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Warum ein studentischer Tarifvertrag wichtig ist: Hohe Bedeutung der studentisch Beschäftigten, aber immer noch prekäre Bedingungen

„Ich erinnere mich noch gut, wie ich damals meinen ersten Vertrag als ‚wissenschaftliche Hilfskraft ohne abgeschlossene wissenschaftliche Hochschulbildung‘ (oft HiWi genannt, hier studentische Hilfskraft) unterschrieb. Die Mitarbeiterin im Personaldezernat meiner Hochschule gab mir ausreichend Zeit mir den Vertrag gründlich durchzulesen, obwohl er nicht besonders lang war: Eine A4-Seite vorn und hinten bedruckt. Es stand nicht viel drin; Vertragsdauer, Arbeitszeit und Vergütung waren aus meiner Sicht die wichtigen Punkte. Kein Wort über beispielsweise Urlaub. Braucht man ja auch nicht bei einer Vertragslaufzeit von ein bis drei Monaten, dachte ich. Dass jede Arbeitnehmer*in in Deutschland ein Recht auf bezahlten Urlaub hat, wusste ich damals nicht.

Ich habe in meinen Unterlagen elf Arbeitsverträge als wissenschaftliche Hilfskraft gefunden. Ich bin sicher, einige fehlen. Die maximale Vertragslaufzeit war drei Monate. Insgesamt war ich in vier Jahren 18 Monate als studentische Hilfskraft beschäftigt. Die Entlohnung stieg über die Jahre: Anfangs (2008) waren es 6,30 € und zum Ende meines Studiums 2012 waren es dann 7,45 € pro Stunde. Ich war damit zufrieden,war doch mein Lebensunterhalt und damit die Studienfinanzierung durch meine Eltern gesichert. Das Einkommen aus dem Job war eher ein Taschengeld, was meine Eltern etwas entlastete. Hätte ich mir mein Studium selbst finanzieren müssen, hätte ich mir wohl einen sichereren Job mit längerfristiger Perspektive gesucht. Durch die Tätigkeit als studentische Hilfskraft hatte ich aber Einblicke in die Forschung und konnte erste Erfahrungen in der Lehre sammeln. Zudem konnte ich Kontakte knüpfen, die vielleicht für eine akademische Karriere nützlich wären.

Wie war ich eigentlich an diese Jobs gekommen? Ehrlich gesagt, erinnere ich mich daran nicht genau, aber eine Bewerbung habe ich nie geschrieben. Vermutlich gab es Aufrufe am Ende von Lehrveranstaltungen auf die ich mich meldete oder ich wurde persönlich angesprochen. Dass ich als studentische Arbeitnehmerin einerseits Rechte habe, und welches Privileg es andererseits ist, diese Jobs machen zu können, wurde mir erst später bewusst.“ 

  • Hohe Zahl an studentischen Hilfskräften

In Thüringen können Studierende als wissenschaftliche (oder auch künstlerische) Hilfskräfte beschäftigt werden. Leider wissen wir nicht genau, wie viele dieser studentischen Hilfskräfte es in Thüringen gibt. Das wird so nicht erfasst. Studentische Hilfskräfte werden nicht nach Personen, sondern nach Verträgen erfasst. Bei kurzen Vertragslaufzeiten und häufiger Wiederbeschäftigung kann es beispielsweise sein, dass eine einzige Person mit mehreren aufeinander folgenden Verträgen pro Jahr beschäftigt wird. Wir schätzen auf der Basis von Landtagsanfragen (1,2), dass es jährlich in Thüringen circa 4.000 Studierende gibt, die als wissenschaftliche Hilfskraft beschäftigt sind. Bemerkenswert ist, dass diese Beschäftigtengruppe bis zu 25 %, einen beträchtlichen Anteil, der Gesamtarbeitszeit eines Instituts erbringt (2).

Die Aufgabenbereiche der studentischen Hilfskräfte sind je nach Fachrichtung sehr unterschiedlich. Klassisch ist der Einsatz in der Lehre als Tutor*innen z. B. in der Betreuung von Lehrpraktika. Sie erfüllen zudem Rechercheaufträge oder sind in Forschungsprojekte bei der Datenerhebung eingebunden. Nicht als solche Hilfskräftegelten sie aber, wenn nicht überwiegend wissenschaftliche Tätigkeit erbracht wird oder keine Koppelung an den Gegenstand des eigenen Studiums besteht – mit der Folge, dass die Befristungsgründe oft nicht rechtskonform sind.  

  • Bisher von Tarifverträgen ausgenommen:Studentische Hilfskräfte 

Wie viel sie für ihre Arbeit verdienen, das regelt die Tarifgemeinschaft der Länder (TdL). Das ist der Arbeitgeberverband, zu dem sich die Bundesländer zusammengeschlossen haben, um mit den Gewerkschaften den sogenannten Tarifvertrag der Länder (TV-L) auszuhandeln.Dieser gilt auch an den Thüringer Hochschulen für alle Angestellten,mit einer Ausnahme: die studentischen Hilfskräfte. Laut TdL sind Einschränkungen bei der flexiblen Gestaltung der Arbeitsverhältnisse und der geringe finanzielle Spielraum der Hochschulen Argumente gegen die Tarifierung der studentischen Hilfskräfte.

Die TdL ist zwar einerseits nicht bereit, studentische Hilfskräfte in den allgemeinen Tarifvertrag (TV-L) aufzunehmen, hat aber andererseits Höchstgrenzen (!) für deren Entlohnung festgelegt und letztmalig 2014 angepasst. Maximal dürfen pro Stunde 9,05 € (bzw. 10,54€ für Studierende mit Bachelorabschluss) im Tarifgebiet Ost gezahlt werden. Eine Untergrenze gab es bis zur Einführung des allgemeinen Mindestlohns allerdings nicht. Für studentische Hilfskräfte gelten zwar die Vereinbarungen über gesetzliche Mindeststandards, wie beispielsweise Anspruch auf bezahlten Urlaub und Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, weitergehende Regelungen aber nicht. Leider wissen selbst das viele Studierenden nicht oder fordern es nicht ein.  

  • Auch studentische Hilfskräfte haben Rechte

„Mit meinem Eintritt in die GEW stieg das Bewusstsein für meineRechte in der Arbeitswelt, auch als studentische Hilfskraft und dieNotwendigkeit diese einzufordern. Als ich wieder einmal zum Unterschreibenmeines Arbeitsvertrags beim Personaldezernat war, fragteich den Sachbarbeiter, wie viel Urlaub ich denn eigentlich hätte. Erantwortet mir, ohne Aufzuschauen, dass es keinen Urlaub gäbe. Wiedreist! Aber ich war vorbereitet und berief mich auf § 2 des Bundesurlaubsgesetzes.Ich war mit meinen Ausführungen noch nicht mal am Ende, als er einwilligte, mir meinen Urlaubsanspruch auszurechnen.

Ich erzähle diese Anekdote gern, weil sie verdeutlicht, wie sehr die Hochschulen darauf spekulieren, dass studentische Hilfskräfte ihre Rechte nicht wahrnehmen. Glücklicher Weise war ich nie in der Situation, dass ich auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall angewiesen wäre. Denn auch dieses Recht haben studentische Hilfskräfte. Allerdings ist es in der Praxis so, dass diese Fehlzeiten nachgearbeitet werden müssen. Im Übrigen steht das Wort ‚Entgeltfortzahlung‘ mittlerweile sogar im Arbeitsvertrag unter dem Punkt Vergütung. Der allgemeine Urlaubsanspruch versteckt sich unter dem Punkt ‚Sonstige Regelungen im Arbeitsvertrag‘: ‚Das Arbeitsverhältnis bestimmt sich […] nach den gesetzlichen Bestimmungen.‘

Studierende, die häufig noch keine Erfahrungen mit arbeitsrechtlichen Bestimmungen gemacht haben, verstehen selten, was damit gemeint ist. Studierende werden also durch den Arbeitgeber nicht über ihre Rechte aufgeklärt. Hier könnten explizitere Arbeitsverträge Abhilfe schaffen. Dazu aber ist zumindest meine Hochschulen nicht bereit. Auch die nach dem Nachweisgesetz geforderte ‚kurze Charakterisierung oder Beschreibung der vom Arbeitnehmer zu leistenden Tätigkeit‘ ist oft in den Verträgen nicht zu finden. Ähnliches gilt aber auch für die Frage nach Arbeitszeugnissen und einer Reihe weiterer gesetzlicher Mindeststandards oder bei der Einzahlung in die Rentenversicherung.“ 

  • Es fehlt ebenso an der Interessenvertretung

Aber selbst wenn einige Studierende ihre Rechte kennen, gibt es keine institutionelle Interessenvertretung, die rechtlich für die Beratung und die Durchsetzung dieser zuständig wäre. Weder der Personalrat der Hochschule noch die Verfasste Studierendenschaft sind dafür legitimiert. Die Studierenden in der GEW Thüringen fordern daher seit Jahren eine eigene Personalvertretung für studentische Hilfskräfte. In einer 2012 von der GEW veröffentlichten Studie (3), die die Situation studentischer Hilfskräfte und Mitarbeiter*innen in Deutschland unter die Lupe nimmt, wird deutlich, dass diese prekären Arbeitsbedingungen insbesondere die kurzen Vertragslaufzeiten, die gleichzeitig der Einstieg in die akademische Arbeitswelt sind, dem sowieso schon hoch selektiven Bildungssystem einen weiteren Selektionsmechanismus hinzufügen. Den Job als studentische Hilfskraft kann sich nur die Person leisten, die nicht auf eine auskömmliche Eigenfinanzierung des Studiums angewiesen ist. Zudem verschärft die mangelnde Praxis der Ausschreibung (wie sonst im öffentlichen Dienst üblich) von Hilfskraftstellen diese Selektion. Unter den jetzigen Bedingungen ist es ein Privileg, diese prekären Jobs inne zu haben. So zeigt die Studie, dass überdurchschnittlich viele studentische Hilfskräfte aus einem höheren sozioökonomischen Milieu stammen. Offensichtlich ist es dieser Gruppe leichter möglich, sich auf diese schlechten Bedingungen einzulassen, die als persönliches Geschenk der Professor*innen statt als reguläre Arbeitsverhältnisse wahrgenommen werden. Dies ist absurd und gleichzeitig ungerecht! Zudem stärkte es die Akzeptanz für prekäre Arbeitsbedingungen. 

  • Tarifvertrag für Studentisch Beschäftigte immer noch ein Vorhaben der Landesregierung?

Wir als GEW Thüringen möchten daher mit der Thüringer Landesregierung die im Koalitionsvertrag vereinbarten Verhandlungen führen, um einen Tarifvertrag abzuschließen, der diese Ungerechtigkeiten abbaut. Wenn die Landesregierung ernsthaft Interesse daran hat, wird sie einen Weg finden müssen, die Tarifgemeinschaft der Länder davon zu überzeugen, die dafür notwendige Freigabe zu erhalten oder eigenständig handeln müssen. Sich darauf zu berufen, dass die TdL die Freigabe verwehrt, ist unaufrichtig und verantwortungslos. Zumal das Finanzministerium und die Hochschulen nicht einmal bereit sind, in einen Dialog zu treten.

Für alle diejenigen, die oben erwähnten Argumente gegen einen Tarifvertrag für stichhaltig halten, sei gesagt: In Berlin gibt es seit Mitte der 80iger Jahre einen solchen Tarifvertrag und entsprechende gesetzliche Regelungen für studentische Beschäftigte mit Vertragsmindestlaufzeiten von zwei Jahren, einem deutlich höherem Gehaltsniveau und einer eigenen Personalvertretung. Übrigens auch mit der Konsequenz, dass andere studentische Jobs außerhalb der Hochschule ebenfalls besser entlohnt werden. Und das funktioniert offenbar seit 30 Jahren gut, ohne dass die Berliner Hochschulen kollabieren. 

Für alle die noch mehr zu den rechtlichen Rahmenbedingungen wissen möchten, sei der Ratgeber „Studentische und wissenschaftliche Hilfskräfte an Hochschulen“ vom März 2015 der GEW ans Herz gelegt. Selbstverständlich steht die deine Gewerkschaft gern mit Rat und Tat zu Seite, so z. B. wenn Du dich gegen die aus deiner Sicht ungültige Befristung wehren willst!

Quellen:

(1) Drucksache 5/5382 Antwort des Thüringer Ministeriums für Bildung, Wissenschaft und Kultur auf die Große Anfrage der Fraktion DIE LINKE (Drucksache 5/4490) „Beschäftigungsverhältnisse an den Thüringer Hochschulen im Jahr 2011“

(2) Drucksache 6/1377 Antwort des Thüringer Ministeriums für Wirtschaft, Wissenschaft und Digitale Gesellschaft auf die Große Anfrage der Fraktion der CDU(Drucksache 6/962) „Der Forschungs- und Hochschulstandort Thüringen“

(3) Alexander Lenger, Christian Schneickert und Stefan Priebe „Studentische MitarbeiterInnen – Zur Situation und Lage von studentischen Hilfskräften und studentischen Beschäftigten an deutschen Hochschulen und Forschungseinrichtungen

Kontakt
Julian Degen
Betriebsverbandsvorsitzender und Mitglied der Tarifkommission Studentische Beschäftigte
Adresse Heinrich-Mann-Str. 22
99096 Erfurt
Telefon:  0361 590 95 56
Lysett Wagner
Martin Preußentanz