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Analyse

Modernisierung der Thüringer Verordnung über die Lehrverpflichtung an den Hochschulen

Die Thüringer Lehrverpflichtungsverordnung (ThürLVVO) für die Hochschulen wurde während der letzten Jahrzehnte nur marginal angepasst. Ist die ThürLVVO noch zeitgemäß? Wo sehen wir Handlungsbedarf, was hat sich an den Hochschulen verändert?

Symbolbild - Foto: Canva Pro

Generell halten wir Gewerkschaftsvertreter:innen und Verfechter:innen der Tarifautonomie die Regelung grundlegender Arbeitsbedingungen per Verordnung für kritisch. Die Höhe der Lehrverpflichtung sollte genauso wie die Entgelte oder Arbeitszeiten zwischen den Tarifvertragsparteien ausgehandelt werden. Entsprechende Tätigkeitsmerkmale müssten dazu in die Entgeltordnung für die verschiedenen Beschäftigtengruppen mit Lehraufgaben aufgenommen werden. Da dieses Ziel kurz- und mittelfristig schwer erreichbar sein wird, wirken wir zunächst auf die Überarbeitung der Thüringer Verordnung über die Lehrverpflichtung an den Hochschulen (Thüringer Lehrverpflichtungsverordnung – ThürLVVO) hin.

Was regelt die LVVO und wie?

Die LVVO regelt die Höhe der Stundenanzahl der Lehrverpflichtung für Beschäftigte mit Lehraufgaben für die verschiedenen Hochschultypen. Die teilweise starke Differenzierung zwischen Universitäten und Fachhochschulen erachten wir dabei als nicht mehr zeitgemäß. An Universitäten wurde in den letzten Jahren mehr und mehr der Praxisbezug gestärkt und Fachhochschulen bauen ihre Forschungsaktivitäten aus – die Grenzen verschwimmen zunehmend. Die Regelungen in der aktuellen LVVO berücksichtigen nur marginal, dass sich die Hochschulen während der letzten 20 Jahre weiterentwickelt haben. In der folgenden Tabelle wird beispielsweise deutlich, dass sich der Anteil internationaler Studierender in Thüringen etwa vervierfacht hat.

  Anzahl Stud. ges. Anzahl int. Stud.  

WS 2001/2002

43.302

1.796

4,1 %

WS 2020/2021

50.775 (1)

8.292

16,3 %

Auch die Studienanfängerquote stieg deutlich. Im Jahr 2000 begannen in Deutschland etwa 1/3 eines Jahrganges ein Studium. Seit 2011 sind es relativ konstant 56 %. D. h. zwangsläufig, dass auch mehr junge Menschen an die Hochschulen kommen, für die der Übergang von der Schule zur Hochschule eine große Herausforderung darstellt. Über drohende Abzüge bei der Finanzierung der Hochschulen erzeugt das Thüringer Ministerium für Wirtschaft, Wissenschaft und Digitale Gesellschaft (TMWWDG) zusätzlich Druck. Durch die Mittelvergabe nach Parametern wie u. a. Studienanfängerzahlen und Studierende in der Regelstudienzeit werden Anreize gesetzt, möglichst viele Studierende möglichst schnell „durchzuschleusen“. Zudem ist eine stärkere Spezialisierung im Studienangebot zu beobachten. Von 311 Studiengängen an Thüringer Hochschulen im Wintersemester 2004/2005 stieg die Zahl inzwischen auf 692 Studiengänge im Wintersemester 2020/2021 (2). Mit einer steigenden Anzahl von Studiengängen wird auch das Lehrangebot vielfältiger und spezieller. Zusätzlich entsteht mehr Verwaltungsaufwand. Mehr noch als in der Vergangenheit sind Lehrinhalte einem stetigen Wandel durch die hohe Dynamik der technologischen und gesellschaftlichen Entwicklungen unterworfen.

Steigende Anforderungen, aber Lehrverpflichtungen bleiben unverändert

Schon anhand der aufgeführten Punkte wird deutlich, dass die Anforderungen an die Lehrenden gestiegen sind. Hinzu kommen die Anforderungen, die durch qualitativ hochwertige digitale Lehre und neue Lehrformate (bspw. Flipped Classroom) entstehen. Darüber hinaus müssten die Lehrenden idealerweise ihre Lehrkonzepte auf die unterschiedlichen Lerngeschwindigkeiten der heterogenen Studierendenschaft anpassen, Aufgaben für unterschiedliche Anforderungsniveaus erstellen, Vorbereitungskurse und Repetitorien für leistungsschwächere Studierende offerieren, zusätzliche Online-Lehrmaterialien erstellen, individualisierte Online-Prüfungen anbieten usw. Dies noch unter den Randbedingungen, dass das hohe Niveau der akademischen Ausbildung zumindest aufrechterhalten werden soll und dass dabei noch möglichst viele Studierende innerhalb der Regelstudienzeit erfolgreich zum Abschluss kommen.

Ein großer Anteil der Lehre an Hochschulen wird von Lehrkräften für besondere Aufgaben (LfbA) erbracht. Gemäß § 92 Thüringer Hochschulgesetz (ThürHG) vermitteln LfbA praktische Fertigkeiten und Fähigkeiten. Die Einschränkung auf diese „besonderen Aufgaben“ halten wir für nicht mehr zeitgemäß. LfbA vermitteln heutzutage vielmals mehr als nur praktische Fertigkeiten und Fähigkeiten. Eine adäquate Aufgabenbeschreibung und eine zutreffende Bezeichnung für die Personalkategorie ist in § 92 ThürHG einzuarbeiten.

Handlungsbedarf sehen wir bei folgenden Punkten:

  • Angleichung des Umfangs der Lehrverpflichtung aller Hochschullehrenden und Lehrkräfte für besondere Aufgaben (LfbA) an Fachhochschulen und an den der Universitäten. Für gleichwertige Abschlüsse (EQR) ist auch eine gleichwertige Wissensvermittlung notwendig.
  • Reduktion der Lehrverpflichtung für LfbA auf maximal 16 Lehrveranstaltungsstunden (LVS).
  • Bei Lehrveranstaltungen, zu denen die Anwesenheit der Lehrenden während der gesamten Zeit erforderlich ist, darf der Anrechnungsfaktor nicht kleiner als 1 sein.
  • Angemessene Berücksichtigung des Vor- und Nachbereitungsaufwandes bei Lehrveranstaltungen durch Anrechnungsfaktoren größer als 1, bspw. bei - digitalen und hybriden Lehrveranstaltungsformaten oder - bei Lehrveranstaltungen, die nicht in der Muttersprache gehalten werden.
  • Für die erstmalige Durchführung von Lehrveranstaltungen ist ein Anrechnungsfaktor von 2 anzusetzen.
  • Die Begrenzung der Anrechenbarkeit digitaler Lehrveranstaltungsformate auf 25 % der individuellen Lehrverpflichtung greift zu kurz und sollte auf 40 % angehoben werden.
  • Anspruch auf Entwicklungssemester, bspw. um neue Lehrveranstaltungen auszuarbeiten, sich weiterzubilden und/ oder Lehrsemester im Ausland zu ermöglichen.
  • Aufnahme weiterer Gründe für Ermäßigung der Lehrverpflichtung, bspw. für Gremientätigkeit oder für außergewöhnlich Aufwände. Die Ermäßigung für die Tätigkeit im Personalrat, im Gleichstellungsbeirat, als Diversitätsbeauftragte o. Ä. ist eindeutig zu regeln, inkl. Festsetzung des konkreten Umfangs der Abminderung.
  • Für Beschäftigte mit überwiegend Lehraufgaben ist eine Altersabminderung einzuführen. Sie soll ab dem 55. Lebensjahr gelten. Ausgestaltet werden könnte dies bspw. durch die Abminderung von 1 Lehrveranstaltungsstunde (LVS) bei Lehrverpflichtungen größer 12 LVS und 2 LVS Abminderung bei Lehrverpflichtungen größer als 18 LVS. Alternativ wäre auch eine prozentuale Abminderung denkbar.
  • Um den Hochschulen zu ermöglichen, die nötigen Ermäßigungen praktisch umsetzen, ist die Streichung von § 8 erforderlich. Dort wird bisher der mögliche Umfang der Ermäßigung der Lehrverpflichtung auf max. 8 v. H. des Gesamtumfangs der Lehrverpflichtung der Lehrenden an der jeweiligen Hochschule begrenzt

Gesprächsbereitschaft ist vorhanden

Positiv kann angemerkt werden, dass der Minister für Wirtschaft, Wissenschaft und Digitale Gesellschaft, Wolfgang Tiefensee, Gesprächsbereitschaft signalisiert hat. In einer kleinen Arbeitsgruppe mit Vertreter:innen des TMWWDG und des Hauptpersonalrates sollen Änderungsvorschläge sondiert werden.

 


(1) Thüringer Landesamt für Statistik. Zahlen aus 2020 ohne Berücksichtigung der IU (Internationale Hochschule in Erfurt).

(2) HRK: Statistische Daten zu Studienangeboten an Hochschulen in Deutschland: Studiengänge, Studierende, Absolventinnen und Absolventen Wintersemester 2020/2021

Kontakt
Marko Hennhöfer
Betriebsverbandsvorsitzender TU Ilmenau
Adresse Max-Planck-Ring 14
98693 Ilmenau
Telefon:  03677 69 2505