Zum Inhalt springen

Gastbeitrag aus 2017 und immer noch aktuell!

Überlegungen zur paritätischen Besetzung von Hochschulgremien

Vielfach wird die Forderung nach Mitbestimmung der Hochschulangehörigen in den Hochschulgremien mit dem Schlagwort von der „Demokratisierung der Hochschulen“ begründet.

Dr. Peter Hauck-Scholz (rechts), hier bei der Vorstellung des Gesetzentwurfs zusammen mit Dr. Andreas Keller, stellv. Vorsitzender der GEW, im Jahre 2015 - Foto: Kay Herschelmann

Dem setzt das Bundesverfassungsgericht in seinem Hochschulmitbestimmungsurteil vom 29.05.1973 den Gedanken der Mitsprache (Mitbestimmung) der Mitgliedergruppen in den Gremien der Gruppenuniversität auf der Grundlage eigener Trägerschaft des Grundrechts der Wissenschaftsfreiheit entgegen (BVerfGE 35, 79, 125 ff.). Diese Teilhabe an der öffentlichen Wissenschaftsverwaltung sei nur durch die Wissenschaftsfreiheit legitimiert (BVer-fGE 35, 79, 128). Aber schon bei der Begründung von Mitbestimmungsrechten der Studierenden kommen andere Aspekte zum Zuge: Das Studium an der Universität sei auf eine künftige Beteiligung am Wissenschaftsprozess hin angelegt; außerdem seien sie durch die Art und Weise, in der die Universität diese Ausbildungsfunktion erfülle, unmittelbar betroffen und schließlich rechtfertige das Interesse des Studenten an einem Ausgleich und Gegengewicht zu der sozialen Abhängigkeit, in der er sich zur Universität als der Vermittlerin seiner Berufs- und Lebenschancen befinde, grundsätzlich eine Mitsprache bei der Erfüllung der der Universität gestellten Aufgaben. Bei den Mitbestimmungsrechten des nichtwissenschaftlichen Personals genügt dem Bundesverfassungsgericht zur Legitimation die Tatsache, dass die wissenschaftliche Tätigkeit in den Hochschulen in zunehmenden Maße der Unterstützung von Nichtwissenschaftlern bedürfe, die hierfür fachlich qualifiziert seien und hierfür auch entsprechende Verantwortung trügen.

Mit keinem Wort hat das Bundesverfassungsgericht das Demokratiegebot des Art. 20 Abs. 2 GG als Grundlage für eine Mitbestimmung an der Wissenschaftsverwaltung erwähnt, obwohl es sich bei den Hochschulen um öffentlich-rechtliche Körperschaften der sogenannten funktionalen Selbstverwaltung handelt. Für solche Körperschaften hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 05.12.2002 entschieden, dass die funktionale Selbstverwaltung das demokratische Prinzip verstärke und ergänze. Sie sei sogar Ausprägung des demokratischen Prinzips, soweit sie der Verwirklichung des übergeordneten Ziels der freien Selbstbestimmung aller diene. Die funktionale  Selbstverwaltung als organisierte Beteiligung der sachnahen Betroffenen an den sie berührenden Entscheidungen verwirkliche die Idee des sich selbst bestimmenden Menschen in einer freiheitlichen Ordnung. Der Gesetzgeber dürfe ein wirksames Mitspracherecht der Betroffenen schaffen und verwaltungsexternen Sachverstand aktivieren, einen sachgerechten Interessenausgleich erleichtern und so dazu beitragen, dass die von ihm beschlossenen Zwecke und Ziele effektiver erreicht werden (BVerfGE 107, 59, 92). Die Regelungen über die Ordinationsstruktur von Selbstverwaltungseinheiten müssten ausreichende institutionelle Vorkehrungen dafür enthalten, dass die betroffenen Interessen angemessen berücksichtigt und nicht einzelne Interessen bevorzugt werden.

Der tiefere Grund für eine Mitbestimmung von Hochschulangehörigen in den Kollegialorganen lässt sich daher nicht mit Art. 5 Abs. 3 GG rechtfertigen, sondern vor allem mit dem Gedanken der Selbstbestimmung (Autonomie), der wiederum mit dem demokratischen Prinzip zusammenhängt. Selbstbestimmung leitet sich aus der Menschenwürde ab und kennt – anders als die Sachkunde – keine Abstufungen. Selbstbestimmung steht allen Menschen in gleicher Weise zu. Das demokratische Prinzip ist durch den Gedanken der Herrschaftsbeschränkung geprägt: Wenn die Beherrschten selbst die Herrschaft ausüben, fehlt es an einem wesentlichen Merkmal von Herrschaft, nämlich dem der Fremdbestimmung. Herrschaftsausübung findet auch in der Hochschule durch Entscheidungen ihrer Organe und Gremien statt. Von einer solchen Herrschaftsausübung sind alle gleichermaßen betroffen.

Aus der herausgehobenen Stellung der Hochschullehrer und der Tatsache, dass die sonstigen Bediensteten in der Regel keine durch Art. 5 Abs. 3 GG geschützte Tätigkeit  ausüben, leitet das Bundesverfassungsgericht unter Berufung auf Art. 5 Abs. 3 GG abgestufte Mitwirkungsrechte der Mitgliedergruppen in den Kollegialorganen ab. Dabei  müsse verhindert werden, dass wissenschaftlicher Sachverstand bei der Entscheidung von Fragen der Forschung und Lehre in den Beschlussorganen der  Wissenschaftsverwaltung überspielt werde.

Bedenkt man, dass auch Kollegialorgane der Wissenschaftsverwaltung in weitem Umfang öffentliche Gewalt ausüben, bedarf dies wie die Ausübung jeder staatlicher Gewalt staatlicher Ermächtigung und lässt sich – schon grundsätzlich – nicht aus einem ursprünglich gegen den Staat gerichteten Freiheitsrecht ableiten (Sondervotum, BVerfGE 35 148, 153). Machtausübung als Bestandteil eines Grundrechts ist schon ein Widerspruch in sich, weil Grundrechte nach ihrer historischen Entstehung und ihrem heutigen Verständnis dazu dienen, Macht zu begrenzen, nicht aber Machtausübung zu ermöglichen. Die Regelung von Fragen, die das Grundgesetz offen gelassen hat (wie z. B., wie Wissenschaftsverwaltung zu organisieren ist), ist im demokratischen Rechtsstaat dem Gesetzgeber vorbehalten und kann nicht aus dem Grundrecht selbst abgeleitet werden.

Da die objektive Wertordnung des Grundgesetzes grundsätzlich allein durch den Gesetzgeber auszugestalten und zu konkretisieren ist, schließt dies aus, aus den  Interessen einzelner gegenwärtiger Grundrechtsträger strikte, mit der Verfassungsbeschwerde durchsetzbare Ansprüche auf eine bestimmte Gestaltung der  Wissenschaftsverwaltung ableiten zu wollen. Denn hierfür fehlt es an hinreichend verlässlichen Maßstäben, wie die spätere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu den sogenannten strukturellen Gefährdungen der Wissenschaftsfreiheit und der hieraus abgeleiteten Notwendigkeit einer Analyse des Gesamtgefüges der  Hochschulorganisation belegt.

Entscheidungen der Kultusbürokratie in Fragen der Wissenschaftsverwaltung sind noch nie unter dem Aspekt fehlender Partizipation der Gruppe der Hochschullehrer infrage gestellt worden. Sogar das Bundesverfassungsgericht hat anerkannt, dass es für Entschei-dungen im Bereich der Wissenschaftsverwaltung keinen Vorrang von  Kollegialorganen gegenüber monokratischen Leitungsorganen gibt (BVerfGE 111, 333, 356).

Die Privilegierung der Gruppe der Hochschullehrer in den Kollegialorganen wird unter anderem mit ihrem wissenschaftlichen Sachverstand begründet. Hierzu ist darauf  hinzuweisen, dass zur Mitwirkung in Gremien der Wissenschaftsverwaltung nicht Fachwissen (einer wissenschaftlichen Disziplin), sondern Organisations- und  Handlungsfähigkeit (Managementqualitäten) erforderlich sind. Auch bei einer typisierenden Betrachtung lässt sich nicht ernsthaft vertreten, dass Hochschullehrer über diese Sachkunde im besonderen Maße verfügen. Somit erweist sich diese Argumentation als reine Ideologie.

Es bleibt noch der Gesichtspunkt der besonderen Betroffenheit der Hochschullehrer durch Entscheidungen der Kollegialorgane und der ihrer besonderen Interessenlage. Besonders betroffen bei einzelnen Entscheidungen ist aber nie die Gruppe der Hochschullehrer, sondern der einzelne Hochschullehrer, in dessen Rechtsstellung eingegriffen wird. Dies wird besonders deutlich, wenn eine durch Hochschullehrer getragene Mehrheitsentscheidung einen einzelnen Hochschullehrer trifft. Zudem besitzt dieser kein  Alleinstellungsmerkmal im Vergleich zu einzelnen wissenschaftlichen oder nichtwissenschaftlichen Mitarbeitern oder Studierenden, wenn in deren Rechtsstellung durch Gremienentscheidungen eingegriffen wird. Nach alledem sind die vom Bundesverfassungsgericht entwickelten konkreten Grundsätze zum Anteil der Hochschullehrergruppe in den Hochschulgremien mit dem Demokratieprinzip nicht vereinbar, weil sich das Bundesverfassungsgericht mittels einer Grundrechtsinterpretation an die Stelle des Gesetzgebers setzt.

Vor diesem Hintergrund ist der Ansatz des Gesetzgebers bei der Novellierung des ThürHG zwischen Sitzverteilung und Stimmberechtigung zu differenzieren, plausibel: Die  gleiche Zahl an Sitzen für alle Mitgliedergruppen in Senat und Fachbereichsrat soll für die Sitzverteilung gelten, nicht jedoch für die Stimmberechtigung. Bei der Stimmberechtigung sollen nach der Konzeption der Gesetzesnovelle die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts in wissenschaftsrelevanten Angelegenheiten zugunsten eines gewichteten Stimmrechts der Hochschullehrer gelten.