Wie sieht die weitere Agenda der Regierung aus? Das wird die große Frage auch in der Erwachsenenbildungspolitik sein. Zumal die Hinweise aus dem Koalitionsvertrag hier nicht weit tragen. Jedenfalls: Man hat sich verabredet, die notwendig werdende Novellierung des Erwachsenenbildungsgesetzes um ein Jahr zu verschieben. Das bietet Zeit, ausführlich zu diskutieren, wie die Abkehr von den bisherigen Rückbauschritten der letzten CDU-Kabinette gelingen könnte. Immerhin hatte Christoph Matschie in der Großen Koalition es vermocht, das finanzielle Ausbluten zu stoppen und einen bescheidenen Aufwuchs an Landesförderung auf den Weg zu bringen.
Eigentlich müsste nun R2G diesen Weg forcieren. Und, das erwarten die Träger und Einrichtungen, den Status der Erwachsenenbildung als wirkliche „Vierte Säule“ des Bildungssystems (wieder)herzustellen. Nämlich über den Rechtsanspruch auf Landesförderung statt der bisherigen „Förderung nach Maßgabe des Haushalts.“ Oder wie man gerne aus Ministeriumskreisen verlauten lässt: „Als so etwas wie Projektförderung.“
Also nach einem Jahr kann man nicht unzufrieden sein. Blickt man allerdings nach vorne, dann ist bestenfalls verhaltener Optimismus angesagt. Die drei ersten Haushalte von Rot-Rot-Grün lassen noch viel Spielraum nach oben – wenn man das Wahlprogramm der Linkspartei zum Maßstab nimmt. Dort wurde die Zielmarke der Erwachsenenbildungsfinanzierung mit einem Prozent des Bildungshaushalts angegeben. Das ist auch die Forderung der GEW, des DGB und der Erwachsenenbildungsträger. Je nach dem wie man rechnet, wäre der Etat zu verdoppeln – danach sieht es derzeit nicht einmal im Ansatz aus. Die Frage ist zu stellen: gibt es wenigstens einen beschreitbaren Ausgabenpfad für die nächsten drei, vier Jahre? Und wie steht die Finanzministerin dazu?
Dabei liegen die Notwendigkeiten der Mehrausgaben klar auf der Hand: Bislang ist das Thüringer Bildungssystem nicht darauf ausgelegt, Bildung für die Einwanderungsgesellschaft Thüringen bereit zustellen. Allenfalls in der Jugend- und Erwachsenenbildung sind interkulturelle Bildungskonzepte geübte Praxis in den Einrichtungen. Dort etwa ist der Umgang mit heterogenen Lerngruppen State of the Art. Betrachtet man Erwachsenenbildung auch als Weiterbildung für diese Herausforderung, dann müsste aktuell und mittelfristig nicht nur mehr Geld fließen. Sondern es müssten auch systematisch erstellte und erprobte Konzepte zielgerichtet durch das Ministerium gefördert und zur berufsbegleitenden Fortbildung für Erzieher*innen, Lehrer*innen, Sozialarbeiter*innen und ehrenamtlich Engagierten eingesetzt werden. Von Plänen in diese Richtung hört man bislang wenig bis nichts. Das wäre aber eine Voraussetzung eines inklusiveren Bildungssystems, das als Leitbild ja seit Jahren von den Protagonist*innen von Rot-Rot-Grün gefordert wird. Nur moralische Bekenntnisse und Appelle nützen hier wenig, wenn diejenigen, die die Institutionen mit Leben füllen müssen, mit ihren Problemen alleine gelassen werden. Das fördert Frust und Affekte, die sich gegen die Schwächsten
der Schwachen richten werden. Und auch gegen eine Regierung, die nicht mehr als symbolische Politik zu bieten hat, wo ein ganzer Strauß von klar umrissenen Weiterbildungsangeboten für die o. g. am stärksten betroffenen Zielgruppen nötig wäre.
Die politische Kultur im Freistaat ist ja beileibe nicht auf eine „Willkommenskultur“ orientiert, wie man es in der Nabelschau der Subkulturen der Regierungsparteien wähnt. Immerhin haben laut Thüringen-Monitor über 800.000 Thüringer*innen im letzten Jahr „Deutschland für zu überfremdet“ gehalten. Das waren deutlich mehr, als es Wähler*innen der Regierungsparteien gab. Das war auch alles noch vor Pegida, und der sogenannten „Flüchtlingskrise“. Immerhin hat mittlerweile das Bildungsministerium
es selbst in der Hand, stärker als bis lang den „Regelvollzug“ in ihren Institutionen zu verbesserten. Denn das „Landesprogramm für Demokratie, Weltoffenheit und Toleranz“ ressortiert seit Beginn des Jahres nun im Bildungsministerium (TMBJS). Ein weiterer Grund, über eine sachgerechte und gesteuerte Umsetzung durch die Weiterbildungseinrichtungen nachzudenken.
Zwei weitere Aufgaben stehen an, die aber früher fern des TMBJS, nämlich im Sozialministerium angesiedelt waren. Die berufliche Integration der Migrant*innen und die über Weiterbildung vermittelte Verbesserung der Arbeits- und Beschäftigungsmöglichkeiten der Arbeitnehmer*innen generell. Hier sind mit dem Landesarbeitsmarktprogramm erste sehr gelungene Vorstellungen auf den Weg gebracht worden. Gleichwohl, in den Weiterbildungseinrichtungen hat sich die Stimmungslage noch nicht verbessert. Gründe dafür sind die nach wie vor schlechte Bezahlung der Mitarbeiter*innen und die üblicherweise vorherrschende befristete Beschäftigung. Die GEW fordert deshalb seit Langem: Bei der Vergabe der Maßnahmen und Projekte darauf zu achten, dass die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten in der Weiterbildung ebenfalls verbessert werden.
So gesehen fällt die Bilanz des ersten Jahres positiv aus: Ein Anfang ist gemacht, aber Verbesserungen sind noch möglich. Und nötig.
Uwe Roßbach
Referatsleiter Erwachsenenbildung und berufliche Fort- und Weiterbildung