Urteil zum WissZeitVG
Landesarbeitsgericht setzt Befristungsmissbrauch Grenzen
Das Landesarbeitsgericht Köln hält die Befristung eines Arbeitsvertrags mit einer Wissenschaftlerin für unwirksam, weil der Arbeitgeber nicht belegen könne, dass die Beschäftigung der Förderung der wissenschaftlichen Qualifizierung diene.
Das Landesarbeitsgericht (LAG) Köln hat mit Urteil vom 7. Oktober 2020 (5 Sa 451/20) die Befristung des Arbeitsvertrags mit einer Diplom-Ingenieurin an einem nordrhein-westfälischen Forschungsinstitut für unwirksam erklärt, weil die Beschäftigung der wissenschaftlichen Qualifizierung nicht förderlich gewesen sei. In seiner Urteilsbegründung widersprach das Gericht explizit der bisherigen Rechtsprechung und bestätigte die Rechtsauffassung der GEW, dass sich mit der Novellierung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeitVG) von 2016 die Bedingungen für die Befristung von Arbeitsverträgen in Hochschule und Forschung substanziell verändert hätten.
Fünf Zeitverträge
Die Klägerin hatte seit 2010 insgesamt fünf befristete Arbeitsverträge an einem Forschungsinstitut. Der Arbeitsvertrag, welcher der Klage zugrunde liegt, war befristet vom 15. August 2018 bis zum 31. Dezember 2019 und stützte die Befristung auf § 2 Absatz 1 WissZeitVG: Demnach ist die Befristung von Arbeitsverträgen zulässig, „wenn die befristete Beschäftigung zur Förderung der eigenen wissenschaftlichen oder künstlerischen Qualifizierung erfolgt“. Zum Beleg war dem Arbeitsvertrag ein Qualifizierungsplan beigefügt worden. Die „Qualifizierung“ zielte auf „vertiefte Kenntnisse“ in den Themenfeldern „Betonstraßenbau/Betontechnologie, insbesondere Bereich Betonfertigteile für Verkehrsflächen aus Beton“ und die Bearbeitung eines Drittmittelprojekts ab. Diese Begründung der Befristung überzeugte das LAG nicht.
Rechtfertigung der Befristung nicht nachgewiesen
Das LAG bestätigte zwar in Übereinstimmung mit dem vorausgegangenen erstinstanzlichen Urteil, dass es sich bei der Tätigkeit der Ingenieurin um wissenschaftliche Dienstleistungen im Sinne des WissZeitVG handele. Das Gericht sah aber den darüber hinaus notwendigen Tatbestand zur Rechtfertigung der Befristung, nämlich die „Förderung der eigenen wissenschaftlichen Qualifizierung“, nicht nachgewiesen. Der Arbeitgeber hatte vor Gericht vorgetragen, die Klägerin habe durch die ihr zugewiesenen Aufgaben „ihre Fähigkeiten und Kenntnisse verbessern“ sollen. „Die Verbesserung ihrer Kompetenzen sei unbewusster immanenter Bestandteil ihrer Arbeit gewesen. Mehr verlange das Gesetz auch nach der Neuregelung nicht.“ Dieser Behauptung trat das LAG Köln entgegen und verlangte stattdessen, dass von einer Förderung der eigenen wissenschaftlichen Qualifizierung nur ausgegangen werden könne, wenn der Kompetenzgewinn über der „bloßen Gewinnung zusätzlicher Berufserfahrung“ liege.
Das Landesarbeitsgericht diskutierte ausführlich die rechtliche Natur der Qualifizierungsbefristung, wie sie 2016 neu ins WissZeitVG aufgenommen worden war – als Ergebnis einer Kampagne der GEW für eine Reform des Gesetzes. Das Gericht stellte fest, die „Förderung der eigenen Qualifikation“ sei ein „selbständig zu prüfendes Tatbestandsmerkmal“. Das heißt, die Arbeitgeber müssten sachlich nachweisen, dass mit Abschluss des befristeten Arbeitsvertrags tatsächlich eine Qualifizierung verabredet worden sei, die nicht bloß mit einer selbstverständlichen Gewinnung von Berufserfahrung unterstellt werden dürfe. Als Nachweis reiche die bloße Nennung im Arbeitsvertrag nicht aus.
GEW spricht von „wegweisendem Urteil“
„Das mag zunächst banal klingen“, kommentierte der stellvertretende Vorsitzende und Hochschulexperte der GEW, Andreas Keller. „Vor dem Hintergrund, dass Hochschulen und Forschungseinrichtungen sehr häufig den Erwerb vertiefter Kenntnisse in einem Fachgebiet oder von Kompetenzen in der Bearbeitung eines Drittmittelprojektes als Befristungsgrund angeben, ist das Urteil aber als wegweisend anzusehen. Damit kann dem Befristungsmissbrauch in der Wissenschaft endlich ein Riegel vorgeschoben werden.“
„Es muss endlich Schluss damit sein, dass Hochschulen und Forschungseinrichtungen ihre wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter willkürlich befristet beschäftigen. Neben einer Drittmittelfinanzierung ist gemäß WissZeitVG eine wissenschaftliche Qualifizierung die einzige Rechtfertigung für einen Zeitvertrag. Es wird Zeit, dass sich die Arbeitgeber endlich an die gesetzlichen Vorgaben halten – Dauerstellen für Daueraufgaben“, erklärte Keller unter Anspielung auf die Petition #Dauerstellen für Daueraufgaben, welche die Bildungsgewerkschaft im November 2020 gestartet hatte.
„Die Unbekümmertheit einiger Arbeitgeber in Hochschule und Forschung, Arbeitsverträge nach § 2 Absatz 1 WissZeitVG zu befristen ohne eine wissenschaftliche Qualifizierung zu vereinbaren, dürfte vorläufig vorbei sein.“ (Andreas Keller)
Die Berufung vor dem Bundesarbeitsgericht wurde zugelassen und darf mit Spannung erwartet werden. „Bis dahin aber können wir zuversichtlich davon ausgehen, dass das Urteil des LAG Köln für erheblichen Wirbel in den Personalabteilungen der Hochschulen und Forschungsinstitute sorgen wird. Die Unbekümmertheit einiger Arbeitgeber in Hochschule und Forschung, Arbeitsverträge nach § 2 Absatz 1 WissZeitVG zu befristen ohne eine wissenschaftliche Qualifizierung zu vereinbaren, dürfte vorläufig vorbei sein. Und das ist gut so“, sagte Keller.