Arbeits-und Gesundheitsschutz
"Meine schrecklich schöne Schule"
Vor Jahresfrist waren Schulen aufgefordert, schöne und weniger angenehme Seiten ihrer Schule aufzuzeigen und sich Veränderungsmöglichkeiten zu überlegen. Es gab sogar Preise für den besten Beitrag. was hat sich in dem Jahr getan? Ein Situationsbericht aus einer Schule in Ostthüringen.
Schrecklich schöne Schule
Jedes Jahr die gleiche Erfahrung: Eltern melden ihre Kinder in der Schule an, Großeltern holen die Schulanfänger ab und oft erklingt besonders zum Schuljahresbeginn der Satz: „Hier hat sich ja gar nichts verändert, alles ist noch, wie zu meiner Schulzeit. Die Räume, der Geruch, die Farbe an den Wänden, der dunkle Fußboden, das Treppenhaus, die Türen, … und die Reinigung scheint auch nicht regelmäßig vorbeizuschauen.“
Mit hübschen, bunten Bildern an den Wänden wird der Blick abgelenkt. Schuhregale und viele Kinderjacken an den Kleiderhaken vor den Klassenräumen lassen erahnen, dass viel Leben in diesem Gebäude steckt. Oft wirkt die Schule beim Betreten dunkel und abgewohnt. Beim Lautstärkepegel drängt sich der Gedanke auf, wie halten das die Beschäftigten hier aus?
Ja, die Schule, gelegen zwischen Kirche und Gemeindeamt, zentrumsnah, wenig grün, viel Denkmalschutz, ein Schulhof, der sich bei Regenwetter zur Freude der Kinder gern in eine kleine Seenlandschaft verwandelt, wurde vor fast 160 Jahren erbaut. Damals modern, bot sie viel Platz und Raum zum Lernen. An einen zweiten Rettungsweg oder sich selbst öffnende Türen bei Gefahr dachte damals noch keiner, ebenso wenig an Lärm- und Sonnenschutz, an einen behindertengerechten Zugang oder Fahrstuhl, ein Handwaschbecken in jedem Raum, einen Sammelplatz bei Gefahr bis hin zu Parkplätzen in der näheren Schulumgebung.
Manchmal kann der Weg bis zum Klassenzimmer mit einem Stapel Bücher und/oder Heften und der Schultasche in den Händen verdammt lang werden – und endlich – im Klassenraum im zweiten Obergeschoss angekommen, denkt man, dass der Gang zur Toilette im Eingangsbereich vor Unterrichtsbeginn doch sinnvoll gewesen wäre. Wer weiß, wann wieder Zeit dafür ist – der Weg zurück ist lang und die Aufsichtspflicht darf nicht verletzt werden. Die nächste Herausforderung wartet im Unterrichtsraum. Ob schon einmal jemand nachgemessen hat, ob die 1,5 m² freie Bewegungsfläche pro Schüler tatsächlich noch eingehalten wird? Vielleicht sollte doch noch das Regal aus dem Raum genommen werden. Aber selbst, wenn das Nachmessen ergibt, dass ausreichend Platz laut Richtlinie gegeben ist, wird er niemals reichen.
Schule hat sich verändert. Lernen braucht Platz- zum Beispiel Platz für die individuellen Anforderungen, Platz für Lerntheken und Stationsarbeit, Platz für das Lernen in kooperativen Lernformen sowie für die Einzelarbeit oder auch für den Rückzug. Es braucht Platz für die vielfältigen Materialien, die oft in mühevoller Kleinarbeit zusammengestellt werden. Und es braucht Platz für Schulbegleiter, pädagogische Assistenzen oder Sonderpädagogen. Auch für die Digitalisierung sind erste Vorbereitungen getroffen. Die neuen Kabelkanäle auf den Wänden sehen nicht wirklich schick aus. So manch junger Kollege und manch junge Kollegin fragt nach, wann denn diese auch einer Nutzung zugeführt werden. Ein Schulterzucken muss als Antwort erst einmal reichen.
Unsere Schulen sind auch immer ein Spiegel unserer Gesellschaft. Hier treffen Fortschritt und Vergangenheit aufeinander. Nicht immer gelingt es, beides sinnvoll zu verbinden. Als sehr belastend wird neben unzureichend baulichen und sächlichen Voraussetzungen für gute Schule, die fehlende Wertschätzung durch die Mitglieder unserer Gesellschaft empfunden – dies beginnt bereits beim Grüßen. Hinzu kommt die psychische Belastung, wenn bereits Grundschüler ihren Pädagogen gegenüber verbal ausfallend und übergriffig werden. Auch leere Brotbüchsen, Anzeichen von Kindeswohlgefährdungen und der Umgang mit diesen stellen zusätzliche Belastungen dar, welche viele Pädagogen weit nach Unterrichtsschluss noch im Kopf begleiten.
Die Schule als Ort des Lernens unterliegt wie jede andere Arbeitsstätte den Bestimmungen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes. Jährlich sind die Schulleitungen angehalten, entsprechende Gefährdungsbeurteilungen anzufertigen. Aber Papier ist geduldig. Und so bleibt manche Schule schrecklich schön.