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Perspektive Jungerzieherin

„Ich hätte mir mehr Praxiserfahrungen gewünscht.“

Interview mit Rebecca Drissen, einer Erzieherin, die vor fünf Jahren in den Beruf gestartet ist und nun eine erste Zwischenbilanz ziehen kann.

Symbolbild - Quelle: Canva Pro

Mit welchen Erwartungen bist Du nach der Ausbildung in den Beruf gestartet?

Ich bin Rebecca, 28 Jahre und seit August 2017 als Erzieherin in meiner nun zweiten Einrichtung tätig. Für mich war ganz klar die erste Priorität, dass ich eine Anstellung in meiner Einrichtung aus dem Berufspraktikum erreichen wollte. Mit meiner Mentorin konnte ich sehr gut zusammenarbeiten, habe viel von ihr gelernt und wollte auch weiterhin alles aufsaugen, was sie mir im Alltag an Wissen zur Erziehung und Förderung der Kinder aber auch der Natur auf unseren Spaziergängen beibrachte. Ich hatte damals eine altershomogene Gruppe im Alter von ca. fünf Jahren und mein nächstes Ziel war, mit ihr gemeinsam die Kinder mit einem guten Gewissen „in die Schule zu bringen“.

Zu dem Zeitpunkt direkt nach der Ausbildung war ich selbst noch in der Findungsphase meines Erwachsenenlebens, musste schauen, dass ich selbst versichert bin, meine erste eigene Wohnung folgte bald und so musste ich auch selbst einkaufen, planen und nebenbei meinen Job als Einsteiger gut meistern. Ich hatte also vor allem die Priorität, dass ich ein festes Einkommen habe und einen Zweijahresvertrag, damit fühlte ich mich damals sehr zufrieden.

Hat Deine Ausbildung Dich gut auf die Praxis bzw. den Bildungsauftrag vorbereitet?

An der medizinischen Fachschule in Saalfeld konnte ich mir ein großes Fachwissen in den verschiedenen Bereichen aneignen. Ich war der letzte Jahrgang, in welchem wir noch in Fächern und nicht in Modulen unterrichtet wurden. Ich weiß nicht, ob das besser oder schlechter ist, ich denke, darüber kann man viel diskutieren. Ich kann gegen die Ausbildung nichts sagen. Ich (und fast meine gesamte Klasse auch) hatten auch den Sozialassistenten vorher schon an dieser Schule absolviert und daher konnten die Lehrer mit uns viele Bereiche dieser Ausbildung bei uns wiederholen und vertiefen. Damals war natürlich alles sehr viel und ich fand gerade das Pauken für Klausuren sehr anstrengend, aber noch heute denke ich an manche Inhalte zurück oder freue mich, wenn ich mich noch grob an Erlerntes erinnere, wenn ich zum Beispiel auf einer Weiterbildung bin.

Allgemein konnte ich mir auch in vielen Fächern wie Bewegung, Musik, Spracherziehung, Kunst, Didaktik usw. Material erarbeiten, welches ich noch heute in meinem Alltag im Kindergarten nutze. Die meiste Zeit meiner Ausbildung habe ich nach „altem Bildungsplan„“ gelernt, diesen fand ich etwas übersichtlicher, als den aktuellen bis 18 Jahre. Aber auch das ist sicherlich Gewöhnungssache und man lernt ja schließlich nie aus. Ich hätte mir jedoch auf die Gesamtzeit verteilt mehr Praxiserfahrungen gewünscht.

Was müsste sich wie verändern bzw. was wären bessere Voraussetzungen, damit der Berufsstart besser gelingt?

Das Anerkennungspraktikum, welches sechs Monate am Ende der Ausbildung andauert, ist eine sehr gute Möglichkeit, um im Berufsalltag Fuß zu fassen. In dieser Zeit kann man all das erlernte Wissen anwenden, bekommt jedoch auch weiterhin Unterstützung durch seine Mentorin. Ich wurde vom gesamten Team meiner Einrichtung sehr gut aufgenommen, und hatte somit eine ganz tolle Praktikumszeit und danach auch einen entspannten Start in das Berufsleben. Ich habe jedoch während meiner Ausbildung leider nur sehr wenige Bereiche als Arbeitsfeld der Erzieherin ausprobiert und kennengelernt. Das lag unter anderem daran, dass ich mir selbst (damals 16- 21 Jahre) die Arbeit mit Jugendlichen nicht zugetraut habe. Heute hätte ich gern noch einmal die Möglichkeit, mich in verschiedenen Praktika auszuprobieren bzw. überlege ich oft, dass ich in meiner Ausbildungszeit offener hätte sein müssen.

Wie wichtig ist Dir in Deiner pädagogischen Arbeit bzw. Praxis im Kindergarten die Herstellung von Schulfähigkeit (sogenannte Vorläuferfähigkeiten)?

Die Schulfähigkeit beginnt für mich (und sicherlich viele weitere Kolleginnen und Kollegen) nicht im letzten Kindergartenjahr. Bereits mit dem ersten Stifthalten im Krippenbereich, dem Zerreißen von Papier, später dem Schneiden und Malbilder ausmalen werden wichtige motorische Fähig- und Fertigkeiten der Kinder erlernt/ausgereift. Durch das Zuordnen von Größen und später dem Zählen und Erkennen von Ziffern wird der Grundstein für die mathematische Bildung gelegt. Aber auch das Schließen der Rucksäcke; Zuordnen können, wo der eigene Platz für Jacken und Schuhe ist; das Abläufe bzw. Wege im Haus einhalten; Hände waschen nach dem Toilettengang und Spielen; selbstständiges Aus- und Anziehen; einander Zuhören und miteinander Reden und noch viele weitere Alltagssituationen sind die Fähigkeiten, welche ein Kind erlernen muss, um sich später auf den Lernstoff konzentrieren zu können. Für mich ist es wichtig, den Kindern immer wieder im Alltag und Freispiel durch freie Angebote die Möglichkeiten zu geben, ihre Fertigkeiten auszubauen. Starres „Alle Kinder malen jetzt hier mit diesem grünen Stift diesen Baum aus“ gibt es bei mir nicht. Ich arbeite jedoch gern mit festen Plätzen für die Stiefel, Mützen, Hausschuhe usw. um den Kindern eine gewisse Struktur zu geben. Auch der Schlafplatz und der Sitzplatz am Tisch beim Essen sind bei meinen 2- bis 3-Jährigen festgelegt. Ich möchte ihnen einen festen Rahmen bieten, in welchem sie sich bewegen. In den älteren Gruppen gebe ich dann immer mehr Freiraum, damit ich Freundschaften und Sympathien der Kinder nicht im Weg stehe.

Es kommt also zur Beantwortung der Frage darauf an, wie man Schulfähigkeit definiert bzw. was man hierfür betrachtet. Das Zurechtkommen „im“ eigenen Rucksack, das Wissen, wo muss ich wann meine Jacke ausziehen, wo finde ich sie wieder, wie esse ich mein Mittag, wie steige ich in einen Bus, wie benehme ich mich hier und was ist noch alles im Straßenverkehr zu beachten sind für mich sehr wichtige Dinge. Auch das Erkennen des eigenen Namens auf einem Schild/Aufkleber und das Benennen des Wohnortes sind für mich Dinge, welche ein Schulkind können muss. Jedoch ist es für mich nicht notwendig, dass die Kinder Buchstaben benennen und schreiben oder Zahlen schreiben können. Wer dies aus intrinsischer Motivation heraus machen möchte, wird von mir nicht gebremst, aber ich möchte hier mit meiner Arbeit nicht der des Lehrers vorweg greifen.

Ist der Erzieher:innen-Beruf immer noch Dein Traumberuf?

Ein ganz klares Ja!

Es wäre zwar auch gelogen, wenn ich jetzt sagen würde, dass ich jeden Morgen mit einem „Juhu“ aufstehe, aber ich gehe gern zur Arbeit. Im Allgemeinen ist es auch ein Beruf – zumindest im Kindergarten – mit sehr, sehr guten Arbeitszeiten. Da ist auch der regelmäßige Frühdienst und frühe Wecker gut zu ertragen. Ich liebe es, wenn mir die Kinder entgegen lächeln, mich mit einem „meine Rebecca“-Drücker begrüßen, ich mit ihnen Schritte wie das Trockenwerden gemeistert habe oder aber den Eltern am Nachmittag von der Ausdauer beim Experimentieren berichten kann.

Es gibt jedoch auch Momente, in denen ich mich frage, warum ich nicht etwas anderes gelernt habe. Wenn ich zum Beispiel jeden Tag aufs Neue den Kinder erkläre, dass wir nur ein bisschen einschenken und ich wieder den Tisch vom Tee befreie, mich vor den Eltern rechtfertigen muss, warum ich heute nicht im Garten spiele, sondern bei vielen eh schon kränkelnden Kindern, meiner eigenen Schnupfnase und Nieselregen lieber im Turnraum mit den Kindern den Spätdienst verbringe.

Das sind jedoch Kleinigkeiten und diese werden wieder vergessen, wenn man im nächsten Moment einen selbstgekneten Muffin bekommt und „aber nur so tun“ dazu gesagt wird. Die Freude des Kindes und der Erfolg, dass nun nach dem x-ten Mal Vorzeigen selbstständig eine Kugel als Kirschspitze geschafft hat, sind unbezahlbar.

 

Über mich
Ich bin Rebecca Drissen, 28 Jahre jung und arbeite als Gruppenerzieherin und Stellvertretende Leitung in einer kleinen Einrichtung im ländlichen Raum. In unserem Kindergarten der Gemeinde ist Platz für maximal 60 Kinder. Ich arbeite aktuell bei den 2- bis 3-Jährigen. Meine Ausbildung begann nach der 10. Klasse 2012 mit dem Sozialassistenten und 2014 folgte der Erzieher an derselben Schule. Danach arbeitete ich in meinem Heimatort zwei Jahre ebenfalls in einer altershomogenen Gruppe, jedoch einer ca. doppelt so großen Einrichtung bei einem freien Träger. Als mein Vertrag auslief, bewarb ich mich bei der Nachbargemeinde in der kommunalen Einrichtung, in welcher ich nun seit 2019 arbeite. In meiner Freizeit bin ich viel mit unserem Karnevalsverein unterwegs und engagiere mich ehrenamtlich. Ich glaube, dass man das bei mir auch merkt, denn im Berufsalltag sind Lautstärke und Trubel für mich kein Problem und ich bin immer für Spaß jeglicher Art zu haben. Bei mir wird viel gesungen, teilweise auch mit der Gitarre begleitet und mit den Kindern bastle ich gern oder spiele in unserem großen Garten. betreut werden.

Kontakt
Rebecca Drissen
Gruppenerzieherin und Stellvertretende Leitung