Supervision für das System Schule
Begleitung von der Gesundheitsförderung bis hin zur entwicklungsfähigen Schule
Mit der Frage, wie sie in ihrer Klasse ein Gemeinschaftsgefühl entwickeln können, wenn zu den Schüler:innen aus acht Nationen mit vier Anforderungsniveaus im laufenden Schuljahr vermutlich noch drei bis vier Schüler:innen hinzukommen werden, wandte sich ein Klassenleitungsteam inkl. Sonderpädagogin an einen externen Supervisor, der über Gelder des Schulfördervereins finanziert das Team für ein Schuljahr intensiv begleiten konnte.
Mit der Frage, wie sie als Alleinerziehende und Lehrkraft im Seiteneinstieg mit mehr Leichtigkeit und dem Aufblühen ihres Erfahrungs- und Fähigkeitsschatzes im Schulalltag Fuß fassen kann, wandte sich Frau B. an einen supervisorisch ausgebildeten Referenten für Schulpsychologie in ihrem Landkreis und vereinbarte vorerst 5 Coaching- bzw. Supervisionssitzungen.
Mit dem Wunsch, als Schulleiter stärker dafür zu sorgen, dass das multiprofessionelle Kollegium aus erfahrenen Lehrkräften, Seiteneinsteigenden, pädagogischen Assistenzen, Integrationshelfern und Schulsozialarbeit mit einem gemeinsamen Werteverständnis und Teamgefühl nachhaltige Bildung und Erziehung umsetzen kann, wandte sich Herr Dr. C. an ein Supervisor:innentan dem des zuständigen Lehrerfortbildungsinstitutes und vereinbarte einen langfristigen Beratungsprozess.
Stellen Sie sich eine Schule vor, in der Lehrkräfte und Schulleitung fachlich exzellent sind und über ein hohes Maß an emotionaler Intelligenz und Stressbewältigungskompetenz verfügen. Ein Ort, an dem Leitung und Kollegium Hand in Hand arbeiten, Konflikte konstruktiv gelöst werden und die Gesundheit und Zufriedenheit aller Beteiligten an erster Stelle stehen. Vielleicht geschieht Schulentwicklung sogar in Konstruktion mit Schüler:innen, Eltern und regionalen Partnern. Dies ist aktuell nur an wenigen Schulen Realität und benötigt für eine Entwicklung und Erhaltung neben sehr viel Engagement und Kooperationsbereitschaft eine gute Begleitung, die Supervision bieten kann.
Die Magie der Supervision
Supervision ist mehr als nur ein arbeitsweltliches Beratungsformat – sie kann Transformation unterstützen. Supervision ermöglicht es Lehrkräften und Schulleitungen, ihre beruflichen Herausforderungen in einem geschützten Raum zu reflektieren und neue Perspektiven zu entwickeln. Durch diese Beratung können sie ihre Stärken erkennen, ihre Schwächen überwinden und ihr volles Potenzial entfalten. Dies kann zu einem positiven Wandel führen, der weit über das individuelle Wohlbefinden hinausgeht und der die gesamte Schulqualität verbessern kann. Dass Supervision im schulischen System flächendeckend verankert werden sollte und wie Sie als Kollegium aktuell dazu kommen, Supervision zu nutzen, betrachtet unser Artikel genauer.
Schule und Supervision aktuell
Die oben beschriebene Magie ist im Bildungssystem nicht immer leicht auffindbar. Die Herausforderungen der professionell Handelnden im System Schule sind vielfältig, kräftezehrend und schon längst nur noch als gemeinschaftlich agierendes Kollegium gut bewältig bar.
Während Supervision als arbeitsweltliches Beratungsformat für viele Beschäftigte in angrenzenden sozialen Berufen ein regelmäßiger Wegbegleiter ist, ist es im schulischen System nach wie vor kaum etabliert. Integrationshelfer: innen beispielsweise und Schulsozialarbeiter: innen bekommen Supervision oft über ihre sozial- bzw. jugendhilfefinanzierten Arbeitgeber. Nur in wenigen Bundesländern jedoch ist Supervision für Lehrkräfte ein fester und vor allem flächendeckender Bestandteil der schulischen Fort- und Weiterbildung, des schulpsychologischen Angebotes oder des schulischen Gesundheitsmanagements. Aufgrund der wenigen Erfahrungen, die die meisten Pädagog:innen aktuell in diesem Feld haben, gehen wir kurz noch einmal darauf ein, worum es eigentlich in supervisorischer Begleitung geht.
Supervision - Was ist das?
Supervision durch zertifizierte Supervisor:innen zielt darauf ab, Einzelpersonen, schulische Teams oder rollenbezogene Gruppen (z.B. Schulleitungen oder Beratungslehrkräfte einer Region) in ihrer beruflichen Aufgabe zu entlasten, neue Erkenntnisse bzw. Klarheit zu generieren und gleichzeitig professionell weiterzuentwickeln. Klient: innen reflektieren in der Supervision ihre beruflichen Erfahrungen vertraulich mit einem geschulten Berater, gewinnen neue Perspektiven und können ihre Handlungsstrategien optimieren. Diese Berater: innen können einerseits intern und für Pädagog:innen kostenfrei ansprechbar sein, z.B. in Schulpsychologischen Diensten oder pädagogischen Instituten. Andererseits sind freie Supervisor:innen, zum Beispiel gelistet auf der Plattform der Deutschen Gesellschaft für Supervision DGSv, erreichbar und arbeiten in der Regel auf Basis von Honorarvereinbarungen.
Typische Ziele in der Supervision
- Persönliche Entlastung: Durch das Ansprechen von Belastungen in einem geschützten, vertraulichen Rahmen in Einzel- oder Gruppen- bzw. Teamsupervision kann emotionaler Druck abgebaut werden, was Veränderungskräfte mobilisiert. Viele Lehrkräfte und Schulleitungen kämpfen nachweislich mit hohen Belastungssymptomen, psychosomatische Beschwerden sind weit verbreitete Phänomene. Supervision kann dem vorbeugen und bietet einen sicheren Raum, in dem Sorgen und Schwierigkeiten offen ansprechbar sind, ohne dabei befürchten zu müssen, verurteilt oder missverstanden zu werden.
- Professionsbezogene Reflexion und Entwicklung: Tägliche berufliche Erfahrungen werden analysiert, wiederkehrende Muster erkannt und neue Handlungsoptionen entwickelt. Vor allem durch gemeinsame Reflexion in Gruppen- und Teamsupervision erweitern teilnehmende Supervisand:innen auch ihre fachlichen und methodischen Kompetenzen.
- Förderung der Zusammenarbeit: Teamsupervision fördert zudem Kommunikation und Zusammenarbeit im Team, was zu einem besseren Schulklima beiträgt und sich nachweislich sogar auf demokratierelevante Einstellungen in der Schülerschaft auswirkt.
- Berufsbegleitend Coachingkompetenzen erlernen: Durch Supervision können Lehrkräfte die schon lange geforderte Rolle eines Lerncoaches entwickeln, indem sie ihre pädagogische Praxis reflektieren und “on the Job” Coaching-Kompetenzen erwerben, empathisch und emotional intelligent auf individuelle Lernbedürfnisse eingehen und die Selbstwirksamkeit der Schüler: innen fördern. Dies führt zu einer positiven Lernumgebung, in der Schüler: innen motiviert und befähigt werden, ihr volles Potenzial zu entfalten.
Vor allem in überregionalen Gruppen- und schulinternen Teamsupervisionen stellen wir regelmäßig fest, dass diese Runden für einige die einzigen Gelegenheiten sind, sich in Ruhe Zeit für gemeinsames Denken und Begegnen zu nehmen. Nach wie vor lässt der schulische Alltag wenig Raum und Zeit für Austausch. Supervision kann in einem entspannten, vertraulichen und geschützten Setting nicht nur Einzelpersonen unterstützen, sondern auch ganze Kollegien reflektierend begleiten und Impulse für Schulentwicklung setzen.
Gibt es ein Recht auf Supervision?
Angesichts der hohen beruflichen Belastungen und der positiven Effekte von Supervision auf die Qualität des schulischen Systems stellt sich die Frage, ob Lehrkräfte, Erzieher: innen und Schulleitungen ein Recht auf Supervision haben sollten. Dies könnte auch dazu beitragen, das Berufsbild der Lehrkraft wieder attraktiver zu gestalten und Abbrüche von Berufseinsteigenden zu vermeiden. Es wäre ein weiterer wichtiger Schritt, um dem Fachkräftemangel im Bildungssektor entgegenzuwirken.
Ein Anspruch auf Supervision für Lehrkräfte lässt sich aus verschiedenen rechtlichen Perspektiven stützen: Die arbeitsrechtlichen Grundlagen, insbesondere die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers und das Arbeitsschutzgesetz, verlangen Maßnahmen zur Förderung der psychischen Gesundheit am Arbeitsplatz. Bildungspolitische Regelungen zur Fort- und Weiterbildung untermauern zusätzlich die Notwendigkeit und den Nutzen von Supervision für Lehrkräfte. Das Beratungsformat kann hier als Teil der beruflichen Weiterbildung angesehen werden, da sie zur Erhaltung und Entwicklung von professionellen Kompetenzen und zur Verbesserung der pädagogischen Praxis beiträgt.
Dieser gesetzliche Rahmen bietet auf allen Entscheidungsebenen im System Schule gute Begründungen für die Entwicklung eines flächendeckenden Supervisionsnetzwerkes für Lehrkräfte. Dieses dringend benötigte Recht von Pädagog:innen auf Supervision würde dazu beitragen, ihre Gesundheit zu schützen, ihre berufliche Praxis zu erhalten, zu reflektieren und zu verbessern sowie ihre berufliche Zufriedenheit und Leistungsfähigkeit zu steigern.
Zugang zu Supervision an Schulen in Thüringen
Der Schulpsychologische Dienst in Thüringen, angesiedelt an den Staatlichen Schulämtern, bietet Einzel-Coachings und Supervision, Teamsupervision für schulinterne Teams und überregionale Gruppensupervision und Fallbesprechungsgruppen nach Bedarf an. Wir arbeiten für unsere Klient:innen kostenfrei, ohne Antragswege und natürlich unter strenger Einhaltung der Schweigepflicht. Die überregionalen schulpsychologischen Angebote finden Sie in der Regel über den Veranstaltungskatalog des Thüringer Schulportals. Gern können Sie für diese und natürlich auch für Einzelsupervision bzw. schulinterne Anliegen direkt in den Schulpsychologischen Diensten anfragen. Alle wichtigen Erreichbarkeiten und Angebote sowie ein weiteres kleines Erklärvideo finden Sie hier.
Über die arbeitsmedizinische Betreuung im Rahmen des Gesundheitsmanagements „GUT GEHT‘S“ im Geschäftsbereich des Thüringer Ministeriums für Bildung, Jugend und Sport können Sie neben Fortbildungen ebenso Supervision nutzen.
Externe zertifizierte Supervisior:innen, die in der Regel über Honorare arbeiten, finden Sie über den Beraterscout der Deutschen Gesellschaft für Supervision.
Fazit
Neben hohen Qualifikationsstandards der Beratenden, bestenfalls nachgewiesen durch eine entsprechende Zertifizierung eines Beratungsdachverbandes, ist ein durch den Dienstherrn unterstütztes, leicht zugängliches und niederschwelliges Supervisionsangebot ohne finanzielle Hürden für die Teilnehmenden essenziell. Dies sollte bestenfalls bereits im Referendariat beginnen und für jede Lehrkraft über ihre Dienstjahre hinweg leicht nutzbar sein. Mit ein wenig Magie wäre vielleicht sogar vorstellbar, dass eine regelmäßige Teilnahme an Supervision als Arbeitszeit gilt, z.B. im Sinne von Anrechnungsstunden und einer strukturellen Verankerung im wöchentlichen Dienstplan.
Als supervisorisch arbeitende Schulpsycholog: innen in Thüringen wissen wir, dass aktuell ressourcenbedingt nicht alle Beschäftigten im Schulsystem unsere Klient:innen sein können und dass allein schon die emotionale Entlastung einzelner Ratsuchender oder kleiner Gruppen einen Erfolg unserer Arbeit bedeutet. Aus der Perspektive eines fest verankerten internen Berater:innensystems heraus glauben wir auch daran, dass eine tiefgreifender und nachhaltige Wirkung auf das System Schule durch Supervision möglich ist und die passenden Entscheidungen getroffen werden könnten, diesen Weg zu ebnen.
Weiterführende Literatur:
Munk-Oppenhäuser, V., Herrmann, A. & Munk, M. (2024): Schule und Supervision. Held:innenkräfte kultivieren. Erschienen in der Reihe Busse, S., Möller, H., Kotte, S. & Geramanis, O (Hrsg.) „Beraten in der Arbeitswelt“, Vandenhoeck & Ruprecht: Paderborn.

