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Unterricht in Zeiten von Corona und für danach

Heute bleibt die Schule dicht

Der erste Lockdown im März 2020 aufgrund der Coronapandemie traf die meisten Schulen hart, denn die Voraussetzungen waren längst nicht da-für geschaffen gewesen, dass mit Hilfe digitaler Möglichkeiten Schüler*innen zu Hause am Computer allein und zusammen mit ihren Lehrer*innen lernen können. Einige Schulen hatten sich aus verschiedenen Gründen bereits vorher auf den Weg gemacht, neue Wege in der Organisation des Unterrichts zu gehen, zum Beispiel die Staatliche Regelschule „Prof. Franz Huth“ in Pößneck. Diese neuen Wege helfen nun im 2. Lockdown und rüsten die Schule, um auch auf andere Herausforderungen reagieren zu können. Die Schulleiterin Sylke Kühne stellt uns hier die Herangehensweise ihrer Schule vor.

Unzufriedenheit, selbstständiges Lernen und ein neues Schulkonzept

Wir hatten den Wunsch, etwas zu verändern, da die Unzufriedenheit mit dem Lernalltag stetig zu wachsen begann, die Überforderung zunehmend über uns schwebte und nicht mehr zu unserem Grundprinzip passte, jedem Schüler und jeder Schülerin eine reale Chance anzubieten. Ursachen waren zum einen die ständig wachsenden Anforderungen und Aufgaben, zum anderen bemerkten wir, dass die Möglichkeiten unseres jahrzehntealten schulischen Konstruktes an Grenzen stießen. Einzelne Veränderungen zeigten nur minimale Wirkungen. Und die erste Corona-Welle/der erste Lockdown verdeutlichte uns diese Einschätzung.

Wir hatten uns insofern schon auf den Weg gemacht, dass die Steuergruppe in Zweierteams Schulen kontaktierten und besuchten, deren Konzept und Praktiken aus unserer Sicht Anregungen für Änderungen geben konnten. Dieser Prozess war noch nicht abgeschlossen, als wir wieder in den Lockdown gingen. Zwar fanden wir quasi über das Wochenende einen geeigneten Weg, die Schüler*innen mit Aufgaben zu „versorgen“, jedoch stimmte uns der Rücklauf wiederum nicht immer positiv. Unsere Schüler*innen waren gewohnt, kleinschrittig unter Anleitung und konsequenter Kontrolle ihre Aufgaben zu bewältigen – aber selbstständig? Dieser Begriff musste auf den Prüfstand. An vielen Abenden während des Lockdowns wurde das komplette Schulkonzept per Videokonferenzen „revolutioniert“. Selbstständiges Lernen in Freiarbeit und Reflexion hat nun einen täglichen Platz im Unterrichtstag. Die Klassen wurden zu Stufenteams umstrukturiert. Die Kolleg*innen gehören einem spezifischen Stufenteam an. Regelmäßig werden nun Anpassungen vorgenommen.

Seit dem Schuljahresbeginn leben wir dieses Konzept. Wir sind zufriedener geworden. Und es hat sich auch bewährt, als das Infektionsgeschehen wieder wuchs.

Wie sieht das bei uns aus, insbesondere in der Stufe „GELB“?

  1. Jeder Lehrer/Jede Lehrerin konnte sich einem Team nach Wunsch zuordnen. Wir haben das Team 5/6 (bei uns heißt das „Orientierungsphase“), das Team 7/8 („Kernstufe“) und das Team 9/10 („Abschlussphase“). Auch die Schüler*innen lernen in Teams aus altersgemischten Klassen, da diese besser Wissenslücken aus dem ersten Lockdown oder aufgrund anderer Ursachen begegnen können. Im Normalbetrieb unterrichten die Fachlehrer*innen u.a. auch die Klassen eines anderen Teams, da es einfach an ausreichender und vielfältiger Besetzung fehlt. Ihr Großteil des Unterrichts liegt aber im zugeordneten Team. Während der Stufe „Gelb“ mit festen Teams bewegen sie sich ausschließlich im gewählten Team. Nur eine einvernehmliche Umstufung war nötig, um die Abschluss-klassen im Unterricht abzusichern.
  2. Die Teams sind nahezu gleich groß. In jedem sind die Hauptfächer vertreten, die nun in Coronazeiten durch die entsprechenden Teammitglieder in den Klassenstufen unterrichtet werden. Zwar waren auch Fachlehrer*innenwechsel nötig, aber wir bewegen uns in vertrautem Terrain. Die „Nebenfächer“ wurden fachspezifisch oder fachfremd an die verbleibenden Kolleg*innen verteilt – nach deren Neigungen und Bereitschaft und in Abhängigkeit des Beschäftigungsumfanges.
  3. Dazu wurde ein komplett neuer Stundenplan geschrieben, je Klasse 6 bis 7 Stunden pro Tag. Die übrig bleibenden Stunden der Kolleg*innen dienen einerseits dazu, die fachfremden Kolleg*innen mit erarbeiteten Materialien und Stundenplanungen zu unterstützen, damit diese den fachfremden Unterricht in hoher Qualität leisten können. Andererseits werden diese Stunden genutzt, um die sich in Distanz befindlichen Schüler*innen auch anderer Teams fachspezifisch zu betreuen. Das erfordert natürlich eine sehr enge Zusammenarbeit im Team und darüber hinaus eine gut durchdachte Organisation.
  4. Jedes Team hat ein eigenes Lehrerzimmer. Da wir die Wahlpflichtfächer nicht führen können, wurden kleine Klassenräume (ca. 50 qm) frei, in denen 7 bis 8 Personen ausreichend Abstand haben. In diesen Zimmern gibt es eine Infowand für alle schulischen und teamspezifischen Belange. Ein*e Teamleiter*in fungiert als Koordinator*in. Die notwendigen Aufgaben werden allein von den Teams getragen, jede*r beteiligt sich. Die Teamberatung findet jede Woche statt; Beschlüsse werden der Schulleitung auf digitalem Weg mitgeteilt. Die Schulleitung kann sich von der Infowand alle statistischen Daten (Abwesenheiten, Quarantäne u. a.) nachmittags abholen.
  5. Die Teamleiter*innen sind Mitglieder der erweiterten Schulleitung.Hier werden Probleme, die nicht gelöst werden konnten, beraten und Infos ausgetauscht. Dies tun wir einmal monatlich bzw. nach Notwendigkeit in der Aula oder in abendlichen Videochats. So arbeitet auch bei besonderen Planungen die Steuergruppe.
  6. Die Kommunikation im Allgemeinen läuft über gebildete Chatgruppen. Hier werden auch entwickelte Formulare usw. ausgetauscht. Jedes Team, jede Arbeitsgruppe – für alle gibt es eingerichtete Chats. Wir nutzen Sdui. Da die ganze Schule – also auch Eltern und Schüler*innen – dort angemeldet sind, gibt es dort auch Klassen-, Fach- oder Elternchats zu schulischen Dingen.
  7. Damit der Datenschutz gewährleistet ist, nutzen wir für Weiteres (Erreichbarkeit, Unterrichtsaufgaben usw.) die Schulcloud sowie unsere Dienstmailadressen. Nur im Falle von Internetausfällen und dadurch entstehender Nichterreichbarkeit ist ein Anruf in der Schule zur Info Pflicht, damit wir reagieren können.
  8. Die Klassen 5/6 sind täglich in der Schule (natürlich nur, wenn es keine anderen Anordnungen durch das Ministerium gibt), alle anderen Klassen wurden halbiert und sind in Gruppen je-den zweiten Tag in der Schule. Also haben wir hintereinander zwei Montage, zwei Dienstage usw.; nach zwei Wochen ist der Stundenplan einer Woche geschafft. Da die Kolleg*innen auch nur in ihren Stufen Aufsicht führen, ist das machbar. Zudem wird keine Schüler*innengruppe bevorteilt oder benachteiligt, falls ein Ausfall (z. B. Quarantäne für ganze Gruppen) kommt. Ein zweiter positiver Effekt liegt darin, dass die Schüler*innen jeden zweiten Tag an der Schule sind und zwischendurch nur einzelne Tage des Selbstlernens organisieren müssen – das fällt ihnen leichter als eine ganze Woche. Sie bekommen also Montag Aufgaben, die sie Dienstag lösen müssen, um sie am Mittwoch abzurechnen usw.
  9. Wir haben gelernt: klare Regeln helfen. In unserem Konzept steht: sowohl Schüler*innen als auch Lehrer*innen in Quarantäne haben Schul- bzw. Dienstpflicht, solange sie nicht krank sind. Krankheit ist der Schule unverzüglich anzuzeigen.
  10. Schüler*innen in Quarantäne erhalten über die Plattformen alle Materialien, nachmittags oder abends auch einzelne Anleitungen durch Lehrer*innen. In großen Klassen bei ausreichender häuslicher Ausstattung kann eine Videoteilnahme stattfinden. Das große Problem: nicht alle Räume in unserer Schule lassen das zu. WIR BRAUCHEN DIE SCHNELLE UMSETZUNG DES DIGITALPAKTES!!!
  11. Auch zur Quarantäne haben wir eine Regel entwickelt: Wird uns eine postive Testung eines Schülers/einer Schülerin bekannt, schicken wir die Geschwister nach Info der Eltern umgehend nach Hause. War er/sie in der Schule, lassen wir die ganze Klasse im Homeschooling, bis die Anweisungen vom Gesundheitsamt kommen. Nach unseren Erfahrungen dauert dies bis zu zwei Tage. In dieser Zeit könnte das Infektionsgeschehen gefährlich werden, das wollen wir auf jeden Fall vermeiden.

Wir können, solange sich die Situation nicht durch immer mehr Quarantänefälle oder einem Lockdown verschärft, vieles meistern.

Aber eine Reihe von Fragen bleibt doch für dieses Schuljahr.

Sie belasten uns und wir erhoffen uns dazu vom Ministerium eine zügige Klärung (Anmerkung: diese ist zwischenzeitlich für Februar angekündigt worden):

  • Unsicherheiten bei Abschlussklassen.
  • Schulpflicht bedeutet auch Notengebung. Das darf für Homeschooling keinesfalls gecancelt werden, aus unserer Sicht können die im Lehrplan ausgewiesenen Kompetenzbereiche dahingehend präzisiert werden, was im Homeschooling mit entsprechenden Aufgabenstellungen wie bewertet werden kann.
  • Übergänge in höhere Klassen bitte nach den Versetzungsbestimmungen. Wir tun den Schüler*innen keinen Gefallen, wenn wir sie „mitzuschleppen“.
  • Freiwillige Wiederholungsjahre müssen Einzelfällen vorbehalten bleiben. Wir haben weder die personellen noch die räumlichen Möglichkeiten, das in großem Umfang abzudecken.

Die Bedeutsamkeit der aufgezählten Aspekte potenziert sich seit dem Eintreten in den 2. Lockdown vor Weihnachten. Wieder mal erfuhren wir die geplanten Maßnahmen zuerst aus der Presse. Noch schlimmer empfanden wir aber die Situation, dass wir in den beiden Tagen zur Vorbereitung dieser Phase keinerlei weiterführende Informationen durch das Ministerium, insbesondere in Bezug auf die Regeln zur Notbetreuung erhielten. Unser Kenntnisstand entsprach dem der restlichen Bevölkerung aus der Presse sowie der Thüringer Verordnung, die die Maßannahmen in Schulen regelt.1

Problematisch war für uns vor allem:

  • Wie geht es mit Testmöglichkeiten für pädagogisches Personal 2021 weiter? Widersprüchliche Aussagen des Ministeriums und der Vertragsärzte irritieren.
  • Die Gesundheitsämter scheinen immer mehr überfordert. Zunehmend machen wir die Erfahrung, dass wir deren Aufgabenbereich der Infektionsnachverfolgung und Quarantäneanordnungen mit übernehmen müssen, wenn Infektionsmöglichkeiten an Schulen eingeschränkt werden sollen (Eltern- und Kollegeninformation sowie Quarantäneregeln, anfangs wussten wir selbst nur lückenhaft darüber Bescheid.).
  • Der Arbeitsschutz der Kolleg*innen spielt nach unserem Empfinden eine immer geringere Rolle. Wie sonst lässt es sich erklären, dass die Klassen 1 bis 6 als komplette Klassen unterrichtet wer-den müssen – in viel zu kleinen Räumen ohne Abstandsgebot. Unsere ersten Infektionsfälle im Kollegium entstanden genau in diesen Klassenstufen (im Privatbereich gab es interessanterweise keine Infektionen).

Obwohl wir uns organisatorisch, methodisch und sozial ein höheres Level der Zusammenarbeit auf allen Ebenen und auch mit unseren Schüler*innen zur Bewältigung der Pandemie geschaffen haben, empfinden wir die genannten, ungeklärten Aspekte sowie unklare Vorgaben und teilweise nicht nachvollziehbare Entscheidungen als zunehmend behindernd. Die Verordnung zur Verschärfung der außerordentlichen Sondermaßnahmen zur Eindämmung einer sprunghaften Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-22 führt uns nun in ein Dilemma:

Mit welchem Wert wird die Erhaltung der Gesundheit der ohnehin schon nicht mehr ausreichenden Lehrkräfte gemessen? Gelten die Empfehlungen zum Arbeiten im Homeoffice und zur Kontaktbeschränkung für die Lehrkräfte nicht gleichermaßen? Welchen Sinn haben „freiwillige“ Tests, wenn deren Durchführung keiner Pflicht unterliegt und mit geplantem Beginn des Präsenzunterrichts die Organisation weder geklärt noch geregelt werden konnten? Und wie sollen wir die Pflicht zum Präsenzunterricht plausibel einfordern, wie lange könnten wir diesen überhaupt aufrechterhalten, während dessen sich die Inzidenzzahlen im Landkreis zwischen 300 und 400+ auf- und abbewegen?

Wenn diese Zeitung im Druck erscheint, haben wir hoffentlich auf die meisten Fragen Antworten erhalten und können uns gemeinsam mit der gesamten Schulgemeinschaft mit geringerem Stresslevel und mit Zuversicht zum Licht am Ende des Tunnels zubewegen. Bis dahin werden wir weiter geduldig und kontinuierlich den technischen Widrigkeiten trotzen und über unsere mittlerweile noch vielfältigeren Kanäle und Vernetzungen unseren Schüler*innen Lerninhalte zur Verfügung stellen, sie motivieren und unterstützen und vor allem regelmäßig in Kontakt bleiben.

Corona prägt diese Zeit, aber bitte nicht unsere Zukunft!

Was bleiben wird, ist unser neues Konzept, das sich in den letzten Wochen bewährt hat und das wir noch weiter verbessern wollen. Nur wünschen wir uns mehr Wertschätzung – nicht allein durch Worte, sondern durch Fürsorge, Achtung unserer Arbeit und Einbindung in Entscheidungen mittels konstruktiver Kommunikationswege.

 


1 Es handelt sich hier um die Thüringer Verordnung über die Infektionsschutzregeln zur Eindämmung der Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2- in Kindertageseinrichtungen, der weiteren Jugendhilfe, Schulen und für den Sportbetrieb (ThürSARS-CoV-2-KiJuSSp-VO) vom 19. August 2020 in der jeweils geltenden Fassung, und hier besonders um § 8 Absatz 1 bis 3 (Notbetreuung bei Schließung von Einrichtungen) und § 42 (Notbetreuung).

2 Thüringer Verordnung zur nochmaligen Verschärfung außerordentlicher Sondermaßnahmen zur Eindämmung einer sprunghaften Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2, zur Verlängerung der allgemeinen Infektionsschutzregeln sowie zur Verlängerung und Änderung der Fünften Thüringer Quarantäneverordnung

Kontakt
Marlis Bremisch
Referentin für Bildung und Gewerkschaftliche Bildungsarbeit
Adresse Heinrich-Mann-Str. 22
99096 Erfurt
Telefon:  0361 590 95 21