Seiteneinstieg am Gymnasium
„Je größer der Lehrermangel, umso offener die Kollegen für Seiteneinsteiger.“
Fragen an einen stellvertretenden Schulleiter eines Thüringer Gymnasiums zu seinen Erfahrungen mit Seiteneinsteiger:innen, hier seine schriftlichen Antworten.
Du bist bei uns Mitglied und zugleich Teil einer Schulleitung an einer Thüringer Schule. Hast Du in dieser Funktion bereits Erfahrungen mit Seiteneinsteiger:innen sammeln dürfen oder machst diese gerade?
Tatsächlich habe ich nur geringe Erfahrungen damit, weil an unserem Gymnasium lediglich zwei Seiteneinsteiger unterrichteten, beide im Fach Musik. Der eine hat nach drei Monaten von selbst das Handtuch geworfen, der andere war sehr engagiert, hat allerdings nach einem Jahr auch aufgehört, da er gesundheitliche Problem durch den Schulstress bekam. Beide waren aber zu der Zeit aktiv, als wir die Seiteneinsteiger noch mit voller Stundenzahl „verheizen“ mussten. Gerade der Zweite hätte bei einem Beginn mit geringerem Stundenumfang und einer Betreuung ähnlich der Lehramtsanwärter vielleicht eine Chance gehabt, sich in dem Beruf einzuarbeiten.
Was waren Deine Erwartungen, als Du erstmalig von der Möglichkeit des Seiteneinstiegs hörtest? Was waren Deine Hoffnungen oder Bedenken?
Große Skepsis überwog, verbunden mit der Hoffnung, dass vielleicht doch einer das pädagogische Händchen im Blut hat.
Wie war die Stimmung bzgl. des Themas im Kollegium zu Beginn? Hat sie sich im Laufe der Zeit verändert?
Skepsis überwog, mit dem zweiten Seiteneinsteiger wurde die Hoffnung auf positive Entwicklung größer, da er sehr engagiert war. Je größer der Lehrermangel wird, umso offener sind die Kolleginnen und Kollegen für Seiteneinsteiger.
Inwiefern sind die Lehrerinnen und Lehrer, die über den Seiteneinstieg zu Dir kamen, eine Bereicherung für das Kollegium?
Der erste war nur eine Belastung, der Zweite im musikalischen Sinne schon, z. B. Weihnachtskonzert oder Adventssingen im Schulhaus. Insgesamt aber ist dazu von meiner Seite keine Aussage möglich, bzw. würde ich sagen eher nicht.
Was waren die Herausforderungen für die neuen Kollegen und Kolleginnen und für Dich als Schulleitung?
Die Kolleginnen und Kollegen haben einfach das pädagogische Händchen in den vielen kleinen Alltagssituationen nicht, welches die anderen Kollegen sich in den Jahren der Berufserfahrung angeeignet haben, z. B. „Was kann ich noch dulden bzw. laufen lassen, an welchem Punkt muss ich einschreiten?“ „Wenn ja, welche Mittel sind geeignet?“ Großes Problem ist die Notengebung, die Balance zwischen Fördern und Fordern zu finden. Wir mussten den zweiten Musiklehrer z. B. im Kurssystem einsetzen und die Schülerinnen und Schüler hatten alle 14 bzw. 15 Punkte, weil sie – übertrieben gesagt – angeblich gut mitgemacht haben. Das sorgt für Unmut bei den anderen Fachkollegen, vor allem wenn dadurch manch ein Schüler das Abitur bestanden hat, ohne entsprechende Fachkompetenzen. Lehrplanerfüllung und Lehrplanbezug sind dabei noch gar nicht betrachtet worden. Ich hatte das Problem, dass ich gar nicht so viel hospitieren konnte wie ich gefühlt hätte müssen.
Was sind aus Deiner Erfahrung Gründe dafür, dass Kolleginnen und Kollegen, die über alternative Wege an Schulen kommen, scheitern und Deine Schule wieder verlassen?
Falsche Vorstellungen vom Gesamtaufwand unserer Arbeit und damit eine zu geringe Belastbarkeit, siehe auch meine vorherige Antwort.
Was würdest Du anderen Schulleitungen gerne zum Thema sagen? Hast Du Ratschläge, Hinweise oder bestärkende Worte?
Da sind meine Erfahrungen zu gering, aber wir brauchen einen Betreuungsschlüssel, so wie er die letzten zwei Jahren angepasst wurde. Sie nicht mit voller Stundenzahl einzusetzen, hospitieren zu lassen und Betreuungsstunden bereitzustellen, finde ich gut. Nur so haben sie eine Chance, schließlich haben wir nicht umsonst viele Jahre studiert und ein Referendariat gemacht.
Vielen Dank