Studium an der FH Erfurt
Potentiale der Kindheitspädagogik
5 Fragen an Michaela Rißmann, seit 2008 Professorin für Erziehungswissenschaften, Erziehung und Bildung von Kindern an der Fachhochschule Erfurt und GEW-Mitglied.
1. Wofür brauchen wir Kindheitspädagog:innen?
Kindheitspädagog:innen sind eine spezialisierte Berufsgruppe innerhalb des kindheitspädagogischen Arbeitsfeldes. Sie kümmern sich um die Belange von Kindern bis zum Ende der Grundschulzeit und deren Familien. Solch eine Spezialisierung stellt aus meiner Sicht eine enorme Bereicherung dar, weil das Studium damit einen anderen, einen spezifischeren Fokus hat gegenüber der Breitbandausbildung der Erzieher:innen und Sozialpädagog:innen.
2. Wie bewerten Sie die gegenwärtige Situation von Kindheitspädagog:innen im Arbeitsfeld Kita und in anderen Arbeitsfeldern der Kinder und Jugendhilfe?
Mit der Entwicklung der Studiengänge wurde eine bildungspolitische Antwort gefunden auf die gestiegenen Anforderungen der Tä- tigkeit im Feld der Kindertagesbetreuung und die Debatten um die Qualitätsentwicklung. Das Thema „Qualität“ wurde ab der Mitte der 1990er Jahre in Deutschland und international stark diskutiert und die Akademisierungsdiskussion erschien in diesem Zusammenhang wieder auf der Tagesordnung. Mit der Einführung der Bildungspläne forcierte sich die Diskussion um die Akademisierung, die die GEW maßgeblich vorantrieb. Mit dem Studium der Kindheitspädagogik wurde gewissermaßen ein Scharnier geschaffen zwischen der Praxis in der Kindertagesbetreuung und der Wissenschaft. Es entstanden nicht nur Studiengänge, sondern auch vielfältige Forschungsbemühungen und wissenschaftliche Debatten, die der Weiterentwicklung des Arbeitsfeldes vielfältige Impulse geben. Damit können Kindheitspädagog:innen wissenschaftliche Erkenntnisse in die Praxis tragen, an der Konzeptions- und Qualitätsentwicklung mitwirken. Sie haben eine hohe Fachlichkeit und vielfältige Praxiserfahrungen im Studium, verfügen über entwickelte selbstreflexive Kompetenzen und können dadurch Anregungen zur (Weiter-)Entwicklung der pädagogischen Arbeit im Alltag geben.
3. Wie siehst Du die zukünftigen Perspektiven von Kindheitspädagog:innen?
Aufgrund des prognostizierten steigenden Fachkräftebedarfes dürften sich immer mehr Kindheitspädagog:innen fest in der Praxis etablieren, vorausgesetzt, die Träger bieten ihnen dem Studium angemessene und attraktive Arbeitsfelder und Entlohnungen an. Besonders durch den beschlossenen Anspruch auf eine Ganztagesbetreuung im Bereich der Grundschulen eröffnen sich weitere Arbeitsfelder, die bisher für wenige Absolvent:innen der Studiengänge attraktiv waren, obwohl es sich um ein spannendes Arbeitsfeld handelt. Voraussetzung wäre, dass die Ganztagesbetreuung mit dem Unterricht verknüpft ist und Kindheitspädagog:innen Assistenzaufgaben für Lehrer:innen übernehmen können. Darüber hinaus wird es endlich Zeit, die Debatte um die spezifisch kindheitspädagogische Arbeit im Ganztag voranzubringen. Um es etwas salopp auszudrücken: Hort kann und ist weitaus mehr als Spielplatz- und Hausaufgabenaufsicht.
4. Welche Entwicklungsschritte braucht es aus Deiner Sicht, um die Profession Kindheitspädagogik zu stärken und um Kindheitspädagog:innen für das System Kita zu gewinnen und im System zu halten?
Die Absolvent:innen unseres Studienganges wünschen sich ganz häufig: Wahrnehmung, Wertschätzung und Anerkennung. Dazu bedarf es zum einen mehr Aufmerksamkeit in der Bildungspolitik für die neue Berufsgruppe, eine Berücksichtigung im Tarifsystem. Zum anderen kann die Profession gestärkt werden, wenn sich die Kindheitspädagog:innen stärker vernetzen und ihre Interessen selbst lauter artikulieren. Auch die GEW sollte nicht so häufig über Erzieher:innen sprechen, sondern über Erzieher:innen und Kindheitspädagog:innen. Im System der Kita können Kindheitspädagog:innen gewonnen und gehalten werden durch attraktive Arbeitsbedingungen, spezifische Aufgaben, die ihrer Ausbildung entsprechen, Wertschätzung und Aufstiegschancen. Beispielsweise ist die Entwicklungsperspektive „Fachberatung“ bisher noch wenig attraktiv, wenn eine Kita-Leitung mehr Gehalt verdient als eine Fachberatung. Die Begleitung von Praktikant:innen, die Entwicklung von Konzepten und Konzeptionen, die Qualitätsentwicklung und weitere spezielle Fachkraftaufgaben sind Arbeitsaufgaben, die viele Kindheitspädagog:innen gern übernehmen, wenn sie auch entsprechen honoriert und anerkannt werden. Teams, die Vielfalt schätzen und die unterschiedlichen Ausbildungswege honorieren, können die Arbeit für Kindheitspädagog:innen attraktiv machen.
5. Was ist Dein Beitrag zur Weiterentwicklung der Profession?
Mein Beitrag besteht in erster Linie darin, Kindheitspädagog:innen auszubilden, ihnen fachliche Sicherheit und ein professionelles Selbstbewusstsein zu ermöglichen, verbunden mit dem Wissen, dass sie sich vernetzen und um ihre Belange und Anerkennung kämpfen müssen. Darüber hinaus bemühe ich mich, durch Forschungsprojekte und Praxiskontakte Impulse in das Feld der Kindertagesbetreuung zu geben.
Das Interview wurde der Broschüre „Kindheitspdädagog:innen – zwischen Durchstarten und Nischendasein. Von der Entstehung, Entwicklung und den Potentialen der Akademisierung der Frühen Bildung“, hrsg. v. d. GEW, 2022, entnommen.