen und Grenzen unserer Tätigkeit verstanden hat. Wir haben die meisten sächlichen Ressourcen durch die Schule, die wir benötigen bzw. die entsprechende Rückendeckung diesbezüglich. Es sind eher die stadtteilspezifischen und standortspezifischen Komplikationen (Doppelstandort, unklare Perspektive seit Jahren für den Schulstandort, dauerhaftes Vertrösten bzw. politische Lippenbekenntnisse ohne tatsächliches Handeln in aushaltbaren Fristen), die das Arbeiten immens erschweren. Am zwangsläufigen Zweitstandort haben wir keine günstigen Rahmenbedingungen (nicht durch die Schule verschuldet) und ohnehin sorgt ein Doppelstandort für das Auseinanderdriften von fachlichem Anspruch und realistisch möglicher Arbeitswirksamkeit. Die Kooperation mit anderen Akteur:innen im Stadtteil läuft dank eines engagierten Jugendhauses und eines engagierten Stadtteilbüros besser, als wir es von uns heraus aktuell gestalten könnten. Trägerintern bin ich in eine gut aufgebaute und gewachsene Fachlichkeit im Gesamtteam gewachsen.

Schulsozialarbeiter Jan Haasler - Foto: privat

Welche Dinge müssten sich ändern, werden es aber vermutlich nie tun?

Ich bin der Ansicht, Fachkräfte können ziemlich viele – im kleinen und mittleren Bereich durch ihre Flexibilität und Anpassungskompetenzen – kreative Stellschrauben drehen, um in gewissen, nicht optimalen Bedingungen dennoch so zu arbeiten, dass Wirksamkeit entsteht. Unmögliches, wie politische Dynamiken oder Dinge, die durch willkürlich erscheinende Entscheidungen durch Ministerium, Amt bzw. dahinterliegende Sachlogik und Abhängigkeiten entstehen, schleifen auf Dauer ab. Bewährtes kann nicht erhalten bleiben, zu viel Arbeitszeit wird verbraucht in bürokratischen, abrechnungstechnischen oder organisatorischen Angelegenheiten oder in der Beschäftigung mit dem Abwenden von Folgen, die nicht in unserer Hand liegen. Beispiele hierfür sind: unfair erscheinende Zuweisungspolitik in Stadtteil und Schule, städtischer Spielball Schulstandort, unfair erscheinende Ausstattung und Konstitution der Schulgebäude im Vergleich z.B. zu anderen Schulformen oder Stadtteilen, Corona-Pandemie-Folgen usw. Manche Dinge obliegen der Schule (wie sächliche Ausstattung) und sind somit nicht per se umsetzbar (z.B. ob ich im Sommer im Büro Vorhänge/ Rollos habe oder nicht). Diese Situation ist nicht zu ändern – aber vielleicht der Umgang damit.

Was könnte leicht und schnell verbessert werden?

Schnell und leicht könnte verbessert werden, dass

  • die Anerkennung und Wertschätzung nicht nur aus den unmittelbar kooperierenden Akteuren heraus erfolgt (auch dort haben wir alle noch Potenzial), sondern auch von der Seite der Politik, dem Ministerium, Stadtteilpolitiker:innen usw. Häufig entsteht das Gefühl, die Arbeit, die man macht, hat keine Relevanz oder Bedeutung im Außen, obwohl sie immens wichtig und fruchtbar sein kann. Auch ein dauerhafter Dialog mit dem Allgemeinen Sozialen Dienst des Jugendamtes wäre schön und ist sicherlich auch möglich. Manchmal scheinen diese Aspekte personenbezogen aber nicht grundsätzlich und prinzipiell. Ich finde eine Kultur der gegenseitigen Wertschätzung und der Kommunikation/des Dialoges ließe sich mit etwas Organisation etablieren.
  • Diesbezüglich gibt es Bemühungen seitens der SPD (u.a. dank des Engagements von Denny Möller, in Runden Tischen die Akteure rund um die Schulsozialarbeit (Politik, Fachkräfte, Trägerleitungen, Fachberatungsstellen und fachliche Begleitung usw.) einen Dialog herzustellen. Insbesondere in Thüringen läuft die Finanzierung der Fachkräfte gut. Auch die in den letzten Jahren auf den Weg gebrachten Fachlichen Empfehlungen sowie die Novellierung des ThürSchulG und des SGB8 mit je einem eigenen Artikel zur Schulsozialarbeit sehe ich als wichtige Schritte und Erfolge an.

Wie und warum willst Du Deine Kolleg:innen zur Gewerkschaftsmitgliedschaft aufrufen?

Häufig kommen Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Konflikte auf. Nicht selten hat im Kampf Kapital-Arbeit die:der Arbeitnehmer:in das Nachsehen: Wenn es um Stellenverschiebungen geht, wenn es um unbegründete Kündigungen oder Kürzungen geht, wenn es (wie oben skizziert) um Abteilungsverschiebungen geht usw., wenn es um eine Betriebsratsgründung geht, um das Ausfechten von Tarifzahlungen, bei der Organisation von Protest-Aktionen zu bestimmten Themen (meist Kürzungen). Im Rahmen meiner Mitgliedschaft genieße ich rechtlichen Beistand (den ich selbst gern nutze – und zwar auch schon dann, wenn ich rechtlich nicht sicher bin bei bestimmten Entwicklungen oder Situationen, die mich als Arbeitnehmer betreffen). Die Sicherheit, jemanden in meinem Rücken zu wissen, der mich kompetent und nicht nur, wenn es brenzlig wird, mit einem guten Netzwerk unterstützt, gibt mir Mut für das Bewältigen meiner täglichen Aufgaben im Beruf.

Vielen Dank.

Die Fragen wurden gestellt von Michael Kummer, Redakteur der tz

 

Zitierte Quellen:

• Helbig, Marcel/ Jähnen, Stefanie 2018: Wie brüchig ist die soziale Struktur unserer Städte? Trends und Analysen der Segregation in 74 deutschen Städten, Discussion Paper, Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung

• Hohm, Hans-Jürgen 2003: Urbane soziale Brennpunkte, Exklusion und soziale Hilfe, Leske und Budrich, Opladen.

• Landeshauptstadt Thüringen Stadtverwaltung Erfurt 2017 (Hrsg.): Kinder- und Jugendförderplan 2017 bis 2021.

• Landeshauptstadt Thüringen Stadtverwaltung Erfurt 2020 (Hrsg.): Sozialstrukturatlas 2020

Kontakt
Dr. Michael Kummer
Referent für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Adresse Heinrich-Mann-Str. 22
99096 Erfurt
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