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Orientierung an den Möglichkeiten, nicht an Wünschen

Über den schwierigen Weg zum Gemeinsamen Unterricht.

Jörg Lorenz

Seit 2005 bin ich Leiter eines Förderzentrums, bereits seit 2004 ist der Gemeinsame Unterricht (GU) gesetzlich in Thüringen verankert. Das Förderzentrum (FÖZ), welches ich leite, hat bereits seit 2003 Erfahrungen mit dem GU gesammelt. Grundsätzlich denke ich nicht,dass irgendein/e Sonderpädagog*in gegen die Idee der Inklusion oder besser der Integration von Schüler*innen mit sonderpädagogischen Förderbedarf ist. 

Es ist doch vielmehr die Art der Umsetzung, was die Pädagog*innen nicht nur an meiner Schule so verwundert. Da werden per Erlass via Gießkannenprinzip mindestens und grundsätzlich halbe Lehrerstellen von den FÖZ in den GU für jede Gemeinschafts-, Grund- und Regelschule entsendet, egal wie groß diese Schule ist.

Schüler*innen mit Beeinträchtigungen kann nicht mehr so geholfenwerden

Rechnerisch wird mithilfe eines Personalbedarfsermittlungsprogramms festgestellt, wie viel Lehrerwochenstunden und Stunden für Sonderpädagogische Fachkräfte dem FÖZ für den Unterricht und die Förderung am FÖZ und den GU zu Verfügung stehen. Laut Verwaltungsvorschrift für die Organisation des Schuljahres wird dann weiter festgelegt, dass ein möglicher Überhang für den GU zu verwenden ist. Daraus ergibt sich die Tatsache, dass an FÖZ jene Schüler*innen, deren Beschulung an den Gemeinschafts-, Grund- und Regelschulen infolge mangelnder räumlicher, sächlicher oder personeller Bedingungen nicht möglich ist, teilweise in relativ großen jahrgangs- und bildungsganggemischten Klassen unterrichtet werden müssen. Aus sonderpädagogischer Sicht unverständlich, auch wird nicht gefragt, ob am FÖZ dadurch nicht Qualität und Kompetenz verloren gehen. Das verstimmt vor allem jenen Teil des Kollegiums der unter schwieriger werdenden Bedingungen am FÖZ unterrichtet. Nicht, dass diese Pädagog*innen nicht gern unterrichten und fördern würden, doch es ist die Hilflosigkeit mit ansehen zu müssen, dass Schüler*innen mit Beeinträchtigungen nicht mehr so geholfen werden kann, wie diese Kinder und Jugendlichen es eigentlich bräuchten.

Gründe für die Unzufriedenheit der Sonderpädagog*innen im GU und am FÖZ

Infolge einer über mehr als zehn Jahre unangemessenen Personalpolitik der Legislative und Exekutive im Freistaat ist die Altersstruktur der Pädagog*innen auch an den FÖZ destruktiv. Der Krankenstand ist auch an manchem FÖZ zu hoch. Glücklicherweise haben wir an unserem FÖZ gegenwärtig keine Langzeitkranken mehr. Doch was macht Pädagog*innen krank? Nicht nur das Alter, vielmehr sind zufriedene Pädagog*innen auch im Alter Stütze und Motor der Schulentwicklung. Also stellt sich eher die Frage, warum sind Pädagog*innen unzufrieden? Meine Erfahrungen zeigen, dass gerade Sonderpädagog*innen besonders im GU und am FÖZ immer dann unzufrieden sind, wenn sie bei der Umgestaltung von Prozessen nicht mitgenommen werden, wenn Schulleitungen unangenehme Festlegungen zur Gestaltung von Schulprozessen und Unterricht administrativ weitergeben müssen, wenn sie im GU etwas machen müssen, was sie nicht gelernt haben, wenn sie in neuen Kollegien nicht gehört und angenommen werden. So könnte ich die Reihe fortsetzen, doch Schulpsycholog*innen können dieses sicherlich besser. Die Vorhaltung einer Vertretungsreserve wäre daher sicher auch für den GU wichtig.

Neue Konzepte und Personal helfen, Beharrungswillen nicht

Bei Besuchen der Netzwerkschulen erlebe ich oft gute und gewinnbringende Kooperationen. Die Sonderpädagog*innen berichten davon,wie ihre Hinweise an Schulleitung und Lehrende Gehör finden und die Schüler*innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf sich wohlfühlen und positiv entwickeln. GU funktioniert auch dann gut, wenn das Kollegium sich konzeptionell auf den GU eingestellt hat, Integrationshelfer*innen oder Sozialarbeiter*innen zur Verfügung stehen und die räumlichen, sächlichen und personellen Bedingungen für die Umsetzung der inhaltlichen Arbeit gegeben sind. Doch es gibt in Thüringen auch die andere Seite, Schulleitungen, die nicht verstehen wollen, dass zu gelingendem GU auch das Verändern von bestehenden Strukturen, Schulkonzepten, Denkweisen oder Haltungen gehört. Kollegien, die nicht akzeptieren wollen,dass die Sonderpädagog*innen der FÖZ für die sonderpädagogische Förderung nur MIT- und nicht ALLEIN -verantwortlich sind, die keine Konzepte für den GU entwickeln wollen, die das Teamteaching in der Klasse ablehnen und die Sonderpädagog*innen lieber außerhalb des Unterrichtes mit den "schwierigen" Schüler*innen sehen wollen. Auch gibt es sicher Sonderpädagog*innen, die sich gerade im GU zurückziehen, dort ihrer neuen Rolle nicht gerecht werden wollen oder können, da das nicht ihr erlerntes Tätigkeitsfeld ist, sie sich einfach nur arrangieren wollen, um ihre berufliche Sicherheit und Existenz nicht zu gefährden. Kolleg*innen die im GU arbeiten, sind auch oft eher Lernberater als Lehrer*in. Einige Pädagog*innen finden das gut, andere möchten jedoch weiter "richtig" unterrichten und wollen nicht einfach in die Rolle des Beraters oder Ko-Lehrers gedrängt werden.

Realistische Veränderungen statt Wunschdenken

Natürlich kann auch nicht vorausgesetzt werden, dass alle Grund- und Regelschullehrer*innen mit der Unterrichtung eines Kindes mit sonderpädagogischem Förderbedarf von jetzt auf gleich klarkommen. Sie brauchen dafür Unterstützung und Motivation. Nicht zu negieren ist auch die Tatsache, dass viele dieser Pädagog*innen mehrheitlich sich allein, ohne personelle sonderpädagogische Unterstützung, um alle Schüler*innen ihrer Klasse kümmern müssen.

Klar ist sicherlich, dass jedes Netzwerkförderzentrum anders ist und sich daher auch unterschiedlich aufgestellt hat und perspektivisch auch anders entwickeln wird. Immer schwieriger wird es für Schulleitungen der FÖZ sein, das Personal für Veränderungen zu sensibilisieren, aufzuklären und mitzunehmen, da helfen Zwangsabordnungen der Pädagog*innen in den GU, die Schulleitungen realisieren müssen, nicht. Sie sind eher schlecht für alle Beteiligten.

Ich glaube auch, dass es hilfreich wäre, wenn sich das TMBJS intensiver an den bestehenden Ressourcen und Möglichkeiten als Grundlage für angedachte Veränderungen orientiert. Ein Haus steht auch nur gut und lange auf einem stabilen Fundament und nicht auf Vorstellungen und Wünschen.