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Lehrbeauftragte

An jeder Hochschule gibt es zahlreiche Menschen, die Lehrveranstaltungen durchführen: außer ProfessorInnen u. a. wissenschaftliche oder künstlerische MitarbeiterInnen, Lehrkräfte für „besondere“ Aufgaben, außerdem Junior- und VertretungsprofessorInnen, außerplanmäßige ProfessorInnen, manchmal halten sogar wissenschaftliche Hilfskräfte Lehrveranstaltungen. Artikel aus tz 5/2014

Quelle: RABE KARIKATUR

Von der sinnvollen Ergänzung des Lehrangebotes zur Ausbeutung von Lehrnomaden

An jeder Hochschule gibt es zahlreiche Menschen, die Lehrveranstaltungen durchführen: außer ProfessorInnen u. a. wissenschaftliche oder künstlerische MitarbeiterInnen, Lehrkräfte für „besondere“ Aufgaben, außerdem Juniorund VertretungsprofessorInnen, außerplanmäßige ProfessorInnen, manchmal halten sogar wissenschaftliche Hilfskräfte Lehrveranstaltungen. In der Regel befinden sich diese Lehrenden in einem Dienst- (BeamtInnen) oder Beschäftigungsverhältnis (ArbeitnehmerInnen) mit dem Freistaat Thüringen. Für die ArbeitnehmerInnen werden Sozialversicherungsbeiträge abgeführt, für die BeamtInnen (meist nur die ProfessorInnen) gelten die beamtenrechtlichen Bestimmungen. Diese regulär beschäftigten Lehrenden erhalten bezahlten Urlaub und Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, und außerdem kommen sie irgendwann einmal in den Genuss einer Rente oder Pension. Es gibt aber eine relativ große
Gruppe, für die gar nichts gilt: die Lehrbeauftragten. Genauer gesagt, es gilt § 86 des Thüringer Hochschulgesetzes:

„(1) Zur Ergänzung des Lehrangebots können Lehraufträge erteilt werden. In der künstlerischen Ausbildung können Lehraufträge auch zur Sicherstellung des Lehrangebots in einem Fach erteilt werden. Die Lehrbeauftragten nehmen die ihnen übertragenen Aufgaben selbständig wahr.
(2) Lehrbeauftragte werden für eine bestimmte Zeit, in der Regel zunächst für ein Semester, vom Leiter der Hochschule bestellt; sie stehen in einem öffentlich-rechtlichen Rechtsverhältnis eigener Art zum Land. Der Lehrauftrag ist zu vergüten; dies gilt nicht, wenn der Lehrbeauftragte von sich aus auf eine Vergütung verzichtet […]. Die Höhe der Vergütung legt das Ministerium durch Verwaltungsvorschrift
fest.“ [Hervorhebungen des Verf.]

Diese Verwaltungsvorschrift vom 14.06.20101 regelt, dass die Vergütung für eine  Lehrveranstaltungsstunde mindestens 16,00 Euro und höchstens 66,00 Euro beträgt und von der Art und Bedeutung der Lehrveranstaltung und der Qualifikation des oder der Lehrbeauftragten abhängen
soll. Lehrbeauftragte dürfen auf die Vergütung schriftlich verzichten. Die Mitwirkung an Prüfungen, die nicht in direktem Zusammenhang mit dem Lehrauftrag stehen, kann (!) mit bis zu 15,30 Euro je Stunde vergütet werden. Näheres regeln die Hochschulen durch eigene Satzungen (veröffentlicht auf den jeweiligen Webseiten). Eine synthetische Übersicht der Vergütungssätze an den einzelnen Hochschulen ist in der Antwort des TMBWK auf die Große Anfrage der Fraktion DIE LINKE im Thüringer Landtag zu Beschäftigungsverhältnissen an den Thüringer Hochschulen im Jahr 2011[2] zu finden, die uns auch schon für andere Auswertungen umfangreiches Zahlenmaterial geliefert hat.

Interessant ist zunächst jedoch nicht die theoretisch höchstmögliche Vergütung für Lehraufträge, sondern die real gezahlte. Da die Hochschulen entsprechend der schon genannten Verwaltungsvorschrift in ihren Jahresberichten über Lehraufträge Bericht erstatten müssen, „insbesondere über die Entwicklung der Höhe der Lehrauftragsvergütung und die Entwicklung der Anzahl der erteilten Lehraufträge sowie deren Umfang“[3], kann man aus den dort veröffentlichten Zahlen auf die durchschnittliche Lehrauftragsvergütung schließen. Aufgeschlüsselt nach Hochschulen
sehen die Werte für 2011 wie folgt aus:

 

HochschuleAnzahl LVSVergütung MittelAbweichung vom Durschnitt
FSU Jena33.46922,12€-1,97€
TU Ilmenau5.90823,79€-0,30€
UniErfurt29.76917,68€-6,41€
BU Weimar9.68223,15€-0,94€
HfM Weimar36.88332,46€8,37€
FH Jena22.50121,29€-2,80€
FH Erfurt13.14025,27€1,18€
FH Schmalkalden3.18026,76€2,67€
FH Nordhausen4.58723,78 €-0,31€
Durschnitt24,09€

Im Jahr 2011 betrug die durchschnittliche Lehrauftragsvergütung an den Thüringer Hochschulen etwas mehr als 24 Euro pro geleisteter Lehrveranstaltungsstunde. Nur zwei Hochschulen fallen dabei deutlich aus dem Rahmen: Die deutlich niedrigsten Lehrauftragsvergütungen werden an der Universität Erfurt gezahlt, die höchsten an der Hochschule für Musik. Beide Hochschulen zeichnen sich außerdem durch eine – gemessen an ihrer Größe – erhebliche Anzahl von Lehrauftragsstunden aus. An der Hochschule für Musik lässt es sich damit erklären, dass „Lehraufträge auch zur Sicherstellung des Lehrangebots in einem Fach erteilt werden“[4] können und in der musikalischen Ausbildung sehr viel Einzelunterricht erteilt wird.

Insgesamt entstehen bei solch hohen Zahlen jedoch Zweifel daran, ob Lehraufträge wirklich nur zur Ergänzung des Lehrangebotes vergeben werden oder ob nicht auch ein erheblicher Anteil von Lehrveranstaltungen im Kerncurriculum (Pflicht- oder Wahlpflichtveranstaltungen nach Prüfungs- und Studienordnung) regelmäßig von Lehrbeauftragten angeboten wird.

Ein Blick in die Lehrauftragssatzungen der Hochschulen verrät, dass der Begriff „Ergänzung“ zuweilen recht großzügig ausgelegt wird. An der FH Nordhausen heißt es beispielsweise: „Lehraufträge werden zur Ergänzung des Lehrangebotes erteilt. Sie dienen entweder der quantitativen Erweiterung
des vorhandenen Lehrangebotes, dem Angebot von Spezialveranstaltungen oder der Einbringung von besonderen Fähigkeiten und Kenntnissen aus der beruflichen Praxis des Lehrbeauftragten in die Lehre“ [5] [Hervorhebung des Verf.]. „Quantitative Erweiterung“ erlaubt im Prinzip jedoch alles.

Zwar sollen Lehrbeauftragte nicht grundsätzlich in Frage gestellt werden. Wenn beispielsweise ein besonderer Praxisbezug hergestellt werden soll oder eine Spezialveranstaltung von außen „eingekauft“ wird, ist dagegen nichts einzuwenden, sofern die Lehrbeauftragten sozial abgesichert
sind, bspw. eine Arbeitsrichterin, die eine Zusatzveranstaltung zu Fallbeispielen aus der aktuellen Rechtsprechung durchführt, oder ein Wirtschaftsingenieur, der etwas zur Vermarktung von Industriegütern anbietet.

Nicht akzeptabel ist jedoch, dass es zahlreiche Menschen gibt, die ihren gesamten Lebensunterhalt durch Lehraufträge (freiberufliche Lehre) bestreiten müssen und teilweise trotz Vollzeitlehre an mehreren Hochschulen (und manchmal zusätzlich an Volkshochschulen oder in der Fort- und Weiterbildung) mit ihrem verfügbaren Einkommen nicht überleben können, da es auf Hartz IV-Niveau
liegt. Tatsächlich müssen viele „hauptberufliche Lehrbeauftragte“ aufstockende Leistungen nach dem SGB II beantragen. Dafür genügt folgende Berechnung:
Bei 24 Euro als durchschnittlicher Lehrauftragsvergütung und 30 Lehrveranstaltungswochen im Jahr mit 24 (!) Lehrveranstaltungsstunden, die an verschiedenen Hochschulen erbracht werden, beträgt die Jahresvergütung 17.280 Euro. Da Lehrbeauftragte sich selber versichern müssen, sind davon Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung als Selbstständige abzuführen, so dass ein Jahresnettoeinkommen
von ziemlich genau 10.000 Euro bleibt, also etwa 830 Euro monatlich6. 830 Euro Monatseinkommen
bleiben einem Menschen, der an Hochschulen Vollzeit lehrt. Und so „viel“ Geld bleibt auch nur übrig, wenn man keinen einzigen Tag krank war und es überhaupt schafft, 24 Lehrveranstaltungsstunden
an verschiedenen Hochschulen ohne Berücksichtigung von Wegezeiten zu lehren.

Zwar dürfen Lehrbeauftragte an einer Hochschule nicht mehr als die Hälfte des üblichen Lehrdeputats erbringen, jedoch sind viele daher gezwungen, an mehreren Hochschulen Lehraufträge anzunehmen. Gerade an den Jenaer, Weimarer und Erfurter Hochschulen ist das üblich, ggf. verbunden mit einem „Abstecher“ nach Leipzig. Es gibt mehr KollegInnen als gemeinhin angenommen, die auf diese Weise
leben, gerade im Bereich der Fremdsprachenausbildung (wo der Stundensatz meist unter 24 Euro liegt)

Es ist offenkundig, dass eine angemessene Lehrauftragsvergütung mindestens drei Mal so hoch sein müsste, wie derzeit, also etwa 75 Euro pro Lehrveranstaltungsstunde, was auch in etwa der EG 13 Stufe 4 entspräche. Die Beschlusslage der GEW erscheint angesichts dieser Situation etwas vorsichtig
zurückhaltend. Im „Templiner Manifest“ wird gefordert: „Dort, wo Lehrbeauftragte dauerhafte Lehrund
Prüfungsaufgaben wahrnehmen, müssen diese sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse erhalten. Soweit zur Ergänzung des Lehrangebots Lehraufträge sinnvoll sind, müssen Mindeststandards im Hinblick auf Bezahlung, Vertragsdauer und Verlängerungsoption gelten.“7 Im „Herrschinger Kodex“ wird dies ergänzt um die Forderung, dass „die Vergütung [...] auch den Zeiten für die Vor- und Nachbereitung der Lehrveranstaltungen, für die Betreuung und Beratung der Studierenden sowie für Prüfungsverpflichtungen Rechnung(trägt).“[2]

Auf ihrem Gewerkschaftstag 2013 forderte die GEW die Länder auf, „die Vergabe von Lehraufträgen ausschließlich zur Ergänzung des Lehrangebots zu gestatten, die Vergabe über einen Zeitraum von mehr als einem Semester sowie eine angemessene Vergütung vorzugeben, die Zeiten der Vor- und Nachbereitung der Lehrveranstaltungen sowie der Betreuung und Beratung der Studierenden und
die Wahrnehmung von Prüfungsverpflichtungen berücksichtigt.“[9]

Sollten wir nicht in unseren Forderungen darüber hinaus gehen? Vorstellbar wäre doch folgender Forderungskatalog:

1. Ein Lehrauftrag muss für den Arbeitgeber grundsätzlich teurer sein als ein sozialversicherungspflichtiges Versicherungsverhältnis, um den Anreiz zu erhöhen, regulär einzustellen.
2. Ein Lehrauftrag wird nur vergeben an Personen, die woanders ein sozialversicherungspflichtiges
Beschäftigungsverhältnis ausüben oder ihren Versichertenstatus anderswertig nachweisen können (BeamtInnen, UnternehmerInnen), ansonsten erfolgt die Einstellung in ein sozialversicherungspflichtiges (Teilzeit-)Beschäftigungsverhältnis.
3. Es gilt eine Obergrenze von 4 Lehrveranstaltungsstunden im Semester, wobei Lehraufträge an mehreren Hochschulen nur erteilt werden dürfen, wenn diese Obergrenze nicht überschritten wird; bei mehr als 4 Lehrveranstaltungsstunden erfolgt eine ordentliche Einstellung.
4. Lehrbeauftragte werden grundsätzlich von den Personalräten wie Beschäftigte vertreten.

Einige dieser Forderungen werden eventuell bei einigen „hauptberuflichen Lehrbeauftragten“ zunächst
Befürchtungen aufkommen lassen, dass ihre magere Existenzgrundlage dann ganz weg bricht. Letztendlich soll es jedoch umgekehrt  kommen: die Ausbeutung als moderne Lehrnomaden hätte ein Ende und sehr viel mehr KollegInnen würden reguläre Beschäftigungsverhältnisse erhalten.

Die Diskussion ist eröffnet.
Thomas Hoffmann

Thomas Hoffmann leitete von 2002 bis 2014 des Referat Hochschule und Forschung der GEW Thüringen.

1 Amtsblatt des TMBWK Nr. 7/2010 vom 23.07.2010, S. 214
2 Thüringer Landtag, Drs. 5/5382 vom 14.12.2012, Anlagen 29 bis 37
3 Amtsblatt des TMBWK Nr. 7/2010 vom 23.07.2010, S. 214, 1 Nr.9
4 Thüringer Hochschulgesetz vom 21.12. 2006 i.d.F.v.18.07.2014, §86 Abs. 1
5 §1 Abs. 2 der Satzung zur Vergabe von Lehrbeauftragten an der Fachhochschule Nordhausen v.

14.07.2011, Quelle: www.fh-nordhausen.de/fileadmin/daten/amtl_bekanntm/2011/abkm_2011_02_13-07-11.pdf


6 Eigene Berechnung, auf Grundlage des Algorithmus im „Infoblatt Weiterbildung“ vom Dezember 2013
des GEW-Hauptvorstandes.

7 www.gew.de/Templiner_Manifest.html


8 GEW-Hauptvorstand (Hg.), „Herrschinger Kodex“, Frankfurt 2012
9 Antrag 2.11 „Wege zum Traumjob Wissenschaft – Aktionsprogramm zur Umsetzung des Templiner Manifests“ zum Gewerkschaftstag der GEW in Düsseldorf vom 12.-16.06.2013