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Umfrage der GEW Thüringen zum Gemeinsamen Unterricht legt deutliche Mängel offen, oder: Inklusion auf dem Rücken der Beschäftigten

Angesichts der Pläne des Bildungsministerium zur Verabschiedung eines Inklusiven Schulgesetzes führte die GEW Thüringen eine Umfrage zum Thema Inklusion und Gemeinsamen Unterricht unter den Thüringer Lehrer*innen und Sonderpädagogischen Fachkräften durch.

 

An dieser beteiligten sich von 1880 angefragten Kollege*innen 352 Lehrer*innen und Sonderpädagogische Fachkräfte (SPF). Von den Teilnehmer*innen waren ca. 30 % Lehrer*innen an Grundschulen, weitere 30 % Lehrer*innen an Regelschulen und knapp 30 % waren Förderpädagog*innen.

Zunächst kann festgestellt werden, dass die Ergebnisse zwischen den einzelnen Schulamtsbereichen kaum voneinander abweichen. Daher wird auf eine Auswertung nach Schulamtsbereichen verzichtet. Beim Vergleich der Schularten Grund- und Regelschule ergab sich eine leicht bessere Einschätzung aller Punkte für die Grundschule. Allerdings ist diese Abweichung nicht signifikant, daher wird auf einen Vergleich verzichtet. 

  • Belastung durch Beschulung von Kindern mit Sonderpädagogischem Förderbedarf

Ein Großteil, der Kolleg*innen empfindet, die Arbeit mit einem oder mehreren Kindern mit Förderbedarf als belastend. Da die Inklusion ohne Vorbereitung der Kolleg*innen in den allgemeinbildenden sowie auch der Kolleg*innen in den Förderschulen mit dem Gemeinsamen Unterricht begonnen hat, fühlen sich viele Kolleg*innen belastet. Sie wurden vor neue Aufgaben gestellt ohne Vorbereitung. Auf den Gemeinsamen Unterricht sind 75 % der an der Umfrage teilgenommenen Kolleg*innen nicht vorbereitet, siehe Diagramm 1. 

  • Konsequenzen

Es lässt sich schlussfolgern, dass nun kontinuierlich Fort- und Weiterbildungen stattfinden müssen. Der Wunsch nach diesen vor allem am Ort ist groß. Einerseits ist die Belastung durch zusätzliche Fahrten groß, andererseits können vor Ort Probleme am genauen Beispiel besser besprochen werden. Das Thillm bietet neben Veranstaltungen auch Weiterbildungen vor Ort an.  

Weitere Problemstellen sind die fehlenden Rahmenbedingungen, wie beispielsweise die mangelhafte Raumsituation oder die ungenügende personelle und sächliche Ausstattung.

Daher lässt sich ein dringender Handlungsbedarf ableiten, um den Kindern im Gemeinsamen Unterricht, sowie den Pädagog*innen die notwendige Unterstützung zukommen zu lassen. Eine Qualitätserhöhung hängt eng mit guten Arbeitsbedingungen zusammen. 

  • Zusammenhang Fallberatung – Konzept - Qualität

Um den Gemeinsamen Unterricht umzusetzen, ist es notwendig ein geeignetes Konzept zu erarbeiten sowie Informations- und Fallberatungen mit dem am Kind arbeitenden Professionen durchzuführen. Es gaben ca. 30 % der Befragten an, dass an ihrer Schule ein Konzept erarbeitet wurde und weitere 18 % haben ein Konzept derzeit in Arbeit. Informations- und Fallberatungen mit dem TQB, sowie mit den Beratern des Schulamtes finden nur ca. bei der Hälfte der Befragten statt. Die Zufriedenheit mit den Beratungen ist allerdings deutlich ausbaufähig, wie wir feststellen mussten. 

  • Fallberatungen und vorhandene Konzepte an den Schulen für den GU

Trotz der Tatsache, dass die Zufriedenheit mit den Fallberatungen eine schlechte Wertung erhalten hat, so lässt sich eindeutig erkennen: Wenn Fallberatungen durchgeführt werden, gibt es auch Konzepte an den Schulen. Dadurch ist die Qualität der Ausgangspunkte besser.

Daraus lässt sich schlussfolgern: Wenn Kommunikation durchgeführt wird, ist die Arbeit für Kolleg*innen und Kinder effektiver und somit zufriedener, siehe Diagramm 2. 

  • Problem: Gutachten

Mehr als 60 % der befragten Kolleg*innen gaben an, dass die Gutachten nicht zeitnah genug erstellt wurden. 

Einige, immer wiederkehrende Erfahrungen haben die Kolleg*innen gemacht:

  1. Bearbeitung von Anträgen erfolgt zu spät
  2. Anträge werden ohne Bearbeitung abgelehnt
  3. Qualität ist inhaltlich gut, aber an der Realität vorbei
  4. Unwichtig, besser wären gute Förderpläne
  5. Beobachtung „von oben“ problematisch

An diesen Meinungen kann man deutlich erkennen, dass die Zufriedenheit mit der Erstellung der Gutachten, wie auch mit der Handhabbarkeit sehr unterschiedlich, eher jedoch problematisch gesehen werden. Daher erscheint eine Evaluation dringend notwendig, um den Sinn, den Arbeitsaufwand und die Handhabbarkeit effektiver zu gestalten.

Gutachten sind eine wichtige Grundlage zur Einschätzung des Förderbedarfes. Jedoch müssen diese realistisch und am Kind erarbeitet werden, sowie müssen sie klare und einfache Hinweise zur Handhabbarkeit enthalten, um daraus geeignete Förderungen am Kind abzuleiten.

Folgende Teilaspekte des GU wurden wie folgt eingeschätzt:

  • Integrationshelfer*innen

Integrationshelfer*innen haben oft keine pädagogische Ausbildung, daher ist ein dringender Handlungsbedarf gegeben. Denn es können nur ausgebildete und wirklich fähige Integrationshelfer*innen gute Arbeit im pädagogischen Alltag leisten und somit Lehrer*innen und Schüler*innen unterstützen.

  • Räumliche Ausstattung

Noch immer ist die Raumsituation sehr unbefriedigend. Oft haben Schulgebäude durch ihre Bauweise und Auslastung keine freie Kapazitäten mehr übrig. Hier bedarf es neuer Festlegungen, um Möglichkeiten für die Förderung unserer Schüler*innen zu schaffen. Nicht immer und vor allem nicht durchgehend ist eine Beschulung im Klassenverband für alle Schüler*innen möglich. Daher müssen Rückzugsorte und Fördermöglichkeiten in jeder Schule geschaffen werden.

  • Existenz von angemessenem Fördermaterial

Förderschulen konnten sich in den vielen Jahren ihrer Existenz einen Materialfundus zulegen, aus welchem man bei Bedarf geeignetes Material entnehmen konnte. Zu Beginn des GU wurde es Förderpädagog*innen sogar untersagt, Fördermaterial aus den Schulen mit in ihre GU-Schule zu nehmen. Grund- und Regelschulen sollten sich diese am konkreten Bedarf selbst anschaffen. Die Mittel für Material sind jedoch nicht erhöht wurden. Hier müssen Landkreise, Kommunen und Städte ihre Aufgabe wahrnehmen, um Mittel zur Förderung und Differenzierung anschaffen zu können. Vielleicht könnten die Förderzentren sich einen Material- und Ideenfundus erarbeiten. Bei Notwendigkeit haben die Pädagog*innen im GU dann hier eine Ansprechmöglichkeit.

  • Organisation der Förderung und Entwicklung der Lernenden mit Förderbedarf

Das nicht wirklich gute Ergebnis der Einschätzung der Organisation der Förderung und der Entwicklung der Lernenden mit Förderbedarf ist das Resultat fehlender Vorbereitung der Kolleg*innen auf den GU, Unzufriedenheit bei der räumlichen Arbeit und das Fehlen von Material. Trotz dieser Umstände wird täglich versucht, gute Arbeit zu leisten, um unseren Kindern gerecht zu werden. Auch wird die Notwendigkeit von Kommunikation und Weiterbildung immer wieder deutlich. Es dokumentiert den großen Handlungsbedarf bei Schulungen, Ausbildungen etc. Auch haben ebenfalls Schulleiter*innen und Netzwerkkoordinator*innen großen Handlungsbedarf.

  • Zeitbedarf für Kommunikation

Frage: Wie viel Zeit benötigen Sie zur Absprache mit ihren Kolleg*innen über Förderschüler*innen im GU?

Frage: Welche Zeitfenster nutzen sie für diese Absprachen?

Für 75 % der befragten Pädagog*innen ist die Zeit zur Kommunikation nicht ausreichend. Daraus lässt sich schließen, dass Kommunikation unter den einzelnen Professionen gewünscht ist. Eine Möglichkeit um hierfür bessere Bedingungen zu schaffen wäre ein Stundenpool für jede Schule. 

 

  • Bessere Ergebnisse bei der Befragung von Sonderpädagog*innen

Hierbei haben sich 52 Kolleg*innen beteiligt. Davon sind 70 % der Kolleg*innen im GU eingesetzt. Ihre Arbeit mit dem Kind organisieren 40 % als Unterrichtsbegleitung, 13 % als Kleingruppenförderung und 13 % als Einzelförderung. Alle Förderformen haben ihre jeweilige Berechtigung. Der Einsatz erfolgt zu 55 % an einer GU-Schule, 42 % der Kollegen sind an zwei Schulen beschäftigt.

Auch beim Einsatz in den Schulen haben wir endlich Kontinuität erreicht. 40 % wechselten ihre Schule gar nicht, 34 % einmal und nur 4 % bis zu fünf mal. Da hier keine Erhebung gemacht wurde, aus welchen Gründen ein Wechsel notwendig wurde, muss man hier beachten, dass dieser auch notwendig gewesen sein könnte, wenn ein Kind von der Grund- in die Regelschule wechselte.

Wie bereits festgestellt ist die Zusammenarbeit mit anderen Pädagog*innen nicht zufriedenstellend. Häufig werden Förderpädagog*innen für die Unterrichtsvertretung eingesetzt. Dadurch geraten Förderpädagog*innen in den Konflikt: Unterrichtsabsicherung oder die Förderung der Kinder mit Förderbedarf?

Jedoch spiegelt ein Einsatz als Vertretung die Akzeptanz und Wertschätzung der Arbeit der Förderpädagog*innen wieder. Einerseits wird die fehlende Unterstützung bei der Arbeit mit dem Förderkind bemängelt, andererseits wird die/der Förderpädagog*in aus der so wichtigen, notwendigen Unterstützung heraus genommen.

Diese Verfahrensweise ist jedoch der Spiegel fehlenden Personals an jeder Schule. Hier muss dringend von der Regierung ein neues, akzeptables Personalentwicklungsgesetz auf den Weg gebracht werden. Die wichtigsten Voraussetzungen für eine gelingende Inklusion sind stetiges, ausreichendes pädagogisches Personal sowie anrechenbare Zeit für Kommunikation.

Inklusion gibt es nicht zum Nulltarif!

Die GEW hat nun aus den Ergebnissen der Umfrage folgende wichtige Handlungspunkte erarbeitet:

  • GU kann nur gelingen, wenn alle Beteiligten ein Netzwerk von professionellen Beratungs- und Unterstützungssystemen aufbauen.
  • Zur Umsetzung des GU braucht jede Schule entsprechende professionelle und fachliche Begleitung und Unterstützung. Für Teamberatungen, Planungen, Absprachen, Vor- und Nachbereitungen für Lehrer*innen, SPF, Erzieher*innen und Förderschullehrer*innen muss ausreichend Zeit zur Verfügung stehen.
  • Die personelle Ausstattung der Schulen ist in der Regel völlig unzureichend und muss dringend erhöht werden (Zweipädagogensystem).
  • An der weiteren Bildung von Gemeinschaftsschulen und/ oder Ganztagsschulen muss gearbeitet werden, da hier eine bessere Einbindung von Förderung möglich ist.
  • Neben den normalen Unterrichtsräumen müssen die Schulen zusätzliche Raumkapazität zwingend bereitstellen.
  • Alle Schulen müssen ausreichende finanzielle und sächliche Mittel zur Unterrichtsgestaltung und eventuellen Therapieformen erhalten.
  • Für den GU sind angemessene Klassenstärken notwendig, um alle Schüler*innen bedarfsgerecht zu beschulen und alle gleichberechtigt individuell fördern zu können.
  • Die Bereitstellung von Schulbegleiter*innen/ Integrationshelfer*innen muss auseichend und für alle Gebietskörperschaften vorbereitet und organisiert werden.
  • Förderzentren und DaZ-Zentren müssen ein wesentlicher Bestandteil des Thüringer Schulsystems sein.

Weitere Handlungspunkte:

  • Benötigung von Schulkonzepten
  • Verringerung der Vertretungsstunden durch Förderpädagog*innen
  • Bildung multiprofessioneller Teams