Eine persönliche Bilanz
Interview mit mir selbst, ein Experiment
Muss es für ein Interview immer zwei Menschen geben? Eigentlich schon. Wie so ein Interview mit sich selbst aussehen kann, das seht ihr hier:
Was in den vergangenen vier Jahren hat dich am meisten bewegt?
Als der Thüringer Landtag entschieden hat, das alle Grundschullehrer:innen, auch die mit DDR-Ausbildung, ab dem 1. August 2021 in die E13/A13 eingruppiert werden sollen. Das war schon ein Moment großer Freude, weil ein jahrelanger Kampf um gleiches Geld für gleiche Arbeit erfolgreich beendet werden konnte. Ja, wir hatten großartige Unterstützung, eine bundesweite Kampagne JA13!, einen Bildungsminister, der sich von Beginn an hinter die Forderung gestellt hat und im Kabinett dafür warb, aber vor allem engagierte Mitglieder, die nicht aufhörten, diese Forderung immer wieder zu erheben.
Besonders herausfordernd und damit auch bewegend, war die Coronapandemie. Bildungsorte waren plötzlich keine sicheren Orte mehr, weder für die Beschäftigten noch für die Kinder und Jugendlichen. Das galt auch für die Hochschulen. Der Kampf um Arbeitsund Gesundheitsschutz, die Suche nach der richtigen Dosierung der Maßnahmen, die vielen Fragen der Mitglieder und die Suche nach Antworten, das war vor allem in der ersten Phase sehr anstrengend. Es war ja auch für uns alle eine neue Situation. Doch ein paar Kolleg:innen haben sich zusammengetan, Informationen gesammeltund auf bereitet, Corona-Mails eingerichtet, damit diese Anfragen besser gefiltert werden können.
Die in den Lockdowns gestiegene Aggression von einigen Teilen der Gesellschaft hat mich lange beschäftigt. Drohanrufe und -E-Mails erreichten die Geschäftsstelle, Anrufe von betroffenen Schulleiter:innen bereiteten mir Sorge. Gewalt ist keine Lösung und Fakten sind keine Meinung. Es gab Zeiten, die waren nur schwer erträglich. Und die Spuren, die diese letzten zwei Jahre hinterlassen haben, sind tief.
Und noch ein bewegender Moment fällt mir ein: Der DGB hat die Maifeiern 2020 absagen müssen und innerhalb kürzester Zeit einen digitalen 1. Mai auf die Beine gestellt. Das war ein großartiger Move, drei dichte, unterhaltsame, spannende, ernste Stunden. Ich habe nicht nur den Livestream geschaut, sondern am gleichen Nachmittag gleich nochmal. Noch heute kann man sich die einzelnen Videos anschauen: www.dgb.de/erster-mai-tag-der-arbeit/alle-talks-alle-kuenstler-die-videos-vom-1-mai
Gibt es etwas, worauf du so richtig stolz bist?
Nein, Stolz ist eine eigenartige Kategorie. Ich bin erleichtert, dass es uns gelungen ist, unsere GEW-Arbeit auch unter diesen Bedingungen weiterzuführen, neue Sitzungsformate kennenzulernen, Vernetzung zu üben. An mancher Stelle haben wir wie viele andere natürlich auch Lehrgeld bezahlt, aber wir haben uns weiter ausprobiert.
Und ganz ehrlich, ich freue mich sehr, dass ich für die neue Mitgliederwerbekampagne die Fotos machen durfte und nun mehrmals im Jahr ein Foto aus meiner Kamera und meiner Bearbeitung auf Großwänden an den Bahnhöfen in Erfurt, Jena und Bad Berka zu sehen ist. Als leidenschaftliche Fotografin ist das schon ein tolles Gefühl.
Was wird dir in Erinnerung bleiben, im Guten wie im Schlechten?
In Erinnerung bleiben wird die letzte Kundgebung vor der Corona Pandemie. Da haben wir die Horterzieher:innen aufgefordert, vor dem Thüringer Landtag für einen höheren Beschäftigungsumfang zu demonstrieren. Es war eiskalt, es war dunkel, aber es waren so viele Menschen da. Zu sehen, wie sie sich organisiert haben, wie auch viele von ihnen etwas zu den anwesenden Politiker:innen gesagt haben, das war ein gutes Zeichen. Und, am Ende ja auch erfolgreich. Corona hat uns immer wieder abverlangt, neue Ideen auszuprobieren. So haben wir in der Tarifrunde 2020 für den Sozial- und Erziehungsdienst eine Play-Mobil-Demo vor dem Erfurter Rathaus durchgeführt. Es erschien uns als gute Lösung, einerseits unsere Kolleg:innen vor der Infektion zu schützen und andererseits mit guten Bildern sichtbar zu machen, um wie viele Kolleg:innen es sich handelt und was ihre Forderungen sind.
Schmerzhaft war der Moment, als meine Vorstandskollegin Bärbel Brockmann sich aus der GEW zurückgezogen hat. Es gibt Menschen, leider auch in der GEW, die tun einem nicht gut. Und wenn dir solch ein Mensch begegnet und du hast zu wenig Kraft, dann kann er dich leider auch kaputt machen. Sie fehlt mir, ihr Wissen, ihre Streitlust. Ich denke häufig, jetzt musst du sie anrufen, sie wüsste Rat. Aber sie ist weg. Und mir ist klar geworden, ich muss mich stärker dafür einsetzen, dass wir eine Organisation werden, die solche Rückzüge vermeiden lernt. Wir wollen uns doch gemeinsam einsetzen und nicht gegeneinander kämpfen.
Was hat in den vier Jahren nicht geklappt?
Ich persönlich, aber auch das Referat Tarif- und Beamtenrecht, hatten uns das Thema Arbeitszeit vorgenommen. Das sollte unser Schwerpunkt sein. War es in gewisser Weise auch, wir haben viele Besprechungen gehabt, mit der damaligen Staatssekretärin auch mal um die Ecke gedacht, aber wir konnten uns letztlich nicht zu dem einen oder anderen konkreten Vorschlag durchringen. Die Wahrscheinlichkeit, dass aufgrund des Personalmangels jede Idee sogleich ad absurdum geführt wird, war so hoch, dass wir uns, so denke ich, einfach nicht getraut haben. Einfach zu sagen: So könnte es gehen, lasst es uns versuchen. Wir hatten wohl Angst vorm Scheitern. Das ist nachvollziehbar, aber leider auch nicht zielführend. Da nicht hartnäckig drangeblieben zu sein, ärgert mich sehr. Nun haben wir allerdings Gewerkschaftstagsbeschlüsse, die uns bestärken. Jetzt geht es darum, uns zu fokussieren und zu entscheiden, womit wir anfangen.
Worauf kannst du verzichten?
Darauf, dass wir eigentlich immer mit einem „Nein!“ aus dem Finanzministerium rechnen müssen. Das war bei den Lehrkräften so, die wir in die E13/A13 heben wollten. Und das ist ganz aktuell bei den Sonderpädagogischen Fachkräften so, dass es schwer wird, sie in die E10 zu heben. Aber auch die Ergebnisse, die wir mit überhundert Bildungsbeteiligten im Dialog Schule 2030 festgeschrieben haben, scheitern voraussichtlich wieder am Geld. Ich kann die Haltung als Nehmerland ja durchaus verstehen, aber Investitionen in Bildung bedeuten immer Zukunftsperspektiven. Es ist wichtig, jetzt Schulsozialarbeit weiter auszubauen und es ist jetzt auch wichtig, zwei weitere Studienseminare einzurichten, wenn wir genügend Lehrkräfte ausbilden und an die ländlichen Regionen binden wollen. Ich wünschte mir da viel mehr Weitsicht und eine generelle Bereitschaft, in Bildung zu investieren. Nicht nur in Köpfe, sondern tatsächlich in Strukturen, Räume und Zeit.
Was würdest du dir vor vier Jahren gern gesagt haben?
Sei mutiger nach innen, fordere Unterstützung ein, wenn du sie brauchst. Leg nicht alles auf die Goldwaage, das wohl auch. Aber vor allem: Umgib dich mit den Menschen, die bereit sind, den Weg gemeinsam zu gehen, sich dabei gegenseitig beraten und korrigieren, aber immer wertschätzend sind.
Auf welche Frage wusstest du in letzter Zeit keine Antwort?
Auf diese ;)
99096 Erfurt