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Thüringer Gesetzesnovelle: Demokratie an Thüringens Hochschulen?

Falls die deutschen Hochschulen, wie dies seit Jahren erklärt und in Hochschulgesetzen angebahnt wird, gegenüber den Landesregierungen autonomer werden, stellen sich neue Herausforderungen für ihre Selbstverwaltung.

Sieht man die Angelegenheit wirtschaftlich, sollten sie ihre Mittel effizienter und ertragreicher einsetzen; bedenkt man, dass Hochschulen kaum je profitable Unternehmen werden können, einen öffentlichen Auftrag haben und der Wissenschaftsfreiheit verpflichtet sind, gilt es ihre Entscheidungsprozesse demokratischer zu gestalten. Genau  hier ist die grundgesetzlich garantierte Freiheit der Wissenschaft aber auch zum Problem geworden: Seit 1973 wird sie gerichtlich als Freiheit der Professor*innen oder der „Hochschullehrer“ ausgelegt, die daher in allen Gremien akademischer Selbstverwaltung die Mehrheit haben müssen. So urteilte damals das Bundes-Verfassungsgericht, so
2016 erneut der baden-württembergische Verfassungsgerichtshof, der eine Gesetzesnovelle der grün-schwarzen Landesregierung als unvereinbar mit der Landesverfassung  zurückwies. Die ebenfalls an der Wissenschaft beteiligten Studierenden und vor allem die inzwischen „91 Prozent der Wissenschaftler an Deutschlands Hochschulen, die nicht Professoren sind“ (Jan Martin Wiarda, Zeit-Newsletter vom 11.5.2017), scheinen das Grundrecht nicht zu genießen. Der Entwurf zur Novellierung des Thüringer  Hochschulgesetzes versucht dankenswerter Weise erneut, in dieser Lage Wege zur Drittel- und Viertelparität, also zur gleichberechtigten Mitbestimmung der Studierenden, des nichtprofessoralen wissenschaftlichen sowie (in den meisten Hochschultypen auch) des nichtwissenschaftlichen Personals zu bahnen. Dabei setzt allerdings, wie ich  ausführen will, nicht nur die verfassungsgerichtliche Drohkulisse dem demokratischen Impuls enge Grenzen. Die Chancen auf echte, gelebte Demokratie werden zudem durch die hierarchischen Arbeitsstrukturen an den Hochschulen beeinträchtigt – und der Zug zur unternehmerischen Hochschule, der den Gesetzesentwurf ebenfalls spürbar prägt, verspricht die Lage hier eher zu verschärfen.

  • Zum Thüringer Gesetzentwurf

Rechtlich hält sich der Thüringer Entwurf auf der sicheren Seite. Zwar sollen, so der Vorstoß, dem akademischen Senat nunmehr „1. drei Hochschullehrer, 2. drei akademische Mitarbeiter, 3. drei Studierende, 4. drei sonstige Mitarbeiter“ als stimmberechtigte Mitglieder angehören (§ 33 (3)). Doch über „Angelegenheiten, welche unmittelbar Lehre und Forschung betreffen“, stimmen „zusätzlich sieben Hochschullehrer“ mit ab (§33 b), um dann doch die professorale Mehrheit zu sichern. Bedenkt man, dass diese Angelegenheiten fast alle überhaupt relevanten Entscheidungen umfassen – zwei interessante Ausnahmen, den Hochschulrat und die Rechtsform der  Hochschulen, werden gleich gesondert zu beleuchten sein –, verliert der demokratische Aufbruch unmittelbar wieder an Fahrt. Der Thüringer Ansatz ist sicher besser als mögliche Alternativen. Für Baden-Württemberg wurde die Notlösung erwogen, im Zweifelsfall die Stimmen der wenigen Professor*innen im Senat mehrfach zu gewichten,  womit dann sehr wenige Mitglieder der bekanntlich oft eigenwilligen Gruppe große Macht bekämen. Die Linksfraktion im sächsischen Landtag hat in einem großen  Gesetzesentwurf die interessante Alternative vorgeschlagen, bei beibehaltener professoraler Mehrheit eine Kreuzwahl der Gremienmitglieder zuzulassen, sodass auch  Studierende ihre favorisierten Professor*innen in den Senat wählen könnten (Sächsischer Landtag, Ds. 6/9585, § 50) – was die Mehrheitsverhältnisse gründlich in Bewegung bringen würde, jedoch eben deshalb den Wissenschaftsfreiheits-Test nicht bestehen dürfte. Eine pragmatische Alternative scheint also sinnvoll. Doch angesichts des stark angewachsenen, immer umfangreicher eingespannten bzw. ausgebeuteten wissenschaftlichen ‚Mittelbaus’ oder ‚Nachwuchses’ wäre es an der Zeit, den selbst reichlich  professoral besetzten Verfassungsgerichten entgegenzutreten. Wenn sie nicht von sich aus in der Lage sind, das Grundgesetz und die Landesverfassungen in puncto  Wissenschaftsfreiheit angemessen zu lesen, sollte der Gesetzgeber sie ihnen mit Zusätzen zu den entsprechenden Paragraphen erläutern.

  • Substanzielle Mitbestimmungsgewinne an bestimmten Stellen

Substanzielle Mitbestimmungsgewinne verspricht der Thüringer Entwurf ausgerechnet an Stellen, die aus anderen Gründen problematisch sind. Zum einen soll das neue  Gesetz ein demokratisch allenfalls schwach legitimiertes Gremium ausbauen, den Hochschulrat. Den Aufsichtsräten von Unternehmen nachempfunden und mehrheitlich mit hochschulexternen Mitgliedern besetzt, ist er wesentlich mit Beratungs- und Aufsichtsaufgaben betraut, im neuen Gesetz aber auch in die Wahl des Präsidenten bzw. der  Präsidentin eingebunden. Damit wird wichtig, wie der Rat selbst zustande kommt. Der Gesetzentwurf sieht hier eine Art gelenkter Selbstverwaltung vor: Neben einem vom  Ministerium entsandten Mitglied sollen fünf externe Mitglieder auf Vorschlag von Hochschulpräsidium und Ministerium vom Senat gewählt und zusätzlich zwei Hochschulangehörige direkt vom Senat bestimmt werden (§ 32 (2)). Für diese speziellen Wahlgänge ist nun ausdrücklich keine professorale Mehrheit erforderlich (§ 33b). Die vom Gesetz mit der einen Hand angerichtete Beschädigung demokratischer Legitimation wird also mit der anderen Hand gemildert. Ähnliches gilt für die neu ermöglichte „Änderung der Rechtsform“ einer Hochschule, die ebenfalls Sache aller akademischen Gruppen sein soll. Gemeint ist hier, dass die Hochschulen nicht zwingend „rechtsfähige Körperschaften des öffentlichen Rechts und zugleich staatliche Einrichtungen“ bleiben müssen (§ 2), sondern eine andere Form, namentlich wohl die Form  einer Stiftungsuniversität beantragen und erhalten können. Die Diskussionen hierüber können eine Hochschule eine Weile in Atem halten, der Nutzen ist fraglich, und die  öffentliche Kontrolle der weiterhin öffentlich finanzierten Einrichtung würde geschwächt – doch der Weg in Richtung unternehmerische Hochschule würde im Zweifelsfall  durch paritätische Selbstbestimmung geebnet.

  • Stichworte: „Unternehmerische Hochschule“ und Personalstrukturen

Das Stichwort ‚unternehmerische Hochschule’ kann auch als Titel für die Probleme dienen, die gelebte Demokratie an Thüringens Hochschulen selbst bei konsequenter paritätischer Mitbestimmung verhindern würden. Der vielleicht kleinere Teil des Problems ist unmittelbar ökonomisch bestimmt. Während das Geld für Bildung knapp bleiben wird, soll sie mehr oder minder direkt Profite erbringen. Zu den Aufgaben der Hochschulen zählt es nun explizit, „die unternehmerische Tätigkeit der Studierenden und  Hochschullehrer“ zu „fördern“ (§5 (2)). „Aufgabe der Hochschulen“ soll weiterhin „Wissens- und Technologietransfer“ sein, zumal als „Teil der Innovationskette, die zur  wirtschaftlichen Wertschöpfung führt“, etwa durch „Patentierung, Lizensierung und Ausgründung“ (§5 (12)). Auch die nunmehr verpflichtende Einwerbung von ‚Drittmitteln’ (§ 13 (2)), zu der Professor*innen nicht mehr nur berechtigt, sondern „aufgefordert“ sind (§59 (2)), umfasst Wirtschaftsaufträge. Hier muss man jedoch nicht durchgängig echte  Ökonomisierung befürchten, da den Löwenanteil staatliche Mittel, etwa Fördermittel der DFG und aus Bundesprogrammen ausmachen. Der Projektbetrieb schafft – dies dürfte der größere Teil des Problems sein – allerdings als solcher bedenkliche Personalstrukturen. Sein Ausbau hat das befristete, in individueller Abhängigkeit arbeitende  wissenschaftliche Personal seit 2000 bundesweit fast verdoppelt. Zu den wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen, die nach wie vor feudalistisch als ‚Ausstattung’ einer  Professur gehandelt werden, kommen verschiedenste Drittmittelbeschäftigte und nicht wenige Extrastellen, die in die Ausarbeitung von Anträgen, die Betreuung von  Verbundforschung, Überbrückung von Lehr-Engpässen u. ä. eingebunden sind. Der Projektmittel-Wettbewerb mag teilweise bewirkt haben, dass die freie Forschungs- oder
Nichtforschungstätigkeit der Professor*innen stärker als zuvor kontrolliert wird; die Macht, die sie selbst über wissenschaftliche Beschäftigte haben, hat sie nicht abgebaut,  ondern vermehrt. Unter dem Druck persönlicher Abhängigkeit, befristeter Projektbeschäftigung und zuweilen auch direkter kapitalistischer Zwänge werden die  issenschaftliche Mitarbeiter*innen nie zu wirklich gleichberechtigten Mitgliedern ihrer Hochschulen werden.

Eine Möglichkeit, selbst unter solchen Bedingungen mehr als  kosmetisch die demokratische Selbstverwaltung zu stärken, hat die sächsische Linksfraktion ausgearbeitet: Der zentrale Vorschlag ihres erwähnten Gesetzesentwurfs  lautet, die wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen nicht länger persönlich Professor*innen zu unterstellen, sondern den Instituten insgesamt zuzuordnen (Sächsischer Landtag, Ds. 6/9585, §§ 71-73). Das schließt Weisungsbefugnisse in arbeitsteiliger Forschung nicht aus (ebd. § 17 (2)), würde aber deutlich mit dem an deutschen Hochschulen  ingespielten Prinzip brechen, dass Menschen bis ins fünfte Lebensjahrzehnt abhängiger Nachwuchs bleiben. Eine wirkliche Demokratisierung der Hochschulen müsste in dieser und anderer Weise bei den Arbeitsverhältnissen derer ansetzen, die Wissenschaft als Beruf gewählt haben.

Prof. Dr. Tilman Reitz