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Interview

Feste feiern

Für viele Menschen in Deutschland ist das Weihnachtsfest von herausragender Bedeutung im Jahresverlauf. Wie sieht es bei Menschen aus, die anderen als christlichen Religionsgemeinschaften angehören oder aus anderen Ländern zugewandert sind? Das habe ich versucht, im Gespräch mit Feirouz Rizgui, Assistentin an der Hochschule Nordhausen, und Pavan Kumar Panda, Projektmitarbeiter an der Hochschule Nordhausen, in Erfahrung zu bringen. Herausgekommen sind ganz persönliche Betrachtungen.

Symbolbild - Quelle: Canva Pro

Hallo, könntet Ihr Euch kurz vorstellen?

Feirouz: Moin, ich bin gebürtige Hamburgerin. Meine Eltern sind in Tunesien geboren und aufgewachsen. Meine Hauptsprachen sind tunesisches Arabisch und Deutsch, außerdem spreche ich Französisch und Englisch.

Pavan Kumar: Good morning, ich bin im indischen Bundesstaat Andhra Pradesh aufgewachsen, meine Mutter kommt allerdings aus Tamil Nadu ganz im Süden und mein Vater aus Odisha im Osten Indiens. Meine Hauptsprachen sind Telugu und Englisch, außerdem spreche ich Odia, Hindi und auch Deutsch. Ich bin erst zum Studium nach Europa gekommen.

Fühlt Ihr Euch einer Religionsgemeinschaft zugehörig?

Feirouz: Ich bin Muslima, wir gehören zu den Maliki-Sunniten; aufgewachsen bin ich in einem aufgeklärten und liberalen Umfeld. Der Islam findet nämlich seinen Ursprung in Frieden und Liberalismus.

Pavan Kumar: Ich bin Hindu, allerdings praktiziere ich meine Religion heute nicht mehr so viel.

Welche Feste sind für Euch wichtig?

Pavan Kumar: Es gibt so viele Feste. Das schönste Fest für mich ist aber Ugadi. Das ist das Neujahrsfest, das wir in Südindien meist im März feiern. Wir beten zu Ganesh, damit das neue Jahr ein gutes wird. Zu Ugadi kommt die ganze Familie zusammen, die Kinder stehen im Mittelpunkt. Und es gibt gutes Essen. Wir essen Ugadi Pachadi, das ist eine Suppe, die sieben Geschmacksrichtungen enthält. Jeder Geschmack steht für eine Erfahrung, die man im kommenden Jahr haben wird und aus der man das Beste machen muss.

Feirouz: Ich mag alle Feste. Am schönsten ist für mich aber das Opferfest. Der Zeitpunkt richtet sich nach dem islamischen Kalender, daher ändert er sich jedes Jahr etwas. Zum Opferfest kommt die ganze Familie zusammen, um es drei Tage gemeinsam zu begehen. Ein Lamm wird geopfert und in den darauffolgenden Tagen verspeist. Am ersten Tag gibt es einen Barbecue mit Schafsfleisch und Gemüse, das schmeckt gut. Am nächsten Tag Couscous mit Lamm. Und am dritten Tag diverse tunesische Spezialitäten mit Lamm. Dies kann man sich wie Finger Food vorstellen.

Gibt es weitere Feste, die Ihr gerne feiert?

Pavan Kumar: Diwali, ganz klar. Diwali steht für den Sieg des Guten über das Böse. Der Gott Krishna hat ein Monster getötet und damit das Böse besiegt. Wir feiern Diwali mit vielen Lichtern, Feuerwerk, Knallerbsen und Böllern. Das kann ganz schön laut sein und ist nicht immer ungefährlich. Im Gegensatz zu Ugadi ist es aber kein Familienfest, sondern ein Fest, das man in der Öffentlichkeit oder mit Freunden feiert.

Feirouz: Ich mag auch Maulid gern. Maulid ist an sich das Äquivalent zur Weihnacht, denn die Geburt des Propheten Mohammed wird gefeiert. Allerdings hat das in den islamischen Gesellschaften nicht so große Bedeutung wie das Opferfest oder der Ramadan, daher wird Maulid auch als „kleines Fest“ bezeichnet. Zu Maulid wird ein schwarzer Pudding bereitet, den die Kinder dann mit Nüssen und getrockneten Früchten dekorieren dürfen. Das macht gro-ßen Spaß. Für die muslimischen Kinder ist das wie das Keksebacken zur christlichen Weihnacht.

Wie sieht es mit dem Fastenmonat Ramadan aus?

Feirouz: Der Ramadan ist für mich jedes Mal eine sehr schöne Erfahrung, denn Fasten hat etwas Meditatives. Wichtig beim Fasten ist, dass man immer mehr positive als negative Gedanken hat. Abends bereitet man dann gemeinsam Speisen zu und teilt diese mit Nachbarn und Freunden. Man verbringt viel Zeit gemeinsam. Im Familienleben spielt der Ramadan eine ganz wichtige Rolle. Hier in Nord-hausen begehe ich den Ramadan gemeinsam mit Freund*innen, die gar nicht muslimisch sind. Nach einem kleinen Frühstück fasten wir den ganzen Tag, um abends gemeinsam zu kochen und zu essen. Eine großartige Erfahrung für uns alle, weil wir Nächstenliebe, Spenden und Teilen wieder in den Vordergrund unseres Alltags rücken.

Pavan Kumar: Gemeinsames Essen und das Teilen von Speisen spielt bei uns auch eine sehr große Rolle: Wenn eine Familie etwas kocht, gibt sie auch der Nachbarschaft etwas ab und umgekehrt. Das ist sehr schön.

Interviewpartner*innen: Pavan Kumar Panda (links) und Feirouz Rizgui (rechts) - Foto: Thomas Hoffmann

Wie haltet Ihr es denn mit Weihnachten?

Pavan Kumar: Weihnachten ist auch sehr schön, aber in Indien feiern es nur die Christen. Im Haus neben uns in Andhra Pradesh wohnt eine christliche Familie, und zu Weihnachten sind wir immer eingeladen. Dazu bringen wir auch schöne Geschenke mit, Speisen, Schokolade und Whisky. Ich mag auch Weihnachtssterne und die Dekoration.

Feirouz: Ich habe total gute Erinnerungen an Weihnachten, weil meine größere Familie dann Zeit hat, für mehrere Tage zusammenzukommen. Beispielsweise kommt mein Onkel aus Itzehoe dann für mehrere Tage zu uns nach Hamburg. Wir haben einen kleinen Weihnachtsbaum, und es gibt auch Geschenke. Ich gehe auch zum Gottesdienst in die Kirche. Ich mag Kirchen, so wie ich Moscheen und Tempel mag.

Inwiefern haben die Feste für euch eine religiöse Bedeutung?

Pavan Kumar: Der religiöse Zusammenhang ist immer da, auch wenn man selber eine Religion gar nicht so praktiziert. Und in allen Religionen spielt das Teilen eine besondere Rolle.

Feirouz: Teilen und Gutes tun, anderen etwas Gutes tun, aber auch zu sich selber gut sein. Deshalb isst man gut und teilt das gute Essen mit anderen. Im Grunde genommen ist der Kern aller Religionen der gleiche.

Pavan Kuvan: Letztes Jahr habe ich gesehen, dass Nirwana-Parfüm als Weihnachtsgeschenk beworben wurde; dabei ist Nirwana doch ein buddhistisches Konzept.

Womit wir bei Geschenken wären. Wie sieht es aus mit Geschenken bei den für euch wichtigen Festen?

Pavan Kumar: Geschenke spielen eine nicht so große Rolle, nur die Kinder bekommen zu Ugadi eine Kleinigkeit. Aber man bringt etwas mit, wenn man eingeladen ist, meist etwas Gutes zu essen oder zu trinken.

Feirouz: Die Kinder bekommen zu Weihnachten Geschenke, sonst aber nicht. Als Frau hat man es aber wirklich gut, denn man bekommt ständig Geschenke: Zunächst wird man vom Verlobten beschenkt, der auch der künftigen Schwiegermutter und auch deren Mutter Geschenke macht. Das setzt sich dann übers Eheleben fort, und zusätzlich bekommt man als Mutter Geschenke von angehen-den Schwiegersöhnen. Fast bedaure ich manchmal die Männer ....

Wenn Geschenke zu den Festen nicht eine so große Rolle spielen, sind sie dann weniger kommerzialisiert als Weihnachten hierzulande?

Pavan Kumar: Ich würde sagen, sie sind auf andere Weise kommerzialisiert. Gute Kleidung ist wichtig. Überall gibt es Werbung, damit man die Kinder zu Ugadi neu einkleidet. Und eine Frau „braucht“ auch einen neuen Sari, während beim Mann das Bedürfnis nach einer neuen Armbanduhr geweckt wird. Und Divali ist schon stark kommerzialisiert, allein schon die Böller und Feuer-werke, die man kaufen „muss“.

Feirouz: Das habe ich ganz ähnlich erfahren. Einmal hatte ich das Glück, zum Opferfest in Tunesien zu sein. Die Einkaufszentren waren voll von Werbung – für Kleidung und Schmuck. Natürlich „braucht“ die Familie z. B. auch neue Schuhe. So ein Fest ist die Gelegenheit, das zu kaufen, was man schon immer haben wollte. Der Einkaufsrummel ist ähnlich wie in Europa zur Vorweihnachtszeit.

Gibt es noch etwas, was ihr unseren Lesern sagen wollt?

Feirouz: Ja, eins ist ganz wichtig: die Leute hier müssen verstehen und respektieren, dass es andere Feste als die in Deutschland üblichen gibt, die für die hier lebenden Menschen von großer Bedeutung sind. Hierfür ist ein wechselseitiger Dialog von Bedeutung.

Pavan Kumar: Sie müssen verstehen, dass es Mitmenschen gibt, die sich mitten im Sommer wie zu Weihnachten fühlen, weil sie ein für sie wichtiges Fest begehen.

Apropos wichtige Feste, wie habt Ihr letztes Jahr Martini in Nord-hausen erlebt?

Feirouz & Pavan Kumar: Wir haben davon mal gehört, wüssten aber nicht wie und wann man das feiert.

Für mich ist es das wichtigste Fest in Nordhausen. Es geht auch um das Teilen. Es gedenkt des heiligen Martin von Tours. Als junger Soldat begegnete Martin in der Winterkälte auf seinem Pferd reitend einem armen, unbekleideten Mann. Mit seinem Schwert teilte er den Mantel und gab dem Armen eine Hälfte, damit er sich wärmen konnte. In der darauffolgenden Nacht ist Martin im Traum Jesus Christus erschienen, bekleidet mit der Mantelhälfte, die er dem armen Menschen gegeben hatte. In Nordhausen wird Martini jedoch nicht am Martinstag, dem 11.November, sondern schon am 10. November, dem Geburtstag Martin Luthers begangen, der hier in der Nähe geboren wurde (und auch verstarb). Schon morgens kann man in den Bäckereien Martinsbrezeln kaufen, die man niemals alleine essen soll, sondern durchbrechen und mit jemand anders teilen. Am späten Nachmittag gibt es unter freiem Himmel einen ökumenischen Gottesdienst, in dessen Rahmen die Geschichte vom Heiligen Martin aufgeführt wird. Anschließend werden Martinsbrezeln geteilt, und die Gemeinde macht sich auf zu einem Laternenumzug, der mit einem Höhenfeuerwerk über der Stadt endet. Vor allem Familien mit Kindern nehmen am Gottesdienst und am Laternenumzug teil. Abends isst man Martinsgans mit Thüringer Klößen und Rotkohl, und wo möglich lädt man jemanden ein, um das Festmahl zu teilen. Eine schöne Tradition, bei der das Teilen im Vordergrund steht – und nicht das Erhalten von Geschenken.Heutzutage gehen allerdings viele Leute aus, Tische in den Nordhäuser Restaurants muss man für Martini lange voraus buchen. Ein wenig ist auch Martini kommerzialisiert, aber viel weniger als andere Feste.

Feirouz: Und was machen wir an der Hochschule für Martini?

Es wäre schön, wenn Martini im Jahresrhythmus eine bedeutendere Rolle hätte, beispielsweise indem nachmittags lehrveranstaltungsfrei ist.

Pavan Kumar: Ein gemeinsamer Abend des Teilens mit internationalen Studierenden wäre doch schön.

Feirouz: Oh ja, das sollten wir machen.

Gute Idee. Leider geht es dieses Jahr nicht – und „Martini digital“ ist schwer vorstellbar. Über der Stadt wird nur das Höhenfeuerwerk stattfinden, alles andere musste abgesagt werden. Martinsbrezeln bringe ich aber auf jeden Fall mit.


Das Gespräch wurde Mitte Oktober 2020 in englischer Sprache von Thomas Hoffmann, stellvertretender Landesvorsitzender und Mitglied im LAS Diversity, geführt.

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Thomas Hoffmann
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