Janine Patz ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Rechtsextremismusforschung, Demokratiebildung und gesellschaftliche Integration der FSU Jena (KomRex). Dort hat sie u. a. zur Demokratiekompetenz in sozialen Berufen und eben auch in der Lehrer*innenausbildung in Thüringen geforscht. Welche Hauptergebnisse hat sie erhalten? Warum ist Selbstwirksamkeit so entscheidend? Was haben die Fachhochschulen den Universitäten dabei voraus? Hier gibt Janine Patz Auskunft.
- Mit dem KomRex haben Sie 2018 die Ergebnisse einer Untersuchung zur Demokratiebildung in Thüringen in sozialen Berufen, inklusive Lehramt, veröffentlicht. Was genau haben Sie untersucht?
Der Frage, welche Rolle Demokratiebildung im Studium sozialer Berufe mit Bildungsauftrag spielt, näherten wir uns aus verschiedenen Perspektiven. Zum einen werteten wir 3.000 Evaluationsbögen diverser Fortbildungen aus und schauten, ob teilnehmende Fachkräfte angaben, das Thema bereits aus dem Studium zu kennen. Zum anderen wurden Vorlesungsverzeichnisse, Modulkataloge der Hochschulen und für das Lehramtsstudium in Jena auch Vorlesungsfolien nach einem für die Demokratiebildung entwickelten Kategoriensystem durchsucht. Ergänzend befragten wir Lehramtsstudierende in Jena, die gerade ihr Praxissemester absolvierten.
- Als These haben Sie ein Defizit im Bereich der Demokratiekompetenz formuliert. Inwiefern hat sich diese These bestätigt und wie schneiden die Lehramtsausbildungen dabei ab?
Die These, dass „Demokratiekompetenz, einschließlich demokratiebildende Konzept- und Methodenkompetenz, nicht als Basis für soziale Berufe verstanden, sondern als „Zusatzqualifikation“ zum Beispiel durch Weiterbildung erworben werden“, entstammt der Voruntersuchung aus 2016. Um Stärken und Schwächen der Demokratiebildung herauszuarbeiten, interviewten wir Expertinnen und Experten in Thüringen. Sie bemängelten unter anderem das Handeln von Fachkräften und gaben uns Anlass, in der Folgeuntersuchung auf die Qualifizierung zu schauen. Alle untersuchten Studiengänge haben Optimierungspotenzial, das größte das Lehramtsstudium, wo pädagogische Themen und entsprechende Methoden einen vergleichsweise geringen Umfang haben.
- Als bedeutend für Demokratielernen beschreiben Sie neben der Demokratieerziehung, die primär im Sozialkundeunterricht stattfindet, Selbstwirksamkeit. Warum ist es so wichtig, dass Schülerinnen und Schüler Demokratie selbst erfahren und wo sollte dies der Fall sein?
Demokratie meint nicht nur eine Herrschaftsform, sondern zuerst eine Kommunikations- und Lebensform, die den gesamten Schulalltag strukturell und inhaltlich betrifft. Die Fragen, wie sich Kinder in ihrer Umwelt erleben, wie sie partizipieren können, welche Rechte sie haben, beginnen nicht erst mit dem Schuleintritt. Erfahrungen sammeln sie ab Tag eins. Alltägliche Prozesse der Kommunikation, Beteiligung und Mitbestimmung, aber auch des Umgangs mit Ungleichheit, Abwertung oder Diskriminierung haben oft stärkere Lerneffekte als Demokratiethemen im Unterricht. Die Vermittlung stellt zudem hohe methodische Anforderungen. Bleibt sie theoretisch oder steht gar im Widerspruch zum eigenen Erleben, kann sie auch zu Demokratiedistanz führen. Bevor wir fragen, wie wir Demokratiethemen zielgruppenorientiert, zum Beispiel für den Unterricht konzipieren, müssen wir Schule für Alle – partizipativ, inklusiv und diskriminierungskritisch – gestalten lernen.
- Sie empfehlen eine grundlegende Auseinandersetzung mit Menschen- bzw. Kinderrechten in allen Ausbildungen sozialer Berufe und für das Lehramt fächerübergreifend. Warum und wie könnte das konkret aussehen?
Professionell Handeln heißt auftragsbezogen agieren. Die Arbeit mit, am, für Menschen ist humanistischen Grundwerten und den Menschenrechten besonders verpflichtet. Im Umgang mit Minderjährigen kommen Kinderrechte und Jugendschutz maßgebend hinzu. Hieraus ergeben sich Handlungsrahmen und Richtlinien wie zum Beispiel Antidiskriminierung oder Inklusion. Letzteres meint dabei nicht die Einbindung von Menschen mit „Behinderung“, wie es teils im Lehramtsstudium als Zusatzaufgabe erscheint. Dass wir die Barrieren der Gesellschaft kategorisieren sollten, stattdessen die der Menschen, z. B. in „Inklusionskinder“ oder solche mit „Migrationshintergrund“, überwinden müssen, ist logische Konsequenz der Menschenrechte. Beispiel Sprache: sie kann eine Barriere für viele sein, für Personen mit Leserechtschreibschwäche, mit anderer Muttersprache, für diejenigen, die nicht hören bzw. Geschriebenes nicht sehen können. Menschenrechtbasiert handeln heißt diskriminierungskritisch gestalten. Da es Teil des Arbeitsauftrages ist, muss ebenso gelernt werden, wie praktikable Methoden. Kinderrechte oder Jugendschutz sind aber nicht immer Ausgangspunkt des Handelns, was gerade die Unsicherheit im Umgang mit Demokratie- und Menschenrechtsgefährdung zeigt. Nicht selten wird ein Eingreifen bei Vorfällen fälschlich an eine Einstufung als „rechtsextrem“ oder gar „verboten“ geknüpft. So wird Diskriminierung schon mal in Folge von „Meinungsfreiheit“ abgetan oder ein falsch verstandenes „Neutralitätsgebot“ herangezogen. Derweil gibt der Arbeits- bzw. Bildungsauftrag klare Positionen vor. Menschen- bzw. Kinderrechte oder Jugendschutz erlauben keine „Neutralität“. Den Ergebnissen anhängend haben wir 10 Punkte für die Optimierung empfohlen. Neben der stärkeren inhaltlichen Verankerung der Demokratiebildung umfassen sie auch strukturelle Veränderungen.
- Inwiefern könnte die Demokratiekompetenz der Lehrkräfte durch die Öffnung und Umgestaltung universitäre Studiengänge verbessert werden?
In Unis dominieren frontale Formate theoretischer Wissensvermittlung. Pädagogik und die Erprobung methodischer Konzepte kommen zu kurz. Die Fachhochschulstudiengänge mit vielfältigen Formaten, von vorurteilsbewusster Bildung bis Supervision, in Kooperation mit Expertinnen und Experten aus der pädagogischen und bildnerischen Praxis, könnten da Vorbild sein.
- Vielen Dank.