Zwischenstand
Wir fordern mehr Tempo, mehr Offensive und mehr Geld für Frühkindliche Bildung
Die Berufe in der frühkindlichen Bildung sind inhaltlich attraktiv. Was wir in Zeiten des aktuellen Fachkräftemangels brauchen, sind attraktivere Arbeitsbedingungen, damit mehr Menschen diesen Beruf ergreifen wollen und auch in ihm verbleiben.
Thüringen steht dennoch durch sinkende Kinderzahlen vor einem Strukturwandel. Dieses Zeitfenster muss genutzt werden, um endlich den Qualitätsanspruch, den frühkindliche Wissenschaft fordert, auch zu erfüllen. Die bis 2030 sinkenden Kinderzahlen dürfen nicht zu Einsparmaßnahmen führen, sondern müssen jetzt in gute Ausbildung und attraktive Arbeitsplätze investiert werden. Im Rahmen eines Fachgesprächs am 8. Februar und einer Anhörung im Thüringer Landtag am 4. März hatten wir die Chance, Eure Sichtweise auf Ausbildungs- und Arbeitsbedingungen in der Frühkindlichen Bildung zu verdeutlichen und daraus Forderungen abzuleiten.
1. Die dringend notwendige Verbesserung der Personal- und Betreuungsschlüssel geht nur schleichend und viel zu langsam voran.
Auch gut qualifizierte und hochmotivierte Fachkräfte können den Bildungsauftrag aufgrund unzureichender Rahmenbedingungen nicht oder nur eingeschränkt umsetzen. Das bedeutet in der Konsequenz: schlechte und auf Dauer häufig überfordernde Arbeitsbedingungen.
Wir fordern deshalb endlich einen verbindlichen Zeitplan für weitere Verbesserungen des Personalschlüssels. Das Ziel dabei muss heißen: 1:3 im Bereich der Unterdreijährigen und 1:7,5 im Bereich der Überdreijährigen. Die Stichtagsregelungen sowie der Faktor für die tägliche Betreuungszeit haben zur Konsequenz, dass die Beschäftigungsumfänge der Erzieher:innen häufig verändert und angepasst werden, und ziehen damit Personaldiskontinuität nach sich. Wir fordern, dass es zukünftig nur noch einen Stichtag gibt und die tägliche Betreuungszeit auf 10 Stunden angepasst wird. Zudem müsste die fachliche Arbeit außerhalb der Gruppe mit 20
Prozent und Ausfallzeiten mit 18 Prozent der Arbeitszeit berücksichtigt werden. Insgesamt sollte der Personalschlüssel demnach 38 Prozent der Arbeitszeit für Tätigkeiten berücksichtigen, die nicht direkt am Kind erbracht werden. Entscheidend dabei: ab sofort müsste jede Verbesserung der Personal- und Betreuungsschlüssels, mit dem ein Träger den oben genannten Zielen näher kommt, durch die Kommunen und das Land refinanziert werden. Damit ginge kein Träger ein Risiko ein, wenn er Arbeitsbedingungen verbessert. Zugleich wäre die parteiübergreifend gern angewandte Schutzbehauptung, es gebe keine Fachkräfte und man könne deshalb nichts tun, überall dort sofort widerlegt, wo sich aufgrund besserer Arbeitsbedingungen Fachkräfte finden lassen.
2. Eine Reform der Erzieher:innenausbildung wurde verschleppt und die Fachkräfteoffensive verpasst.
Das Thüringer Kindergartengesetz enthält ein bundesweit vorbildliches Fachkräftegebot. Wir alle kennen aber auch den Personalmangel und wissen von unbesetzten Erzieher:innenstellen. Die seit Oktober 2020 bestehende Möglichkeit, Assistenzkräfte unter Anrechnung auf den Betreuungsschlüssel einzustellen, lehnen wir trotzdem weiterhin ab und fordern die bis Juli 2023 befristete Anerkennung nicht zu verlängern.
Nach unserem Kenntnisstand hat die befristete Anerkennung nicht dazu geführt, dass die Assistenzkräfte mittelfristig eine berufsbegleitende Fachschulausbildung absolvieren. Sie stehen den Einrichtungen somit nicht für erzieherische Tätigkeiten zur Verfügung und eignen sich nicht, den Fachkräftebedarf zu erfüllen. Von 2015 bis 2019 ist die Zahl an Absolvent:innen, die an Thüringer Fachschulen eine Erzieherausbildung absolvierten, von 1.117 auf 795 gesunken . Als Gründe dafür können die fünf Jahre langeund unvergütete Ausbildung sowie die Konkurrenz zu anderen Tätigkeitsfeldern identifiziert werden.
Um mehr Fachkräfte für den Bereich der Frühkindlichen Bildung zu gewinnen, schlagen wir vor:
- Lehramtsstudiengänge der Sozialpädagogik quantitativ auszubauen
- Schulgelder und Ausbildungsgebühren abzuschaffen
- Die Praxisintegrierte Ausbildungsform (PiA) zu stärken und auszubauen.
Die Berufe in der frühkindlichen Bildung sind inhaltlich attraktiv. Was wir in Zeiten des aktuellen Fachkräftemangels brauchen, sind attraktivere Arbeitsbedingungen, damit mehr Menschen diesen Beruf ergreifen wollen und auch in ihm verbleiben.
PiA ist durch die erweiterten Zugangsmöglichkeiten und durch die tarifliche Vergütung ein Erfolgsmodell. Dabei gilt es aber zu beachten:
- Die Auszubildenden haben den Status Lernende und sollten daher nicht auf den Personalschlüssel angerechnet werden.
- Es ist eine Ausbildungsvergütung nach TVöD vorzusehen.
- Fachschulen brauchen zusätzliche Kapazitäten und Mittel, z.B. für die Ausbildung der Praxisanleiter:innen, Konzepterstellung, Supervision und Kooperation mit der Praxisstelle.
- Die Praxisanleitung braucht ausreichend Zeitressourcen ab dem ersten Ausbildungstag.
- Die Ausbildung in mindestens einem zweiten Arbeitsfeld ist mit einer Freistellungsregelung zu gewährleisten
3. Wir müssen weg vom Prinzip „Billiger machen!“
Mal offen formuliert, mal verdeckt, fast nie im Sinne des Bundesgesetzgebers und den Intentionen des SGB VIII, aber fast immer mit dem gleichen Ergebnis: Schlechterstellung der Beschäftigten in Kindergärten freier Träger, die nicht nach TVöD bezahlen, gegenüber kommunalen Kindergärten. Tarifflucht, Pseudotarifverträge, fast immer aber aus den Tarifverträgen des öffentlichen Dienstes. Mit anderen Worten: Noch immer zahlen nicht alle Träger nach TVöD. Noch immer gibt es große Gefälle in der Bezahlung der Fachkräfte.
Deshalb fordern wir die Aufnahme einer Tariftreueklausel in das Thüringer Kindergartengesetz. Diese würde auch zur Umsetzung des im Koalitionsvertrages bekannten Willens, die Arbeitsbedingungen der Erzieher:innen zu verbessern, beitragen:
„Wir sorgen für faire Entlohnung und gute Arbeitsbedingungen für alle Beschäftigten unabhängig von der Trägerschaft der Einrichtung und lehnen uns an die Bestimmungen des Tarifvertrags für den Öffentlichen Dienst an. Im Landeshaushalt werden auch in Zukunft ausreichende Mittel eingeplant, um den Trägern der Kindergärten eine ausreichende Refinanzierung anzubieten, wenn sie mit ihren Fachkräften eine mindestens am TVöD orientierte Bezahlung vereinbaren.“ (Gemeinsam neue Wege gehen, Koalitionsvertrag für die 7. Wahlperiode des Thüringer Landtags, Seite 12)
Ich will noch einmal an den Anfang zurückkehren: Thüringen hat mit dem anstehenden Strukturwandel die Chance, den Qualitätsanspruch, den frühkindliche Wissenschaft fordert, auch zu erfüllen, wenn zuvor in eine gute Ausbildung sowie attraktive Arbeitsplätze durch Personalschlüsselverbesserungen und tarifliche Entlohnung investiert wurde.
Wir müssen heute verbindliche Schritte für ein Morgen festlegen und damit guter Bildung in den Thüringer Kindergärten, Krippen, Kindertageseinrichtungen und in der Kindertagespflege den Weg ebnen.
99096 Erfurt