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Das politische Mandat der Gewerkschaft

Wie hält es die GEW Thüringen mit der Politik?

Während die einen verlangen, dass sich ihre GEWerkschaft politisch neutral verhält, sich ausschließlich um die Tarifarbeit und die Verbesserung von Arbeitsbedingungen kümmert, erhoffen sich andere eine lautstarke Stimme in gesellschaftspolitischen Debatten. Es geht aber nicht um „entweder oder“. Es sind zwei Seiten einer Medaille, zwei Handlungsstränge, die aufeinander verweisen und einander bedingen.

Symbolbild - Quelle: Canva Pro

Parteipolitisch unabhängig, aber eben nicht neutral

Ja, es stimmt: Gewerkschaften sind partei-, staats- und gegnerunabhängige selbstständige Organisationen. Aber Parteiunabhängigkeit bedeutet nicht politische Neutralität. Gewerkschaften setzen ihre Ziele in Tarifverhandlungen durch und durch die Mitgestaltung politischer Willensbildungsprozesse im Zusammenhang mit Gesetzesnovellierungen und Gesetzentwürfen. Ohne die politische Einflussnahme würden bspw. Personalvertretungsgesetze, Besoldungsgesetze und Arbeitszeitgesetze ohne die Stimme der Arbeitnehmenden entstehen und damit eine wichtige Perspektive fehlen. Das heißt, überall dort, wo sich gewerkschaftliche Forderungen nicht über das Mittel eines Tarifvertrages umsetzen lassen, müssen sich Gewerkschaften in Austausch und bestenfalls in Kooperation mit politischen Parteien begeben. Anderes kann sich auch eine GEW Thüringen nicht leisten.

Es liegt dabei auf der Hand, dass es mit vielen demokratischen Parteien Gemeinsamkeiten und Unterschiede gibt, die mal mehr oder weniger offensichtlich sind. Es ist deshalb wichtig, mit allen demokratischen Parteien und ihrem parlamentarischen Arm im Gespräch und im Diskurs zu bleiben. Eine solch verstandene politische Neutralität ist ganz sicher angemessen und in gewisser Hinsicht auch notwendig, um politische Mehrheitsverhältnisse durch praktische Erfahrungen mitzusteuern.

Kritik an Parteien gehört dazu

Politische Neutralität bedeutet im Umkehrschluss jedoch nicht, demokratische Parteien nicht kritisch beäugen und Fehldeutungen und -entscheidungen öffentlich verurteilen zu dürfen, ganz im Gegenteil. Politische Mitwirkung beginnt bei ganz grundsätzlichen Fragen:

  • Wie stehen Parteien zur sozialen und wirtschaftlichen Gerechtigkeit?
  • Wie stehen sie zur Frage der Umverteilung gesellschaftlichen Reichtums?
  • Wie halten sie es mit der Umsetzung der Menschenrechtskonvention in allen Belangen des Lebens?

Das berührt am Ende auch die Frage, wie konkret Parteien mit gesellschaftlichen Konflikten umgehen. Verstehen sie sich als Teil der Lösung oder skandalisieren sie bspw. Realitäten in der Hoffnung, damit bestimmten radikalen Positionen den Raum zu nehmen?

Als GEW-Landesvorsitzende habe ich bereits 2016 in einem Artikel für die tz Juni geschrieben:

„Ich bin überzeugt davon, dass Gewerkschaften nicht nur Interessenvertreterinnen der Arbeitnehmer:innen sind, politisches, kulturelles und soziales Mandat haben. Jenseits von Parteigrenzen können Gewerkschaften aus der Sicht der abhängig Beschäftigten gesellschaftliche Herausforderungen bewerten und Kraft ihrer Mitglieder auch mitbestimmen und gestalten. Diese Chance haben wir, wir nutzen sie selten.

Frühere gewerkschaftliche Forderungen nach „Samstags gehört Vati mir“ und später die „35-Stunden-Woche“ berührten mehr als das Tarifthema Arbeitszeit. In diesem Zusammenhang wurden gesellschaftliche Konzepte verhandelt: Familienbild, Selbstbestimmung, Zeit für gesellschaftliche Teilhabe. In diese Auseinandersetzungen haben sich die Gewerkschaften, vor allem die IG Metall, lautstark eingebracht und am Ende Erfolge verzeichnen können.

Die heute immer und immer wieder geführte Debatte um die Erhöhung des Renteneintrittsalters ist ebenfalls nicht ausschließlich ein tarifliches Thema, dem man allein mit Tarifverträgen zur Altersteilzeit begegnen könnte. Die Frage der Rente berührt unser Selbstverständnis als Sozialstaat, unsere solidarische Verantwortung und Zukunft der Erwerbsarbeit. Welche Auswirkungen auf beispielsweise Bildung hat es, wenn Menschen immer länger immer fitter, geistig flexibel und mobil sein müssen? Wie müssen dann Arbeitsbedingungen aussehen, wenn immer ältere Menschen in Kitas und Schulen arbeiten sollen?“

Ein Missverständnis, ganz klar

Um es noch einmal deutlich zu sagen: Es handelt sich um ein Missverständnis, dass sich Gewerkschaften aus gesellschaftlichen und/ oder aus parteipolitischen Debatten heraushalten könnten. Gute Bildung und gute Arbeit für alle von Anfang an, das ist die Grundhaltung der GEW und der GEW Thüringen. Und eben diese gute Bildung und gute Arbeit können nur dann gut sein, wenn sie für alle gilt, wenn sie für Integration und Inklusion sorgen, wenn sie Vielfalt ermöglichen und Toleranz und Akzeptanz lehren, wenn sie den Blick für die Welt öffnen statt sich vor ihm verschließen.

Werteverbundenheit der GEW als Richtschnur

Damit das, was wir Freiheit nennen und als Sicherheit und Solidarität wahrnehmen, auch weiterhin und noch mehr für alle gilt, gibt es eine Einschränkung unserer Arbeit mit demokratischen Parteien. Denn die GEW vertritt Werte, sie steht für sie ein und kämpft um deren Erhalt. Parteien, wie die vom Verfassungsschutz beobachtete AfD, Zusammenschlüsse wie die Freien Thüringer, Freie Sachsen oder Neue Rechte zielen mit ihrer Politik darauf ab, diese Werte auszuhöhlen. Freiheit nur für Biodeutsche, Sozialstaat nur für die, die leistungsfähig sind, Nationalstaatsgläubigkeit statt eines starken Europas. Wenn also diese Parteien und Organisationen zu Demonstrationen aufrufen, ist Widerspruch Pflicht. Auch und gerade für die GEWerkschaften, in deren Geschichte die Zerschlagung durch die Naziherrschaft eingebrannt ist.

Meinungsfreiheit bedeutet auch, Widerspruch auszuhalten

Es geht bei all dem nicht darum, die Meinungsfreiheit einzuschränken. Meinungsfreiheit geht jedoch nicht einher mit dem Anspruch auf Widerspruchsfreiheit. Wer die Werte, für die wir als GEW Thüringen mit den anderen Gewerkschaften und zahlreichen Wohlfahrtsverbänden, Organisationen und auch demokratische Parteien stehen, aushöhlt und angreift, braucht öffentlichen Widerspruch. Deswegen werden wir uns auch weiterhin in Bündnissen wie Zusammenstehen beteiligen und zu Demonstrationen aufrufen, die sich denen, die die Demokratie für ihre Zwecke missbrauchen, entgegenstellen.

Kontakt
Kathrin Vitzthum
Landesvorsitzende
Adresse Heinrich-Mann-Str. 22
99096 Erfurt
Telefon:  0361 590 95 12 (Sekretariat)