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Erfahrungen der Lehrkräfte vor Ort

Distanzunterricht geht. Keine Rückkehr in feste Lerngruppen!

Zur Anweisung zum Unterricht in festen Gruppen in den Klassenstufen 5 und 6 am Gymnasium

Seit Monaten unterrichten wir unter erschwerten Bedingungen. Durch die gute Ausstattung unserer Schule mit technischen Geräten sowie soliden Kenntnissen der Lehrkräfte und Schülerinnen und Schüler bei der Bedienung der Technik, ließen sich vielfältige Probleme überbrücken. Sowohl im Distanzunterricht als auch im Unterricht in halben Klassen mit Videozuschaltung ließ sich der Unterrichtsstoff zwar erschwert, aber weiterhin angemessen vermitteln.

Vor Weihnachten traten wir erstmals in den Unterricht in festen Gruppen in den Klassenstufen 5 und 6 ein. Das bedeutete für die Schülerinnen und Schüler: Unterricht in ihrer Stammklasse mit 24, 25 oder 26 Lernenden pro Klasse plus Lehrkraft, sodass 25 – 27 Menschen in einem Raum ohne die mögliche Abstandhaltung von 1,50 Meter und ohne Maskenpflicht gemeinsam ausharren mussten.

Dabei sehen wir folgende Probleme:

Durch das o. g. Unterrichtsarrangement besteht für Schülerinnen und Schüler sowie Lehrerinnen und Lehrer eine erhöhte Infektionsgefahr, trotz vollständig umgesetzten Hygienekonzepts und konsequenten Lüftens. Darüber hinaus sind weitere Punkte zu beachten, die zur Überlastung der betreffenden Lehrkräfte, zur Minderung der Unterrichtsqualität, zur Bildungsbenachteiligung einzelner Schülergruppen und hohen psychischen Belastungen der Lernenden führen.

Zur Begründung:

  1. Das Land trägt eine gesundheitliche Fürsorgepflicht für Lernende und Lehrende. Viele Kinder leben mit Großeltern im Haushalt. Dies ist besonders in eher ländlichen Gebieten der Fall. Lehrkräfte haben Partner, Kinder oder pflegen Angehörige. Alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer der festen Lerngruppen (somit auch Schülerinnen und Schüler) setzen ihr familiäres Umfeld einem deutlich höheren Infektionsrisiko aus!
  2. Aufgrund eines generellen Lehrkräftemangels müssen auch Lehrkräfte in dieses geplante feste Unterrichtsarrangement eingeteilt werden, die laut RKI zur Risikogruppe zählen.
  3. Schülerinnen und Schüler äußerten bereits mehrfach Ängste und Sorgen, Familienmitglieder, aufgrund der Gruppengröße, einem höheren Infektionsrisiko auszusetzen. Dies wirkt sich auf das Wohlbefinden der Kinder aus und führt zu zusätzlichen psychischen Belastungen. 
  4. Diese Regelung widerspricht vielem, was den Kindern in den letzten Monaten an Hygienemaßnahmen, unter großem Aufwand, vermittelt wurde. 
  5. Die geringen Infektionszahlen nach dem ersten Lockdown zeigten, dass die Schulschließungen auch zum Infektionsschutz beitrugen, denn die Zahlen stiegen im zweiten Halbjahr mit geöffneten Schulen trotz vollständig umgesetzten Hygienekonzepts und konsequenten Lüftens.
  6. Keiner weiß, wie viele stille Überträger sich in den Schülergruppen befinden, da bei jungen Menschen die Krankheit oft symptomlos bleibt und daher auch nicht nachgewiesen werden kann. 
  7. In den Klassenstufen 7 bis 12 werden Abstandsregeln und Gruppengröße berücksichtigt, in den Klassenstufen 5 und 6 ist dies nicht der Fall. Das ist eine Ungleichbehandlung im Gesundheitsschutz.
  8. Zwei Kolleginnen und Kollegen je Klasse sollen kompetent den gesamten Lerninhalt, Fähig- und Fertigkeiten sowie die spezifischen Fachkompetenzen der verschiedenen Fächer vermitteln. Diese Erwartungen sind utopisch. Zudem müssen zusätzliche Absprachen mit über zehn Kolleginnen und Kollegen getroffen werden. Auch hier erhöht sich das Ansteckungsrisiko. Überschneidet sich noch ein Unterrichtsfach bei den betreuenden Lehrkräften, wird die Anzahl fachlich kompetent unterrichteter Stunden in den Klassen weiter reduziert.
  9. Die Lehrkraft in den festen Gruppen trifft ein erhöhter Arbeitsaufwand, da die Stunden in den Klassen gehalten werden müssen sowie die Stundenvorbereitungen anderer Kolleginnen und Kollegen fremder Fächer durchgearbeitet und verstanden werden müssen. Damit ist zusätzlicher E-Mail-Verkehr nötig. Zudem muss sich die Lehrkraft auf den eigenen Unterricht vorbereiten. Lehrerinnen und Lehrer müssen eigene Vorbereitungen, die andere Lehrerinnen und Lehrer für sie umsetzen sollen, erläutern. Viele Abläufe, die aus der Routine im eigenen Unterricht schnell ablaufen, müssen vereinfacht, notiert, vorhandene Unterrichtsvorbereitungen aufbereitet, abgespeichert, verschickt und zum Teil umgewandelt werden. Die Übermittlung der Lerninhalte über die Thüringer Schulcloud ist zu Stoßzeiten instabil. Fraglich ist auch, wer die Materialkosten (z. B. Kopierkosten) für die im Unterricht vermittelten Inhalte in festen Lerngruppen übernimmt. Die generelle Beschaffung von Materialien gestaltet sich schwierig. Begründung: Fachfremde Lehrkräfte können nicht so routiniert auf Anschauungsmaterial (insbesondere in den Fächern Kunst und Musik) zugreifen.
  10. Es gilt auch zu hinterfragen, inwiefern mündliche und schriftliche Leistungsnachweise, die auf fachfremdem Unterricht beruhen, Gültigkeit aufweisen und den regulären Qualitätsstandards entsprechen.
  11. Außerdem ist gerade in den Klassenstufen 5 und 6 ein höherer Aufwand an sozialer Arbeit mit Kindern und Eltern gerade für diese Lehrkräfte durch die Corona-Krise zu verzeichnen.
  12. Der gravierende Bewegungsmangel durch die Pandemie führt zu gesundheitlichen Langzeitfolgen. Da den festen Lerngruppen z. T. keine ausgebildeten Lehrkräfte im Fach Sport zugeteilt werden können, muss dieser Unterricht entfallen.
  13. Ebenfalls problematisch ist die Vermittlung fremdsprachlicher Kompetenzen, da das fest unterrichtende Lehrpersonal durch mögliche Ungenauigkeiten bezüglich der Aussprache, der Satzstellung sowie grammatikalischer Phänomene nicht als professionelles sprachliches Vorbild fungiert. Somit entstehen bereits in den Klassenstufen 5 und 6 grundlegende Defizite.
  14. Aufgrund der personellen Situation müssen auch Lehrkräfte in den Klassenstufen 5 und 6 unterrichten, die eigentlich als Klassenlehrerin oder Klassenlehrer anderer Klassenstufen eingesetzt sind. Dies wirkt sich negativ auf die Lehrer-SchülerBeziehung der betroffenen Klassen aus.
  15. Andere Klassenstufen, u. a. auch Abschlussklassen dürfen von den Lehrkräften, die sich in den festen Gruppen befinden, NICHT mehr im Präsenzunterricht unterrichtet werden. Das entspricht einer Bildungsbenachteiligung und gefährdet die Schulabschlüsse des Abiturjahrganges. Dies führt zur Verunsicherung von Lernenden und Lehrenden.
  16. Bei Unterrichtsversäumnissen der Schülerinnen und Schüler (z. B. durch Krankheit oder Quarantäne) oder fachspezifischen Fragen, können die entsprechenden Lerninhalte nicht direkt und persönlich bei ihrer eigentlichen Fachlehrkraft erfragt werden. Den Lernstoff über zusätzlich virtuelle Angebote zu erfassen und zu vermitteln, ist eine weitere Herausforderung und führt wiederum zu einer Zusatzbelastung für Schülerinnen und Schüler, Eltern und Lehrkräfte.
  17. Teilweise entfallen Stunden, um den erhöhten Arbeitsaufwand der Lehrkräfte einzudämmen. Exemplarisch kann hier der Kunstunterricht in den Klassenstufen 7-9 angeführt werden. Auch im Fach Musik verliert der Unterricht, durch fehlende musikalische sowie instrumentale Qualifizierung der unterrichtenden Kolleginnen und Kollegen, deutlich an Qualität. Jedes Jahr wählen Schülerinnen und Schüler unterschiedliche Künste nach Neigung und Interesse, die grundlegend für die spätere Berufswahl sein können. Die unzureichende Vermittlung fachspezifischer Fähig- und Fertigkeiten führt wiederum zu einer Bildungsbenachteiligung.
  18. Fächer, die einen Großteil zur Förderung eines Gemeinschaftsgefühls bei Schülerinnen und Schülern beitragen (z. B. Musik und Sport), werden durch dieses Modell unzureichend bedient. Dabei sollte gerade dieses, dies hat die Pandemie bereits gezeigt, besonders gefördert werden. Der Unterricht in halben Gruppen mit Videozuschaltung, der in unserer Schule komplett möglich wäre, würde Infektionsschutz und Unterrichtsqualität wahren.

Der Unterricht in festen Gruppen bleibt mehr oder weniger eine Notbetreuung mit deutlich erhöhtem Infektionsrisiko und mangelhafter Bildungsvermittlung. 

Die Argumentation kann im Sinne aller Beteiligten nur zu einem Abrücken der Entscheidung des aktuellen Modells führen, da sich dieses Unterrichtsmodell zusätzlich schädigend auf das Ansehen einer ganzen Berufsgruppe auswirkt! Wir erwarten unbedingt die Prüfung unserer Bedenken, da alle Lehrkräfte mit diesem Modell dem Bildungsauftrag nicht mehr gerecht werden können. Bitte vertrauen Sie auf die Kompetenz und Erfahrung Ihrer Lehrkräfte vor Ort!

Freundliche Grüße

Das Kollegium des Ulf-Merbold-Gymnasiums Greiz
 

Kontakt
Kathrin Vitzthum
Landesvorsitzende
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