Auf israelischer Seite organisierte die Histadrut (HaHistadrut HaKlalit schel HaOwdim B‘Eretz Israel), der Dachverband der Gewerkschaften in Israel, den Austausch. Histadrut ist hebräisch und lässt sich etwa mit „Zusammenschluss“ übersetzen. Sie wurde 1920, 28 Jahre vor der israelischen Staatsgründung von David Ben Gurion, dem späteren ersten Ministerpräsidenten, in Haifa gegründet. Die umfassende Planung wurde von DGB-Jugend und Histadrut übernommen: Das Programm war vielschichtig und abwechslungsreich. Nach einem dreitägigen Vorbereitungsseminar, bei dem sich die Teilnehmer*innen der Delegation in Frankfurt am Main kennenlernten und vorbereitete themenspezifische Vorträge hielten, ging es los.
In der Nacht landeten wir auf dem Ben Gurion Flughafen. Nach wenigen Stunden Schlaf unternahmen wir einen ersten Stadtrundgang durch das morgendlich-sonnige Tel Aviv (hebr. „Frühlingshügel“). Die Stadt trägt den inoffiziellen Beinamen „die weiße Stadt“, da die Architektur des Bauhaus prägend ist, denn viele Architekten des Bauhaus waren aus Nazideutschland hierher geflohen. Neu gegründet im Jahr 1909, war Tel Aviv bis 1950 ein Vorort zur bereits seit der Antike bestehenden Hafenstadt Jaffo. Im Jahr 1950 wurden beide zu Tel Aviv-Jaffo zusammengelegt. Jaffo besichtigten wir ausgiebig am Nachmittag. Unser Dolmetscher stellte die wechselhafte Geschichte der Hafenstadt eindrucksvoll vor.
Der erste Eindruck von Israel? Entspannt, westlich, urban, aufgeschlossen und interessiert... und das in einem Land, dessen Lage Benny Gantz, ehemaliger Generalstabschef der israelischen Armee einmal mit den Worten beschrieb: „If we are sitting and enjoying a cup of espresso at 9:30 a.m., by 10:30 a.m. we could be at war.“1 Die Bedingungen, unter denen Israel immer wieder um seine Existenz kämpfen muss, ein Land so groß wie das Bundesland Hessen, sind extrem.
So sonnig unser erster Tag war, so regnerisch war der zweite. Sderot liegt im Süden Israels, im Westteil der Negev-Wüste. Trauriger Alltag ist der Beschuss mit Kassam-Raketen aus dem nahegelegenen Gaza- Streifen. Sderot ist der Inbegriff für permanente Angriffe. Der einzige Schutz ist die Raketenabwehranlage „Iron Dome“.
Wir besuchten den Künstler Yaron Bob in Sderot. Er verwendet, nach eindrücklichem Erlebnis, Kassam-Raketen, „um daraus etwas Positives zu machen“. Er selbst sagt: „I take the Kassam, the instrument of death and I change it, I transfer it into something of beauty.“2 Er formt aus dem Metall Rosen und andere Kunstobjekte.
Jerusalem, die Hauptstadt Israels besuchten wir an drei aufeinanderfolgenden Tagen. Am ersten Tag fuhren wir mit Ron Schatzberg zum Security Fence. Ron informierte uns sehr ausführlich über Verlauf und Notwendigkeit der Sicherheitsanlagen. Seit Bau der Sicherheitsanlagen ist die Anzahl der Terroranschläge rapide zurückgegangen, was die traurige Notwendigkeit belegt.
An einem weiteren Tag in Jerusalem und leider bei anhaltend schlechtem Wetter bekamen wir eine Stadtführung durch die Altstadt. Kleine Gassen, vielverzweigt, Märkte und kleine Ladengeschäfte, Synagogen, alte Kirchen – wie die Grabeskirche – waren zu sehen. Tausende Eindrücke! Vom Dach einer neuen Synagoge aus konnten wir die Klagemauer, die allein von der letzten Zerstörung des Tempels im Jahr 70 n. u. Z. erhalten gebliebene Westwand sehen. Am Ort des eigentlichen Tempels auf dem Tempelberg stehen heute die Al-Aqsa-Moschee und der Felsendom.
Von zentraler Bedeutung war für mich der Besuch von Yad Vashem – hebräisch für Denkmal und Name. Die „Gedenkstätte der Märtyrer und Helden des Staates Israel im Holocaust“, ist die bedeutendste Gedenkstätte, die an die nationalsozialistische Verfolgung und Ermordung der Juden erinnert und diese wissenschaftlich dokumentiert. Die Gedenkstätte liegt in Jerusalem und wurde am 19. August 1953 gegründet.
Außerdem trafen wir uns mit Vertreter*innen des Hashomer Hatzair youth movements (Social Justice Center & Urban Kibbutz); mit Sela Student-Coordinators der Student*innenarbeit der Histadrut; mit Avital Shapira-Shabirow, Direktorin des International Department der Histadrut und mit Micky Drill von der Friedrich-Ebert-Stiftung. Wir sprachen ausführlich mit dem Betriebsrat von Teva über die ernste Lage der Beschäftigten. Wir besuchten ein jüdisch-arabisches Day-care-Center in Jaffo sowie die jüdisch-äthiopische Gemeinde in Jaffo. Einige von uns besuchten auch einen Shabbat-Gottesdienst in Tel Aviv. Ein Treffen mit dem Shoah-Überlebenden Noah Kligger war bedauerlicherweise aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich.
Die vielen verschiedenen Gesprächspartner*innen ermöglichten Einblick und breiteres Verständnis der israelischen Gesellschaft.
Nach Deutschland zurückgekehrt, wird einem abermals bewusst, wie wichtig es ist, für ein Land einzutreten, das, frei nach Theodor Herzl, kein Märchen geblieben ist und die einzige Demokratie im Nahen Osten ist. Ein Land mit blühenden Orangenbäumen, der Negev, dem Toten Meer, der Metropole Tel Aviv, dem Urlaubsort Eilat, der alten Stadt Jerusalem, den Kibbuzim, dem Meer… ein Land das keinem anderen gleicht! Ein Land, dass permanente Bedrohung durch autokratische Nachbarstaaten und islamistische Terrorgruppen erfährt, denen allen der Antisemitismus gemein ist.
1 – Zit. nach: Stephan Grigat: Die Einsamkeit Israels. Hamburg 2014, S. 7.
2 – http://www.rocketsintoroses.com/artist.html, 14. Januar 2018.