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Politik in der Schule in Zeiten von Thügida & AfD

Integrationsalltag an Thüringer Schulen - Ein Erfahrungsbericht von Cultures Interactive.

Foto: cultures interactive

Ob in Politik, Zeitung, sozialen Medien oder Fernsehen: Überall wird über den Umgang mit geflüchteten Menschen diskutiert. Schüler*innen sind Teil dieser Gesellschaft und greifen diese Diskussion auf. Sie entnehmenden Medien verschiedenste Positionen und sprechen miteinander über das Thema, sie tauschen persönliche Erfahrungen, Gerüchte und Informationen miteinander aus und bilden sich ihre eigene Meinung.

So gibt es Jugendliche, die sich solidarisch mit den Geflüchteten erklären. Doch es gibt auch viele junge Menschen, die Vorurteile hegen oder eine feindliche Haltung entwickeln. Die unterschiedlichen Haltungen diskutieren sie miteinander – auch auf dem Schulhof. Schule wird damit zu einem Raum des politischen Austausches. Die Polarisierung der Debatte, die Einflüsse von AfD bis Thügida, die rasante Verbreitung von Gerüchten und Fehlinformationen über soziale Medien stellen dabei aktuell eine besondere Herausforderung an Schule dar.

Cultures Interactive greift die Diskussion auf

Es ist 08:30 Uhr, im ländlichen Raum Thüringens, der Beginn eines Projekttags mit cultures interactive an einer Schule. Das Team und die Schüler*innen lernen sich langsam kennen. Quer durch das Klassenzimmer ist mit Klebeband eine Linie auf den Boden geklebt. Auf der einen Seite stehen heißt „Ja” oder „Zustimmung”, die andere Seite steht für „Nein” oder „Ablehnung”. Ob die Jugendlichen sich an der Schule ernst genommen fühlen, will eine*r der Teamer*innen wissen. DieTeamer*innen haken bei den Jugendlichen nach: „Habt ihr das Gefühl,eure Meinung wird respektiert? Hört man euch zu?“ Ein Teilnehmer korrigiert sich und stellt sich auf die andere Seite der Linie. Ein Thema gäbe es, da dürfe man seine Meinung nicht frei sagen. Eine Gruppe Jungs stimmt zu. Die Teamer*innen fragen nach, worum es gehe, dochdie Teilnehmenden weichen zunächst aus. Dann sagen sie es aber doch. „Flüchtlinge“. Gegen die dürfe man nichts sagen. Schon gar nicht hier an der Schule, da heißt es, diese Meinung ist hier nicht erwünscht.Dabei würden sich die Kinder von den Flüchtlingen an keine Regeln halten. Und überhaupt. Die würden ganz viel klauen im Supermarkt. Und die Polizei dürfe nichts machen, weil sie ein „Klaukontingent“ freihaben. Jeder Flüchtling würde außerdem 9000 Euro Begrüßungsgeld und ein neues Smartphone bekommen. Alle Menschen würden immer nur nach Deutschland kommen und sich dann nicht mal an die Regeln halten. Und unsere Frauen vergewaltigen.

Es ist ein Schwall von Fehlinformationen und Vorurteilen, der plötzlich hervorbricht. Das meiste davon haben die Teamer*innen schon öfter gehört. Sie wundern sich nicht. Warum sollte an den Jugendlichen auch vorbeigehen, was im Moment gesellschaftlich diskutiert und vor allem verbreitet wird? Die Ereignisse zum Jahreswechsel mit den Vorfällen in Köln stellen zudem eine neue Hürde in der Vermittlung eines differenzierten Blicks auf die Situation in Deutschland dar.Selbstverständlich hören die Kinder, was ihre Eltern zu Hause erzählen,was im Fernsehen besprochen wird und erst recht, was per Facebook und WhatsApp die Runde macht. Die Jugendlichen kennen alle gängigen Vorurteile. Manche auch noch mehr. Die Teamer*innen von cultures interactive haken nach, geben Informationen in die Gruppe, hinterfragen Klischees, fragen nach den Informationsquellen der Jugendlichen und vor allem ihren persönlichen Erfahrungen.Die meisten Jugendlichen sind interessiert und finden die Diskussion spannend. Das Thema beschäftigt sie. Neuen Informationen gegenüber sind sie offen. Anders ist es bei dem Jugendlichen, der sagte,dass es ein Thema an der Schule gäbe, bei dem man seine Meinung nicht frei sagen dürfe. Er beharrt auf seiner Position. Die Ausländer,die seien alle kriminell, würden alle klauen und deutsche Frauen anmachen.Ein anderer Schüler formuliert eine Gegenposition. Das sei eine Verallgemeinerung und würde vielen der Geflüchteten Unrecht antun. Zudem sei eine solche Position rechtsradikal. Der Jugendliche antwortet: „Na und, ich bin rechts und dazu stehe ich auch”.

Wie damit umgehen?

Ohne entsprechende Übung durch Schulung wird eine solche Situation Pädagog*innen hilflos zurücklassen. Das ist einer der Gründe, warum viele Lehrer*innen sich davor scheuen,das Thema anzupacken.Durch das Training für Handlungskompetenzen zum Umgang mit rechtsextrem orientierten Jugendlichen (HaKo_reJu) können die Teamer*innen von cultures interactive professionell reagieren und die politische Diskussion unter den Jugendlichen initiieren und begleiten. In den Konzepten der Workshops werden demokratiestärkende Faktoren von Jugendkulturen und Medien und deren antirassistische und emanzipatorische Ursprünge aufgezeigt. Neben der historischen und politischen Einordnung der jeweiligen jugendkulturellen und medialen Workshops beinhalten die Workshops eine aktive, selbstbestimmte Auseinandersetzung und Reflexion durch entsprechende Ausdrucksmittel. Die Workshops sind aufgrund der aktuellen gesellschaftspolitischen Lage durch das Themenfeld „Flucht und Asyl“ gerahmt, um auf die Bedarfe auf den Schulhöfen zu reagieren. Eine der Methoden, mit denen die Teamer*innen von cultures interactive mit den Schüler*innen arbeiten, ist zum Beispiel das Spiel „Ich auf der Flucht”. Die Schüler*innen werden gefragt, wie es denn eigentlich wäre, wenn man selbst plötzlich die Koffer packen müsste. Was würden sie mitnehmen auf eine Flucht? Die Gruppe bekommt zehn Minuten Zeit und die Vorgabe, genau fünf tragbare Dinge mitnehmen zu können. Wenn die Ergebnisse gesammelt werden, stellen sie fest: Auf das Smartphone möchte niemand verzichten. Wie auch sonst sollten sie mit ihrer Familie kommunizieren, Wegstrecken herausfinden, sich Worte übersetzen lassen. Diese Methode klappt (fast) immer.

Bildungsbausteine und Schulprojekttage mit cultures interactive

An allen Schulen gibt es Schüler*innen, die eine eher ablehnende oder feindliche Haltung gegenüber Geflüchteten eingenommen haben. An einigen kommen rechtsextrem orientierte Jugendliche aus Elternhäusern mit rechtem Hintergrund hinzu – leider kein seltenes Phänomen. Pädagog*innen fehlt es dazu häufig an Handwerkszeug, um angemessen mit der Situation umgehen zu können. Dabei geht es nicht um mangelnde pädagogische Fähigkeiten oder Fachwissen in Bezug auf Neonazismus, Verschwörungstheorien und Fremdenhass. Vielmehr ist eine klare Haltung gefragt. Wenn das Thema auf den Tisch kommt, hilft kein Diskussionsverbot. Themenverbote spielen vor allem rechtsextremen Protagonist*innen in die Hände, da diese das Thema nur zu gerne mit Jugendlichen einseitig diskutieren. Wertebildend für die Jugendlichen kann es jedoch sein, wenn Lehrer*innen politische Diskussionen im Klassenraum zulassen, Positionen und Erfahrungen zuhören, nachfragen und die eigene humanistisch-demokratisch-geprägte Haltung authentisch präsentieren. Um dabei souverän und selbstsicher auftreten zu können, bietet cultures interactive Bildungsbausteine und Fortbildungen mit Reflexionsmöglichkeiten und Übungen gezielt für Lehrer*innen an.

Auch der Umgang mit geflüchteten Schüler*innen, die neu an die Schulen kommen, wird häufig zu wenig vorbereitet. Viele Lehrer*innen berichten von Hilflosigkeit im Umgang mit Neugier oder Abwehr gegenüber den neuen Schüler*innen. So fragen manche Pädagog*innen, wie es kommt, dass viele geflüchtete Kinder am 01.01. Geburtstag haben. Versuchen sie zu betrügen? Cultures interactive kann aufklären: Nicht in allen Ländern sind Geburtstage so wichtig wie in Deutschland, manchmal ist der Namenstag ein viel wichtigeres Ereignis oder es wird gar nicht darauf geachtet. Im Senegal zum Beispiel, so berichtet dazu ein Teamer, heißt es dazu: „Ihr habt die Uhr, aber wir haben die Zeit“. Hinzu kommt, dass selbst bei den Kindern, die ihre Geburtstage kennen, auf der Flucht über viele verschiedene Landesgrenzen die Papiere verloren gehen und bei Grenzüberschreitungen aufgrund der Masse der Anfragen die Grenzbeamt*innen einfach aus Zeitgründen und Desinteresse den 01.01. als Geburtstag eintragen, Hauptsache das Geburtsjahr stimmt. Es zeigt sich, wie wichtig ein Basiswissen für die Arbeit mit Geflüchteten ist. Pädagog*innen brauchen Unterstützung sowie Fort- und Weiterbildungen, um Diskussionen und Provokationen gewachsen zu sein. Wer deutlich eine eigene Haltung zeigen, aktuelle Vorurteile und Gerüchte kennt und entkräften und die Jugendlichen pädagogisch aus der Reserve locken kann, der*die scheut die Diskussion mit Schüler *innen weniger. Die Öffnung der Schule für die politische Diskussion von gesellschaftlich relevanten Themen bedeutet die beste Chance für eine gelingende Prävention.

Schulprojekttage von cultures interactive und Landeszentrale für politische Bildung

Die Schulprojekttage von cultures interactive und der Landeszentrale für politische Bildung Thüringen können über die zum Teil spielerisch vermittelten Informationen eine enorme Unterstützung für Schüler*innen darstellen, die bereits vorher eine offene Haltung gezeigt haben. Die speziell geschulten Teamer*innen können zudem Jugendliche mit Ressentiments in ihrer Haltung verunsichern und durch andere Perspektiven zumindest zeitweise zum Umdenken anregen. Der Schulprojekttag kann Impulse setzen und fördert im Dialog mit den Jugendlichen auf Augenhöhe wertvolle Kenntnisse zutage. Doch müssen die Projekttage als Startschuss für eine Auseinandersetzung in der Schule genutzt werden, sonst verpufft der Effekt. Die Nachhaltigkeit eines solchen Impulsprojektes bestimmen allein die Lehrer*innen. Ob sie dabei direkt den Faden der politischen Diskussion mit den Jugendlichen aufnehmen oder erkennen, dass Fortbildungsbedarf besteht, sind beides probate Mittel der Erkenntnis. Darauf zu hoffen, dass die Impulse von außen reichen und keine Eigenleistung bzw. -reflexion nötig ist, stellt leider keinen Lösungsweg dar, denn Demokratie heißt vor allem Beteiligung von allen.

 

Bei Interesse an den Angeboten und Schulprojekttagen von cultures interactive e.V. beraten Sie die Ansprechpartner*innen des Vereins gern, auch zu Finanzierungs- und Fördermöglichkeiten. So erreichen Sie cultures interactive, Verein zur interkulturellen Bildung und Gewaltprävention:

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