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#IchBinHanna

Per Hashtag gegen das Wissenschaftszeitvertragsgesetz

#IchBinHanna – mit diesem Hashtag halten Wissenschaftler:innen über das soziale Netzwerk Twitter die Wissenschaftspolitik in Atem – und fordern Bundesforschungsministerin Anja Karliczek (CDU) heraus. Wasser auf die Mühlen des Kampfs der GEW für Dauerstellen in Hochschule und Forschung.

Hanna ist die Kunstfigur in einem Erklär-Video des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) zum Wissenschaftszeitvertragsgesetz. Viele waren zurecht empört über die zynische Art und Weise, mit der das Ministerium Hire and Fire in der Wissenschaft rechtfertigte. Das Gesetz „führt zur Fluktuation und fördert die Innovationskraft“ – damit „nicht eine Generation alle Stellen verstopft“, hieß es in dem Video, das das BMBF inzwischen von seiner Website gelöscht hat. Darüber ärgerten sich zehntausende Wissenschaftler:innen und schilderten ihre Erfahrungen mit Befristung und Kettenverträgen, aber auch Ausgrenzung und Diskriminierung auf Twitter.

#IchBinHanna traf einen Nerv in der akademischen Gemeinschaft und verbreite sich wie ein Lauffeuer – erst im virtuellen Raum, dann in den Medien, schließlich wurde es politisch wirkmächtig. Professor Wolf-Dieter Lukas, Staatssekretär im BMBF, musste in einer Videobotschaft Stellung nehmen, Ende Juni gab es auf Antrag der Linksfraktion eine Aktuelle Stunde im Bundestag zum Thema, in der sich Ministerin Karliczek um Kopf und Kragen redete. Mit der Aussage, das WissZeitVG könne derzeit nicht evaluiert werden, weil „an Hochschulen im Moment gar nichts stattfindet“, brachte die Wissenschaftler:innen erst recht auf die Palme. Nach drei Coronasemestern waren sie am Limit, um nun von ihrer Ministerin vorgehalten zu bekommen, sie hätten eigentlich gar nichts zu tun an der Hochschule.

Mit #IchBinHanna machen zehntausende Doktorand:innen und Postdocs, Lehrbeauftragte und Privatdozent:innen, wissenschaftliche Mitarbeiter:innen, Lehrkräfte und Juniorprofessor:innen ihrem Frust Luft. Immer mehr Zeitverträge mit immer kürzeren Laufzeiten, lange und steinige Karrierewege, so gut wie keine Berufsperspektiven neben der Professur, fehlende Vereinbarkeit von Familie und wissenschaftlicher Qualifizierung, zusätzliche Hindernisse für Frauen, Wissenschaftler:innen mit Migrationshintergrund, Behinderungen oder chronischer Erkrankung – die GEW macht seit Jahren auf die Probleme aufmerksam und hat im Zuge ihrer Kampagne für den „Traumjob Wissenschaft“ Programme und Konzepte mit Lösungsvorschlägen vorgelegt. Jüngstes Beispiel: die Online-Petition „Dauerstellen für Daueraufgaben“, die auf dem Jubiläumskongress „Zehn Jahre Templiner Manifest“ im November 2020 vorgestellt wurde und bereits von über 10.000 Unterzeichner*innen unterstützt wird.
www.gew.de/dauerstellen
Die Coronakrise mag der letzte Tropfen gewesen sein, der das Fass im Sommer 2021 zum Überlaufen gebracht hat. Viele Lehrende haben Übermenschliches geleistet, um über Nacht Distanzlehre auf die Beine zu stellen. Gleichzeitig hatten viele von ihnen wie andere Erwerbstätige damit zu kämpfen, Homeoffice und Kinderbetreuung unter einen Hut zu bringen. Die Uhren ihrer Zeitverträge tickten unvermindert weiter, während Forschung und wissenschaftliche Qualifizierung ins Stocken gerieten. Darauf hat die Politik nur zögerlich reagiert. Zeitverträge können pandemiebedingt um bis zu ein Jahr verlängert werden, sie müssen es aber nicht. Viele Wissenschaftsarbeitgeber machen gar nicht oder nur willkürlich von dieser Option Gebrauch. Mit der Forderung nach einem Rechtsanspruch auf Verlängerung für alle im Sinne eines kollektiven Nachteilsausgleichs stieß die GEW bei der Großen Koalition auf taube Ohren. Dank #IchBinHanna ist es gelungen, das Thema Beschäftigungsbedingungen und Karrierewege weit nach oben auf die politische Agenda zu rücken. Bereits auf der GEW-Konferenz zur Bundestagswahl „Wissenschaftspolitik auf dem Prüfstand“ im Mai 2021 sahen Vertreter*innen sowohl der Opposition als auch der Regierung Korrekturbedarf beim WissZeitVG. Nach der für Anfang 2022 erwarteten Vorstellung der Ergebnisse der offiziellen Evaluation des Gesetzes im Auftrag des BMBF wird eine Reformdebatte nicht mehr aufzuhalten sein. Die von der GEW im März 2020 veröffentlichte Gesetzesevaluation durch Dr. Freya Gassmann hat bereits gezeigt, dass die 2016 auf Druck der GEW vorgenommene WissZeitVG-Novelle zwar für etwas längere Vertragslaufzeiten sorgte, aber insgesamt am Befristungsunwesen in der Wissenschaft nur wenig änderte. Das Gesetz muss daher radikal überarbeitet werden. Es kommt jetzt darauf an, den durch #IchBinHanna aufgebauten Druck zu erhalten, zu verstärken und in die anstehenden politischen Weichenstellungen zu tragen – die Bundestagswahl am 26. September, die Koalitionsverhandlungen da-nach und die im August startende Länder-Tarifrunde. Insofern geht es um nichts geringeres als um einen heißen Herbst, den die GEW am 29. September mit #IchBinHanna-Aktivist:innen auf der Online-Konferenz „Entfristet Hanna!“ vorbereiten möchte.


Weitere Informationen und Anmeldung auf der GEW-Website