Die Situation in den Modellregionen stellte sich vor dem Betriebsübergang wie folgt dar:
- Die Kollegien waren mehrfach gespalten. Zum einen in Lehrer*innen und Erzieher*innen, die neben ihren unterschiedlichen Arbeitsaufgaben in der Institution Grund- bzw. Ganztagsschule über verschiedene tarifliche Bedingungen verfügten und einem anderen Dienstherren unterstanden. Zum anderen wirkte sich diese Differenzierung bis hin in das Erzieher*innen-Team aus. Es gab noch vor dem Modellprojekt eingestellte und somit dem Landesdienst zugehörige Erzieher*innen und eben die neueingestellten kommunalen Erzieher*innen. Beide Gruppen führten die gleiche Tätigkeit aus, wurden aber als Arbeitnehmer*innen sehr unterschiedlich behandelt.
- Die Befristung der Arbeitsverträge für die im Modellprojekt eingestellten Erzieher*innen wirkte sich ebenfalls negativ aus. Den Beschäftigten war nie klar, ob es für sie eine Perspektive in der Thüringer Ganztagsschule geben würde.
Die Binnendifferenzierung und die Perspektivlosigkeit sind heute – nach Beendigung des Modellprojekts und dem Betriebsübergang der kommunalen Beschäftigten zum Land Thüringen – aufgehoben.
Das ist aber nur eine Seite der Medaille.
- Denn erstens wechselten die Kolleg*innen in das zum derzeitigen Zeitpunkt ungünstigere tarifliche Sytem des Tarifvertrags der Länder (TV-L). Dort gibt es – anders als im Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Kommunen (TVöD) – für Erzieher*innen keine eigene Entgeltordnung und somit auch keine spezifischen Eingruppierungsregelungen. Neue Abschlüsse mit ihren jeweiligen Tätigkeitsprofilen wie etwa „Kindheitspädagogik“ haben bislang im TV-L keinen Niederschlag gefunden, was die Anerkennung als Fachkraft erschwert. Ohne den Einsatz der GEW Thüringen im Zuge des Betriebsübergangs für eine übertarifliche Anerkennung der neuen Abschlüsse, wären viele Beschäftigte als Nicht-Fachkräfte eingruppiert und somit schlechter bezahlt worden.
- Zweitens wird in Thüringen derzeit wieder flächendeckend auf Personalberechnungsmuster zurückgegriffen, die den Betrieb einer echten Ganztagsschule erschweren: Personalschlüssel von 1 zu 25 und Beschäftigungsumfänge von nur zwanzig Wochenstunden bei neueingestellten Erzieher*innen und den Beschäftigten, die immer schon im Landesdienst waren.
- Diese Praxis und die tarifliche Schlechterstellung führen drittens dazu, dass es für Erzieher*innen nicht attraktiv ist, im Schulbereich zu arbeiten. Die Situation an den Grundschulhorten ist regional dramatisch. Dauerhafte Unterbesetzungen führen zu einem Qualitätsverlust, sowohl inhaltlich als auch fachlich. Denn zur Umsetzung des Thüringer Bildungsplans benötigt man ausreichend und gut ausgebildetes Personal. Basierend auf diesen Verschlechterungen herrscht bei den Kolleg*innen vielerorts Demotivation und zum Teil Resignation vor. Sie stellen berechtigterweise die Frage nach dem Sinn und Zweck von Modellprojekten jenseits politischer Profillierung. Sie sehen, dass mitb der Beendigung des Modellprojekts Erfahrungen, Errungenschaften und positive Entwicklungen nicht übernommen wurden. Die in den letzten Jahren unter Berücksichtigung kommunaler Besonderheiten etablierten Ganztagsschulstrukturen werden zunehmend in Frage gestellt oder schlichtweg unmöglich gemacht.
Denn wie sollen die Kolleg*innen rhythmisierte Strukturen und Netzwerkarbeit aufrechterhalten, wenn ihnen dafür die Zeit und die Kapazitäten fehlen? Wie befördert und erhält man multiprofessionelle Teams, wenn bestimmte Beschäftigtengruppen noch nicht einmal als Fachkräfte anerkannt und somit benachteiligt werden?
Umsetzung des GEW-Ganztagsschulkonzepts weiter Aufgabe
Die GEW Thüringen wird weiterhin mit ihrem Konzept „Ganztagsschule von Anfang an“, in dem die Vorstellungen zur Ganztagsschule im Interesse der Kinder und der Beschäftigten konkretisiert und definiert sind, an die Thüringer Landesregierung herantreten und dessen Umsetzung fordern. Konkret fordern wir:
- eine Überarbeitung der Verwaltungsvorschrift zur Zuweisung des Personalschlüssels, d. h. Erhöhung des Faktors für den gemeinsamen Vormittag von jetzt 0,1 pro Schüler auf 0,3 pro Schüler,
- die Anpassung des Berechnungsschlüssel für die Hortkinder an die gewachsenen Aufgaben wie Inklusion und Umsetzung des Thüringer Bildungsplans, und
- eine Änderung des Schulgesetzes durch Definition von Ganztagsschule, die Festschreibung der Rolle des Erziehers im Ganztag sowie eine verbindliche Formulierung zur Umsetzung des Thüringer Bildungsplans.
Als Ansatzpunkt dient uns der zwischen den Parteien DIE LINKE, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNE vereinbarte Koalitionsvertrag:
„Die Thüringer Grundschulen werden weiter zu Ganztagsschulen entwickelt. Dazu werden im Schulgesetz die Aufgabenbeschreibung, die Qualitätsanforderungen und die Ausgestaltung der Ganztagsschulen erfasst. Wir werden uns mit den Gewerkschaften auf einen festzulegenden und abzusichernden Betreuungsschlüssel verständigen. Grundlage dafür ist die pädagogische und organisatorische Einheit der Ganztagsschule. Weitere differenzierte Formen ganztägiger Betreuungs-, Erziehungs- und Bildungsangebote wollen wir im Rahmen der Stärkung kommunaler Bildungslandschaften fördern.“ (Koalitionsvertrag, S. 48)
Dafür werden wir uns im Interesse der GEW-Mitglieder und gemeinsam mit diesen einsetzen!