Gesellschaftliche Funktion von Kindergärten – Der Gesetzliche Rahmen
Kindergarten und Grundschule - Zwei Systeme treffen aufeinander
Mit der gesellschaftlichen Entwicklung wandelt sich das Verständnis von Bildung und das ihr zugrunde gelegte Bild vom Kind und nimmt Einfluss auf das Beziehungsverhältnis zwischen dem Kind und dem Erwachsenen.
Die Moderne war geprägt von der Idee linearen Fortschritts und gestaltete den Übergang vom Kindergarten zur Grundschule unter der Leitvorstellung eines „sanften“ Übergangs. Die Gestaltung von Kontinuität führte in erster Linie zu einer organisatorischen Ausgestaltung eines „gleitenden Übergangs“. So wurden Strukturen und Organisationsformen der Schule bereits auf den Kindergarten übertragen. Anpassungsprobleme im Übergangsprozess sollten damit so gering wie möglich gehalten werden. Dieser Übergangsansatz der ist noch heute die tragende Leitvorstellung.
Strukturelle Unterschiede
Doch die strukturellen Unterschiede von Kindergarten und Schule können Kontinuität im Übergang nicht gewährleisten. Die Ursache besteht im „Zusammentreffen von zwei Stufen des Bildungssystems, die in Deutschland bis in die organisatorischen Einzelheiten von eigenen Gesetzmäßigkeiten bestimmt sind“1. Kindergarten und Grundschule haben sich historisch getrennt entwickelt, wobei der Kindergartenbereich nicht wie in anderen europäischen Staaten zum staatlichen Bildungssystem, sondern zum Kinder- und Jugendhilfesystem gezählt wird. Die Aufteilung hat zur Folge, dass die Kindereinrichtungen der Zuständigkeit kommunaler Gebietskörperschaften unterliegen und als „privat und kostenpflichtig“ angesehen werden, während der Bereich Schule auf Länderebene geregelt wird und unter staatlicher Verantwortung steht. Die Schule ist in ihrem Bildungsansatz auf Homogenität ausgerichtet, Unterschiede werden im Vergleich offenkundig und führen zu Selektion im weiteren Bildungsverlauf. Ganz in Gegensatz zum Kindergarten, dessen Bildungsansatz auf Heterogenität ausgerichtet ist und jedes Kind in seiner Individualität anerkennt und fördert.
Gemeinsamer Bildungsplan
Die Bildungspläne thematisieren zwar die Übergangsgestaltung als Aufgabe aller Beteiligten, aber die Schaffung der notwendigen politischen und gesetzlichen Verbindlichkeiten bleiben dabei weiterhin offen. So bezeichnet der Thüringer Bildungsplan die Überganggestaltung als ein pädagogisches Arbeitsfeld von Erzieherinnen und Lehrerinnen, in Kooperation mit allen Beteiligten. Die Zusammenarbeit von Kindergarten und Schule ist im Thüringer Kindertageseinrichtungsgesetz und im Thüringer Schulgesetz geregelt. Im Thüringer Bildungsplan wird die institutionelle Kooperation bei der Gestaltung von Übergängen in der kindlichen Bildungsbiographie hervorgehoben.
Historische Entwicklung des Schulreife-Konzepts
Mit dem Begriff der so genannten Schulreife wurde schon in den dreißiger Jahren der Entwicklungsstand nach biologischen Gesetzmäßigkeiten erläutert. Die Schulfähigkeit von Kindern wurde in den fünfziger Jahren als Reifungsproblem von Kindern betrachtet. Die Kultusministerkonferenz erhöhte in den fünfziger und sechziger Jahren das gesetzliche Schuleintrittsalter schrittweise, um möglichst vielen Kindern die Schulreife zu ermöglichen. Des Weiteren wurden „Schulreifetests“ eingeführt, um Kindern eine „Nachreife“ zu ermöglichen. Mit dem Ausbau des Systems der frühkindlichen Bildung, umgesetzt mit dem Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz in den neunziger Jahren, ging man davon aus, dass Schulfähigkeitsdefizite gar nicht erst entstehen.
Stärkung der Bildungs- und Erziehungsqualität und Schuleingangsphase
Die Frage des Übergangs und die Anschlussfähigkeit der pädagogischen Arbeit der verschiedenen Institutionen erfuhr (im Anschluss an die Pisa-Ergebnisse) eine wachsende Bedeutung. In diesem Zusammenhang wurde und wird auch intensiv über Einschulung, die Zusammenarbeit von Kindergarten und Grundschule nachgedacht bis hin zu flexiblen Eingangsstufen in der Schule. Den Schulstart für alle Kinder bestmöglich zu gestalten, ist dabei das Ziel der Schuleingangsphase. Es sollen Risiken vermindert und an Vorerfahrungen der Kinder angeknüpft werden. Durch die Einführung der integrativen Schuleingangsphase sollten sich die Zurückstellungen von Kindern nach der Schuleingangsdiagnostik erübrigen. Dem schulmedizinischen Dienst obliegt die Aufgabe der Durchführung dieser Diagnostik zur Schulfähigkeit. Diese Diagnose kann immer nur eine Momentaufnahme des Entwicklungsstandes des Kindes sein. Auf Grund dieses Testes wurde und wird entschieden, ob ein Kind vom Schulbesuch zurückgestellt wird.
1 Giebel, Niesel: Abschied vom Kindergarten – Start in die Schule. Grundlagen und Praxishilfen für Erzieherinnen, Lehrkräfte und Eltern, 2002
99096 Erfurt