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Offener Brief an den Bildungsminister vom 24. April 2020

Sinnfreie Schulnetzänderungen im Berufsschulbereich

Sehr geehrter Herr Minister Holter, ich wende mich mit diesem offenen Brief an Sie, weil ich einige Entscheidungen Ihres Hauses nicht nachvollziehen kann. Ich bin Berufsschullehrerin Fachrichtung Elektrotechnik und bilde seit über 40 Jahren im Bereich Suhl und Landkreis Schmalkalden-Meiningen „Elektriker“ aus.

Gerade diese Berufsgruppe hat seit 1990 eine wahre Odyssee hinter sich. Bis zu diesem Zeitpunkt wurden die „Elektriker“ in Zella-Mehlis an der ehemaligen Kommunalen Berufsschule unterrichtet. Dann wurden sie mal für 2 Jahre nach Rohr an das Berufs- und Technologiezentrum der Handwerkskammer Südthüringen ausgelagert. Ab 1992 bis 2001 ging es zurück nach Zella-Mehlis, aber diesmal zum Gewerblich-Technischen BBZ, ehemals Berufsschule des Elektrogerätewerkes Suhl. Wir glaubten unsere Reise wäre dort beendet. Weit gefehlt, erneut wurde am Schulnetz gedreht und ab 2001 ging es an die Gewerbliche Berufsschule (GBS) in Meiningen. Da im Jahre 2005 die GBS mit der Kaufmännischen Berufsschule Meiningen fusionierte, durften die „Elektriker“ innerhalb von Meiningen  erneut umziehen.

Sie können sich sicherlich den Kraftakt vorstellen, den jeder Umzug mit dem entsprechenden technischen Mobiliar sowie der Ausrüstung darstellte. Ich bin der einzige ET-Lehrer, der alle diese Umzüge mitgemacht hat.

Und im März 2020, die Schulen hatten gerade wegen Corona geschlossen, die Hiobsbotschaft: Eine vorgezogene Veränderung im Schulnetz. Ab dem Schuljahr 2020/21  wird die Elektroausbildung in Meiningen abgewickelt, d.h. beginnend mit dem 1. Lehrjahr findet der Berufsschulunterricht für die Elektroniker/ Energie-und Gebäudetechnik an der SBBS Sonneberg statt. Endgültiger Umzug?

Natürlich gibt es Gründe. Fehlende Fachlehrer und geringe Schülerzahlen sprechen zwar für sich, aber?  

Meine Fragen an dieser Stelle:

  • Wusste das Ministerium nicht schon vor 20 Jahren wie alt die Fachlehrer heute sind?
  • Wie lange sind die Fachlehrer in Sonneberg noch im Dienst? 10 Jahre, 15 Jahre, evtl. 20 Jahre und dann?
  • Wie will man für Nachwuchs sorgen? Die Zahl der Studierenden für das Berufsschullehramt ist gering und in der FR Elektrotechnik noch viel geringer.
  • Wer würde denn einem Lehramtsanwärter fachlich helfen, wenn die erfahrenen  Fachlehrer „ausgestorben“ sind. Ein Lernfeld- oder Kompetenzunterricht ist nur machbar, wenn man den Überblick über die Gesamtheit der Anforderungen eines Berufes hat. Hat das ein Lehramtsanwärter? Aus der Erfahrung bei der Einarbeitung von befristet eingestellten Seiteneinsteigern behaupte ich „Nein“, ein Lehramtsanwärter kann nicht auf sich allein gestellt diese Aufgabe bewältigen.
  • Geringe Schülerzahlen sind sicherlich ein Thema, aber sind sie im Berufsschulbereich planbar? Wer weiß denn heute, wie sich ein Berufsfeld oder die Wirtschaft entwickelt.  Dann sind die Klassen aus der Region weg und die Vergangenheit  zeigte, dass das Auswirkungen auf die Nachwuchsgewinnung hat. Aus Gesprächen mit Regelschülern weiß ich, dass der „Elektriker“ in unserer Region nicht mehr zum Traumberuf gehört. Der Berufsschulstandort spielt bei der Berufswahl eine Rolle und da macht der Weg nach Sonneberg das Ganze nicht attraktiver. Die überwiegende Zahl  der Auszubildenden hat schließlich am Beginn der Ausbildung noch keinen Führerschein und ob die Zahl der Wohnheimplätze in Sonneberg auch für die zusätzlichen Schüler aus Suhl und dem Landkreis Schmalkalden-Meiningen reicht?  Denkt Irgendjemand mal darüber nach, was den Auszubildenden zugemutet wird?
  • Der Bereich Suhl und Landkreis Schmalkalden- Meiningen hat eine ca. 100-jährige Tradition der schulischen „Elektrikerausbildung“, aber das scheint alles keine Rolle zu spielen.  Alle reden von Digitalisierung und „Smart Home“, dafür  braucht es aber Fachleute, u.a. den Elektroniker für Energie- und Gebäudetechnik, also den „Elektriker“. Wo sollen die zukünftig her kommen?

Den sinnfreisten Teil der Schulnetzänderung habe ich bisher noch nicht angesprochen. Die Fachpraktiker Elektrotechnik wurden am Gewerblich-Technischen BBZ in Zella-Mehlis  unterrichtet. Entsprechend einer Änderung des Schulnetzes werden sie seit dem Schuljahr 2017/18 am BBZ Meiningen beschult.  Durch die erneute Schulnetzänderung sollen sie mit Beginn des Schuljahres 2020/21 wieder zurück nach Zella-Mehlis.

Eigentlich soll der Berufsschulunterricht für den Beruf für Benachteiligte dort stattfinden, wo ein adäquater dualer Beruf unterrichtet wird. In Zella-Mehlis gibt es keine Elektroausbildung und in Meiningen zukünftig auch nicht mehr. Heißt also, was nicht passt wird passend gemacht. Wie gesagt, Sinn frei.

Das BBZ Meiningen verfolgt im technischen Bereich das Konzept „Gebäudetechnik“. Alle zur Errichtung und Versorgung eines Gebäudes notwendigen Gewerke unter einem Dach. Dazu zählt auch die Elektrik. In den letzten Jahren haben wir als Fachlehrer viel Zeit und  Mühe in die Entwicklung von Unterrichtskonzepten investiert. Als Berufschullehrer im Technikbereich sind wir hochqualifizierte Fachkräfte, die sich ständig in neue Techniken und Vorschriften einarbeiten müssen. Das scheint aber alles keine Rolle zu spielen und ich persönlich betrachte das als Missachtung meiner Arbeit.

Was ich nicht verstehe ist, dass sich seit 1990 das Verständnis für die Berufsschulen nicht geändert hat. Sie werden noch immer genauso behandelt wie eine allgemeinbildende Schule und das geht einfach nicht. Hat die Allgemeinbildung einen relativ festen Fächerkanon, so ist doch jede Berufsschule von den Spezifika ihrer Ausbildungsberufe abhängig. Damit kann man noch nicht einmal die Berufsschulen untereinander gleichsetzen. Wer hat sich denn von den Verantwortlichen Ihres Ministeriums die Mühe gemacht vor Ort mit den Schulen zu reden. Sicherlich gibt es die Schulleiterdienstberatungen in den Schulämtern, aber Sie kennen doch das Prinzip der „Stillen Post“. Ohne hier irgendetwas unterstellen zu wollen, ist doch die Gefahr groß das bei der Informationsübertragung über mehre Ebenen ein gewisser Datenverlust entstehen kann.

Zum Schluss noch ein paar Ergänzungen. Soweit mir bekannt ist, wurden die Personalvertretungen über die jetzige Schulnetzänderung einfach mal nicht informiert. Gewollt oder aus Versehen vergessen? Was sagen die Kammern (IHK, HWK) in Südthüringen dazu? Hat mal jemand die Meinung der Elektroinnung  Rhön-Rennsteig eingeholt?

Ich habe das duale System der Berufsausbildung immer so verstanden, dass es zwei gleichberechtigte Ausbildungspartner gibt – betrieblich und staatlich. Und in einer Partnerschaft sollte man doch miteinander reden, wenn nur einer was zu sagen hat dann ist es mit der Partnerschaft vorbei.

Mit freundlichen Grüßen

Birgit Weiß – Diplomingenieurpädagoge

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Birgit Weiß
Lehrerin am Staatlichen Berufsbildungszentrum in Meiningen