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Was wirklich passierte

Lehrkräfte für besondere Aufgaben: [Arbeitsver-] Dichtung und Wahrheit

Sollte nun aber ein Mensch, der selbst keinen Hochschulabschluss hat, vielleicht nicht einmal (!) ein Abitur, sollte so jemand an einer Hochschule lehren dürfen? Warum nicht, dachte sich die Bundesregierung im Jahre 1971.

Symbolbild - Quelle: Canva Pro

Auch praktische Fertigkeiten und Kenntnisse sind in bestimmten Fachrichtungen erforderlich. Zum Beispiel technischer oder künstlerischer Art. Vielleicht beim Meistern von Musikinstrumenten. Oder beim Arbeiten in einer Werkstatt. Oder bei der Vermittlung von Sprachkenntnissen. So ersann sie das Konzept der [Trommelwirbel] Lehrkraft für besondere Aufgaben (LfbA) und formulierte es in der Drucksache VI/1873, uns heute besser bekannt als das Hochschulrahmengesetz.

§ 52 Lehrkräfte für besondere Aufgaben
Die Vermittlung praktischer Fertigkeiten und Kenntnisse, die nicht die Einstellungsvoraussetzungen für Professoren und Assistenzprofessoren erfordert, kann hauptberuflich tätigen Lehrkräften für besondere Aufgaben übertragen werden.

 

Und um klarzustellen, was damit gemeint war und was eben nicht, präzisierte sie in der angehängten Begründung zum Gesetz: Bitte nicht missbrauchen, um die Lehrleistung von Professorinnen anderweitig billiger einzukaufen.

Zu § 52 Lehrkräfte für besondere Aufgaben
Als Grundlage für das Studium sind in bestimmten Fachrichtungen praktische Fertigkeiten und praktische Kenntnisse, z. B. technischer oder künstlerischer Art, erforderlich. Ihre Vermittlung kann Lehrkräften übertragen werden, die nicht die Einstellungsvoraussetzungen für Professoren oder Assistenzprofessoren erfüllen. Hierzu gehören z. B. die Vermittlung von Sprachkenntnissen, ferner die Instrumentallehre im Kunsthochschulbereich, die Werkstattlehre in den technischen Fächern u. a.
Die Beschränkung der Funktionen dieser Lehrkräfte soll sicherstellen, dass sie nicht für Aufgaben eingesetzt werden, die nach der Personalstruktur dieses Entwurfs von Professoren, Assistenzprofessoren oder Lehrbeauftragten wahrzunehmen sind. Den Lehrkräften für besondere Aufgaben obliegt daher nicht die wissenschaftsbezogene Lehre an der Hochschule, auch nicht, soweit sie propädeutischen Charakter hat.

 

Dies ist ein Bericht darüber, was dann wirklich passierte. Aus der Sicht von LfbA der Fachhochschule Erfurt.

Erste Irritationen und erste Schritte

Im März 2016 stellt sich auf einer Personalversammlung eine neue Hochschulleitung vor und ist offen für Fragen. Eine LfbA fragt, warum sie im Vergleich zu einer Professorin ein Drittel mehr an sonst gleichwertiger Lehre leisten muss, also 24 LVS1 statt 18 LVS. Eine andere LfbA bestätigt, dass sich aus Sicht von Studentinnen die Lehre einer LfbA weder in Umfang noch in Komplexität von der einer Professorin unterscheiden lässt. Die Hochschulleitung sieht weder Problem noch Handlungsbedarf.

Aber das Thema interessiert, und so treffen sich LfbA zum Erfahrungsaustausch. Was tust du, wie aufwendig ist es, deine Lehre aktuell zu halten? Schnell wird klar: wir arbeiten nicht unter der Anleitung, sondern an der Seite von Professorinnen. Tun was sie tun. Gestalten, organisieren. Halt nur mehr. Für weniger Geld. Mit weniger Rechten in der Mitbestimmung. Aber forschen FH-Professorinnen nicht auch noch?2

Im Mai 2016 ist Minister Tiefensee an der FH Erfurt und bittet um Anregungen zur anstehenden Reform des Thüringer Hochschulgesetzes. Kann er haben. Tiefensee kennt das Problem und sieht

„… dringend die Notwendigkeit, die LfbA in die Kategorie der wissenschaftlichen Mitarbeiter ein(zu)sortieren“.

Wenig später wird es amtlich: Die Entgeltgruppe der LfbA an Thüringer Fachhochschulen steigt von E11 auf E13. Da hatte wohl jemand (10 Jahre, Dank an die Gewerkschaften) vorgearbeitet.

Und richtig. LfbA sind offenbar seit Jahren Thema, beim Hauptpersonalrat, bei den Gewerkschaften (GEW und ver.di). Verhandlungen. Noch mehr Verhandlungen. In den Forderungen ist man sich einig. Entgeltgruppe E13 für alle LfbA, an FH und Uni. Check. Pflichtlehre von maximal 16 LVS für alle LfbA, egal ob FH oder Uni … Da ist noch einiges zu tun.

Aber erstmal steht die Reform des Hochschulgesetzes an. Das Thüringer Hochschulgesetz (Stand 1992) beschrieb vor der Novellierung eine LfbA in 36 Worten.

§ 56 Lehrkräfte für besondere Aufgaben
Soweit überwiegend eine Vermittlung praktischer Fertigkeiten und Kenntnisse erforderlich ist, die nicht die Einstellungsvoraussetzungen für Professoren erfordert, kann diese hauptberuflich tätigen Lehrkräften für besondere Aufgaben übertragen werden. Hierzu gehört auch die Vermittlung von Fremdsprachen durch Lektoren.

 

Im Prinzip wie im Hochschulrahmengesetz. Sogar im Begleittext hat man Anleihe genommen. In der Begründung zum § 56 heißt es dann auch:

Zu § 56: Lehrkräfte für besondere Aufgaben
Die Regelung setzt § 56 HRG in das Landesrecht um.

 

Aber die Lebenswirklichkeit hat das Konzept von 1971 weit hinter sich gelassen. Wir sind Hochschullehrerinnen. Wir leisten wissenschaftliche Hochschullehre. Wir konzipieren, halten Vorlesungen und Seminare, prüfen, evaluieren, entwickeln weiter. Wir erleben, wie Professorinnen in Ruhestand gehen und wir deren Lehrverpflichtungen Eins zu Eins übernehmen. Nun, nicht genau Eins zu Eins. Drei LfbA erbringen die Lehrleistung von vier FH-Professorinnen, dabei ist jede einzelne LfbA kostengünstiger als eine Professorin zu haben. Genau das, was der Begleittext zum Hochschulrahmengesetz zu verhindern suchte.

Aber interessiert überhaupt irgendjemanden, was in diesem Gesetz steht?

Jenseits des Gesetzes: Hochschullehrer der besonderen Art

Wir recherchieren. Finden bundesweit Presseberichte über das „Akademische Prekariat“ „ohne Aufstiegschancen“. Vergleichen Hochschulrahmengesetz (HRG), Hochschulgesetz (ThürHG), Lehrverpflichtungsverordnung (LVVO) – Version um Version.

Wir dokumentieren. Diskutieren. Wie umgehen damit, dass uns laut Gesetz ausdrücklich „nicht die wissenschaftsbezogene Lehre an der Hochschule“ obliegt, wir aber dennoch genau das tun und auch tun wollen? Nur nicht daran rühren, meinen einige Kolleginnen. Wenn das korrigiert wird, verlieren wir vielleicht unsere Jobs.

Die Diskussion zieht Kreise. Professorale Kolleginnen reagieren mit traurigen Blicken und Verständnis auf unsere Bemühungen, aber auch mit Schulterzucken. Eine Studentin der Gebäude- und Energietechnik fragt dagegen ohne jedes Verständnis:

„Und wieso habe ich in Gas, Wasser, Scheiße (heißt im Stundenplan anders) eine Professorin, in Mathe und Physik aber nur eine Lehrkraft für besondere Aufgaben?“

Eine Kanzlerin erklärt, Mathe und Physik seien nur Hilfswissenschaften, um das eigentliche Ingenieurstudium zu unterstützen.

Und noch etwas fällt auf. Auch an Universitäten kommen Lehrkräfte für besondere Aufgaben zum Einsatz, dort aber mit deutlich geringerem Lehrdeputat. Wieso das? Etwa weil durch die Kolleginnen an der Universität noch einmal deutlich praktischere Kenntnisse und Fertigkeiten vermittelt werden? Im Ernst, was ist der Unterschied?

Die Antwort ist – einfach gesagt – historisch gewachsen. Hochschulabschlüsse, namentlich Bachelor und Master, von Universität und Fachhochschule sind gleichwertig. Die Lehre, auch die von LfbA, an Universität und Fachhochschule ist gleichwertig. Und das seit der Kultusministerkonferenz von 2005. Stichwort: Qualifikationsrahmen für deutsche Hochschulabschlüsse. Die Vereinbarung der Kultusministerkonferenz über die Lehrverpflichtung an Hochschulen stammt aber von 2003. Das Deputat für LfbA an Universitäten wurde da exakt angegeben: 12 bis 16 LVS. Die Lehrverpflichtung für LfbA an Fachhochschulen dagegen blieb unbestimmt, sollte nur deutlich über dem der FH-Professorinnen liegen. Das öffnet hervorragende Möglichkeiten für Arbeitsverdichtung und Überlastung …

Mit typischen 24 LVS wissenschaftlicher Lehrtätigkeit an Fachhochschulen in Thüringen ist anhaltende Qualität und lebendige Entwicklung der Lehre nicht zu machen – oder nur zu Lasten persönlicher Gesundheit, Familie und sozialer Präsenz. Unklar ist, auf welcher Grundlage für LfbA an Fachhochschulen deutlich höhere Deputate gelten als für LfbA an Universitäten, trotz gleichwertiger Lehre in der Bachelor- und Masterausbildung. In Thüringen sind es laut Lehrverpflichtungsverordnung aktuell 20 bis 26 LVS [FH] gegenüber 14 bis 20 LVS [Uni]. Daher fordern wir: Einheitliche Lehrverpflichtungen für LfbA an Universitäten und Fachhochschulen von umfänglich nicht mehr als 18 LVS.

 

Schließlich entsteht der Flyer. Titel: Jenseits des Gesetzes – Hochschullehrer der besonderen Art. Eine A4-Seite, beidseitig bedruckt, gefaltet. Mit Fragen, Argumenten, Forderungen auf der fichtengrünen Vorderseite, mit Textproben aus Gesetzen und Verordnungen auf der weißen Rückseite. Das Bild eines „Gesetzeslosen Hochschullehrers“ im Wild-West-Look mit brennender Zigarre stimmt auf das Thema ein. Über die Personalräte verbreiten wir unsere Erkenntnisse, aber auch unsere Irritationen auf andere Hochschulen. Ob es den Kolleginnen dort wohl ähnlich geht?

Überlastung: Wenn der Kopf aber nun ein Loch hat

Zunächst einmal: Auch wenn es in diesem Artikel um Lehrkräfte für besondere Aufgaben geht, uns ist klar, dass auch Büroangestellte, Erzieherinnen, Lehrerinnen, Pflegekräfte, Reinigungskräfte, Servicekräfte, Sozialarbeiterinnen und viele andere Arbeitsverdichtung und Überlastung kennen bzw. unter suboptimalen Bedingungen arbeiten. Zu viele werden darüber hinaus nicht angemessen bezahlt.

In diesem Abschnitt soll es um eine anschauliche Beschreibung von Überlastung gehen. Was meinen wir damit? Wieso empfinden wir unser Arbeitspensum als unangemessen hoch. Da es ein sehr persönlicher Bericht wird, wechsle ich in die Ich-Perspektive.

Seit zwei Jahren arbeite ich als LfbA an der FH Erfurt. Die Arbeit ist anstrengend, ich bekomme nicht genug Schlaf, aber das sollte besser werden, sobald ich mehr Routine bekomme. Meist beginne ich sehr früh, stelle mir den Wecker auf Vier Uhr, weil ich morgens klarer denken kann. Wenn ich nachmittags nachhause komme, falle ich auf mein Bett, schlafe ein, wache zu spät wieder auf, um mit dem Tag noch etwas anfangen zu können.

Mein Schlafrhythmus kommt durcheinander. Ich bin verspannt, bewege mich nicht genug. Immer öfter verzichte ich darauf, morgens das Radio anzuschalten, weil mein Kopf schon voll ist. Nach einem Wochenende fühle ich mich nicht erholt. Meist sieht das Wochenende so aus: Samstag, nur rumliegen. Sonntag, für die kommende Woche vorarbeiten.

Jetzt sind es schon vier Jahre. Ich kann meinen Sport nicht länger ausüben. Nach dem Training fühle ich mich tagelang wie gerädert. Erst in einigen Jahren und nach zahlreichen nutzlosen Arztbesuchen werde ich verstehen, dass sich meine Muskulatur so weit abgebaut hat, dass die gewohnten Bewegungsabläufe nicht länger nur guttun.

Es folgen zwei Bandscheibenvorfälle, beide mit Krankenhausaufenthalt. Beim ersten bin ich noch völlig hilflos. Wochenlang fast völlig bewegungsunfähig. In der Reha lerne ich, dass ich meinem Arbeitstag ein gezieltes Muskeltraining entgegensetzen muss. Die Umsetzung fällt schwer.

Fünf Jahre. Noch immer kehre ich erschöpft heim. Die inhaltliche Vorbereitung ist nicht mehr das Problem, auch wenn neue Lehrfächer dazukommen. Das Problem … Ich weiß nicht, was das Problem ist. Meine Regeneration funktioniert nicht mehr. Ich überstehe Woche um Woche. Ich schleppe mich zum Semesterende – um endlich in Ruhe krank werden zu können. Von Kolleginnen höre ich, dass es nicht nur mir so geht.

Blackout, mitten im Seminar. Ich stehe an der Tafel und kann nicht mehr verstehen, was ich da angeschrieben habe. Jetzt reicht es. Ich schreibe eine Überlastungsanzeige. Es folgt das persönliche Gespräch. Ein Vorgesetzter empfiehlt mir, meine Arbeitsweise konzeptionell zu überarbeiten.

Inzwischen bin ich im Personalrat. Irgendwo muss man anfangen, etwas zu verändern. Normalerweise erledigt man Personalratskram während der Arbeitszeit. Ich bin nicht in der Arbeitszeiterfassung, ich habe Deputat. Alles andere geht on top. Ein Antrag auf eine Minderung um 2 LVS wird abgelehnt, weil die LVVO dafür keine Rechtsgrundlage hergibt.

Corona. Alles umstellen auf online. Meine Freundin fühlt sich nicht mehr wahrgenommen, schließlich ist sie weg. Ich halte ein halbes Semester durch. Dann folgt der totale Zusammenbruch. Ich mache noch die Woche fertig – ja, ich weiß, wie das klingt. Nach zwei Wochen Arbeitsunfähigkeit geht jegliche Orientierung verloren. Für die nächsten sieben Monate werde ich mich fragen, ob ich jemals wieder arbeiten können werde.

Ich kehre zurück. Entschuldige mich für nicht beantwortete Emails, versuche zu erklären. Ich habe mich entschlossen, das Thema offensiv anzugehen. Meine Kolleginnen, meine Vorgesetzten, meine Studentinnen erfahren, warum ich weg war. Das Feedback ist für mich überraschend. Einige erzählen von eigenen Burnout-Episoden, einige haben schon eine Überlastungsanzeige geschrieben, einige haben es vor. Es wird zu wenig offen darüber geredet, definitiv.

Wie kann ich verhindern, dass ES wieder passiert? Ich nehme mir vor, meine Gesundheit besser zu schützen. Auf frühe Symptome zu achten. Plane, mich arbeitsunfähig schreiben zu lassen, bevor wieder eine dauerhafte Überlastung auftritt. Ob das wohl funktioniert?

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Das ThürHG: Alles neu macht der Mai

Im Vorfeld der Novellierung des Thüringer Hochschulgesetzes treffen wir hochschulpolitische Sprecherinnen verschiedener Parteien, sprechen über Nöte und Notwendigkeiten. Im Mai 2018 ist es dann da, das neue ThürHG. Der neue § 92, Lehrkräfte für besondere Aufgaben, enthält noch immer dieselben 36 nichtssagenden Worte, nur eines ist ausgewechselt. Professoren heißen jetzt Hochschullehrer. Mist. Eine unserer Forderungen war, uns, die wir mehr wöchentliche Hochschullehre leisten als jede Professorin, doch wenigstens mit in die Kategorie Hochschullehrer einzuordnen. Das ist offenbar nicht passiert.

§ 92 Lehrkräfte für besondere Aufgaben
(1) Soweit überwiegend eine Vermittlung praktischer Fertigkeiten und Kenntnisse erforderlich ist, die nicht die Einstellungsvoraussetzungen für Hochschullehrer erfordert, kann diese hauptberuflich tätigen Lehrkräften für besondere Aufgaben übertragen werden.
(2) Hierzu gehört auch die Vermittlung von Fremdsprachen durch Lektoren.

 

Das neue ThürHG beschreibt in 2723 Worten, was Professoren, in 736 Worten was Juniorprofessoren, in 614 Worten was Wissenschaftliche und künstlerische Mitarbeiter sind. Keinerlei Energie wurde aufgewendet, um klarzustellen, was LfbA sein sollen. Ein erneut in Gesetzesform gegossenes Desinteresse.

Funfact: Selbst der Wikipedia-Artikel zur Lehrkraft für besondere Aufgaben ist als „nicht hinreichend mit Belegen ausgestattet“ gekennzeichnet. Woher denn auch?

Die Petition: Und wenn wir ganz lieb „bitte“ sagen?

Nach der Novellierung des Thüringer Hochschutzgesetzes müssen wir einsehen: Zur Regelung der Rechte und Pflichten einer LfbA hatte sich nichts getan. Eine Überarbeitung der ThürLVVO steht nicht an. Keine unserer Anregungen wurde berücksichtigt. Was kommt jetzt noch in Frage?

Im Juli 2019 reichen wir eine Petition auf der Petitionsplattform des Thüringer Landtages ein. Thema (wieder): faire Arbeitsbedingungen.

Mit dieser Petition fordern wir die Gleichbehandlung von Lehrkräften für besondere Aufgaben an Fachhochschulen und Universitäten in Thüringen und die rechtliche Verankerung einer einheitlichen Lehrverpflichtung von umfänglich nicht mehr als 18 LVS in der Thüringer  Lehrverpflichtungsverordnung (ThürLVVO).

 

Es erfolgt tatsachlich eine Anhörung durch den Petitionsausschuss. Im Landtag. Juni 2020. Unsererseits wieder die gleiche Argumentation. Die hierarchische Unterteilung der Lehre nach Hochschultypen ist inhaltlich seit vielen Jahren überholt. Wir erbitten Gleichbehandlung der Lehrenden. Die Reaktion: Mitfühlende Gesichter. Wenig Hoffnung.

Nach – wie es im Abschlussbericht heißt – mehrfacher Beratung, erreicht uns folgender Bescheid.

Zur Gleichbehandlung: Die Lehrverpflichtungen an Universitäten und Fachhochschulen hätten bereits Bandbreiten: 14 bis 20 LVS (Universität) und 20 bis 26 LVS (Fachhochschule), was prinzipiell

„dazu führen könne, dass LfbA an Universitäten und Fachhochschulen im Einzelfall die gleiche Lehrverpflichtung hätten“.

Allerdings sei laut Ministerium (TMWWDG)

„die geringere Lehrverpflichtung der LfbA an Universitäten dadurch gerechtfertigt, dass ihnen […] neben der reinen Lehrverpflichtung […] wissenschaftliche[n] Tätigkeiten übertragen werde[n].“

Zur veralteten KMK-Regelung von 2003 (Grundlage der LVVO, siehe unten):

„Der Ausschuss regte daher an, dass das TMWWDG darauf hinwirken könne, eine Diskussion über die Notwendigkeit der Aktualisierung dieser Vereinbarung zu führen.“

Insgesamt spricht sich der Ausschuss für eine erneute Evaluation der Lehrverpflichtungsverordnung „zu gegebener Zeit aus“.

Die Fachkonferenz: Uuuuuund … Action!

Am 25.02.2020 findet im Thüringer Landtag auf Einladung der LINKEN die Aktionskonferenz „Lehrkräfte für besondere Aufgaben – Entwicklung und Probleme in Recht und Praxis“ statt. Endlich. Danke. Anwesend sind neben den Gastgeberinnen LfbA von Fachhochschulen und Universitäten aus ganz Thüringen auch ein Vertreter der Abteilung Hochschule des Thüringer Ministeriums für Wirtschaft, Wissenschaft und Digitale Gesellschaft (TMWWDG).

Thema: Einsatz von LfbA in der wissenschaftlichen Lehre

Im Begleittext des Hochschulrahmengesetzes von 1971 (siehe oben) wird wissenschaftliche Lehre für LfbA ausdrücklich ausgeschlossen. Wie konnte sich eine Praxis etablieren und aufrechterhalten, die eindeutig gegen das Gesetz verstößt?

Thema: Ungleichbehandlung der LfbA an Fachhochschulen und Universitäten

Der Gleichbehandlungsgrundsatz ist in vielerlei Formen in der deutschen und europäischen Gesetzgebung verankert. Insbesondere gilt der Grundsatz Gleiches Entgelt für gleichwertige Arbeit. Leisten LfbA an Fachhochschulen und Universitäten gleichwertige Arbeit? Und wenn ja, warum müssen dann LfbA an Fachhochschulen für gleiches Entgelt deutlich mehr gleichwertige Arbeit leisten? Wir holen etwas aus.

1999 einigten sich die Bologna-Staaten, einen Rahmen vergleichbarer und kompatibler europäischer Hochschulabschlüsse zu entwickeln. Auf der Kultusministerkonferenz von 2005 wurde der Qualifikationsrahmen für deutsche Hochschulabschlüsse verabschiedet, 2017 wurde eine erweiterte Fassung beschlossen.

Seit fast zwei Jahrzehnten gelten Lehre und Abschlüsse an deutschen Fachhochschulen und Universitäten als gleichwertig. Der Qualifikationsrahmen beschreibt detailliert und ausdrücklich unabhängig vom Hochschultyp die Qualitätsstandards der deutschen Hochschullehre. Dessen ungeachtet orientiert sich die aktuelle ThürLVVO noch immer kostenschonend an der Vereinbarung über die Lehrverpflichtung an Hochschulen der Kultusministerkonferenz von 2003, in der diese Gleichwertigkeit nicht berücksichtigt ist.

Der Vertreter des Ministeriums wiederholt, was schon dem Petitionsausschuss offiziell mitgeteilt wurde: Die Ungleichbehandlung ist dadurch gerechtfertigt, dass LfbA an Universitäten zusätzlich zur Lehre auch noch forschen. Von den anwesenden LfbA kann das niemand bestätigen. Und abgesehen davon, dass dies noch weiter von dem entfernt ist, was eine LfbA eigentlich sein sollte: Kann das bitte mal jemand verbindlich überprüfen? Zum Forderungskatalog der Konferenz kommt der Ruf nach einem amtlichen Monitoring der Arbeitsverhältnisse von LfbA, nach belastbaren Fakten.

Thema: Tarifliche Eingliederung von LfbA

2005 hob die Thüringer Landesregierung die wöchentliche Arbeitszeit von Beamtinnen von 40 auf 42 Stunden an3, und die Lehrverpflichtung von LfbA gleich mit. So stieg das Deputat von LfbA an Universitäten von höchstens 16 auf durchschnittlich 18 LVS und an Fachhochschulen von höchstens 22 auf durchschnittlich 24 LVS. Nun sind LfbA in der Regel keine Beamtinnen. Aber was sind sie dann? Tarifbeschäftigte mit einer 40-Stunden-Woche. Nur dass die wöchentliche Arbeitszeit als Maßstab bisher keine Rolle zu spielen schien.

Die Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL, Arbeitgeberverband) weigert sich, die Höhe der Lehrverpflichtung und die Eingruppierung zum Gegenstand von Tarifverhandlungen zu machen. Die Eingruppierung der LfbA an Fachhochschulen in die Entgeltgruppe E13 ist zwar ein Ergebnis intensiver gewerkschaftlicher Bemühungen, wurde aber nicht Teil eines Tarifvertrages. Rechtlich ist sie ein einseitiges (und widerrufbares) Entgegenkommen des Arbeitgebers. Ebenso einseitig bewirkt eine Heraufsetzung der Lehrverpflichtung (andere Setzungen sind bisher nicht bekannt), als könne der Arbeitgeber bei einer tariflich gesicherten 40-Stunden-Woche willkürlich bestimmen, wie viele Minuten jede Stunde dauern soll.

Im Interesse eines funktionierenden Staatswesens haben deutsche Beamtinnen ihrem Dienstherrn gegenüber eine besondere Dienst- und Treuepflicht. Der Dienstherr ist im Gegenzug zu einer besonderen Fürsorge verpflichtet. Letztere zeigt sich in Besoldung, Pensionsansprüchen, Krankenversorgung. Auf LfbA greift der Arbeitgeber in Teilen ähnlich dienstherrschaftlich zu, nur eben ohne die besondere Fürsorge.

Thema: Arbeitsschutz, Gefährdungsbeurteilung

Seit 2013 fordert das Arbeitsschutzgesetz ausdrücklich, dass Arbeitgeber physische und psychische Gefährdungen für ihre Beschäftigten ermitteln müssen (§ 5 ArbSchG). Diese Erhebungen erfolgen durch die Hochschulen, welche aber selbst bei auftretenden Überbelastungen keinen Einfluss auf die Lehrverpflichtung hatten. Zumindest bis zu dieser Konferenz. Bis 2020 galt nämlich:

ThürLVVO §3 Abs. 3 Stand 2010: Das in einem Semester zu erbringende Lehrdeputat von Lehrkräften für besondere Aufgaben muss […] im Durchschnitt aller Lehrkräfte für besondere Aufgaben an […] den Fachhochschulen 24 Lehrveranstaltungsstunden betragen. […] unter Berücksichtigung der Anrechnungsfaktoren nach § 5 soll die wöchentliche Lehrbelastung 24 Lehrstunden mit einem zeitlichen Umfang entsprechend § 2 Abs. 2 nicht übersteigen.

 

Im Klartext: Wenn die durchschnittliche und die maximale Lehrverpflichtung für LfbA an Fachhochschulen bei 24 LVS liegt, dann muss auch die minimale Lehrverpflichtung 24 LVS betragen und die angegebene Bandbreite von 20 bis 26 LVS gibt überhaupt keinen realen Spielraum. Und an dieser Stelle erfolgte (Achtung Spoiler) die eine von zwei substanziellen Reaktionen auf die Konferenz. Schnell und unbürokratisch wurde ThürLVVO § 3 Abs. 3 gestrichen. Die zweite Änderung (wenn wir schon dabei sind) betrifft die Sprachkurse, die als vollwertige Lehre nun endlich auch voll angerechnet werden.

Die neue Situation ist seither folgende. Die Leitungen der Fachhochschulen könnten nach eigenem Ermessen die Lehrverpflichtung auf 20 LVS senken. Zum Beispiel um Überlastung zu vermeiden, den Krankenstand zu senken. Tun sie aber (nach unserer Kenntnis) nicht. Das Geld im internen Haushalt ist knapp,  Unterstützung seitens der Landesregierung ist nicht zu erwarten. So fallen Lehrveranstaltungen aus oder werden von Kolleginnen zusätzlich übernommen. Die auf anderer Seite im Gesundheitssystem auftretenden Kosten (Arztbesuch, Krankenhaus, Reha, Krankengeld) fallen nicht auf das eigene Budget zurück.

Aber gab es da nicht eine Fürsorgepflicht des Arbeitgebers? Sind Hochschulen in der Pflicht oder das Ministerium oder beide?

Thema: Mitbestimmung und Selbstverwaltung

LfbA dürfen sich in der akademischen Selbstverwaltung engagieren. In Thüringen sind sie Modulverantwortliche, Studiengangsleiterin, Teamleiterin, Leiterin zentraler Lehreinrichtungen. Sie wirken in Gremien und in der Personalvertretung. Alle dafür in der ThürLVVO aufgeführten Ermäßigungen der Lehrverpflichtung sind Kannbestimmungen, keine verbrieften Rechte. Hat eine Hochschule darüber hinaus eine so geringe Personaldecke, dass das Gesamtlehrangebot gerade so gewährleistet ist, gibt es nach ThürLVVO § 8 Abs.7 überhaupt keinen Spielraum für Ermäßigungen.

Damit sind LfbA gegenüber anderen Tarifbeschäftigten erheblich im Nachteil. Letztere leisten ihre Gremientätigkeit als Teil ihrer Arbeitszeit.

Thema: Entwicklungschancen

Heute haben LfbA in der Regel einen Hochschulabschluss, häufig sind sie promoviert. Die Aufgaben von LfbA sind vielfältig und anspruchsvoll. Möchte sich eine LfbA jedoch beruflich weiterentwickeln, bleibt ihr dazu im Wesentlichen nur eine einzige Option: die Kündigung. Für LfbA sind keine Forschungs- oder Entwicklungssemester vorgesehen, obwohl sie eigenverantwortlich Hochschullehre bereitstellen und aktuell halten müssen. Inhalte verlagern sich, die Studierendenschaft wird heterogener, internationaler. Medientechnik verändert sich, Leistungsfähigkeit und soziale Relevanz.

Promotion oder Habilitation sind nicht vorgesehen. Da sich der Gesetzgeber so überhaupt keine Mühe macht, das Profil einer LfbA konzeptionell zu überarbeiten, gibt es faktisch keine Entwicklungschancen. Und das in einer Bildungseinrichtung. Schade eigentlich.

Zwischenbilanz: Was haben wir getan? Was haben wir erreicht?

Strategie: Demokratische Teilhabe

  • Wir haben unser Anliegen an der eigenen Hochschule vorgetragen,
  • uns mit Kolleginnen anderer Hochschulen ausgetauscht,
  • Gesetze und Bestimmungen gewälzt,
  • Gewerkschaften und Personalräten zugearbeitet,
  • uns in Gewerkschaften und Personalräten engagiert,
  • Kontakt zu hochschulpolitischen Sprecherinnen politischer Parteien hergestellt,
  • der Hochschulabteilung des TMWWDG und dem Minister zugearbeitet,
  • den Petitionsausschuss des Thüringer Landtages bemüht,
  • Erfahrungen und Forderungen auf einer Fachkonferenz gebündelt.

Resultate:

  • angemessene Bezahlung auch für LfbA an Fachhochschulen (das haben andere vor uns auf den Weg gebracht),
  • keine Fortschritte bei der Gleichstellung von LfbA an Universitäten und Fachhochschulen (bisher),
  • keine Senkung der Lehrverpflichtung (bisher),
  • keine angemessene Repräsentation im Thüringer Hochschulgesetz (bisher),
  • keine beruflichen Entwicklungschancen innerhalb des Konzeptes der LfbA (bisher).

Mögliche weitere Strategien:

  • Juristische Auseinandersetzung – alle gesetzlichen und verfassungsrechtlichen Mittel bemühen, um vor Gericht Verbesserungen zu erstreiten,
  • Arbeitskampf – Streiks, Protestaktionen (gern mit Traktoren), Aktionskunst,
  • gesamtgesellschaftliche Ansätze – Wie wollen wir leben?

Na dann … Weiter geht’s!

Kontakt
Stefan Peter Andres
Team Referatsleitung Hochschule und Forschung
AdresseHeinrich-Mann-Str. 22
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Sven Laude
Lehkraft für besondere Aufgaben an der FH Erfurt
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Kontakt
Birgit Schindhelm
Lehrkraft für besondere Aufgaben an der FH Erfurt