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Perspektive der Sonderpädagogischen Fachkräfte

Hauptmerkmal unseres Schulalltags? Der Mangel!

Claudia Rödl ist langjähriges GEW-Mitglied, Leiterin des SPF-Stammtisches, Bezirkspersonalrätin und Koordinierende Sonderpädagogische Fachkraft in einem regionalen Förderzentrum in Thüringen. Sie muss Tag für Tag die Misere der Förderzentren (FöZ) und auch des Gemeinsamen Unterrichts (GU) hautnah miterleben und berichtet hier aus dem Arbeitsalltag der SPF in Thüringen.

Überall fehlen Kolleginnen und Kollegen, dazu erschweren eine durch Corona geprägte Schülerklientel und die schleppenden Digitalisierungsmaßnahmen unseren schulischen Alltag. Wir schaffen es nicht einmal, dass an allen Grund- und Regelschulen in unserem Netzwerk ein Förderpädagoge vor Ort ist. Wir können weder den Unterricht am Förderzentrum noch die Zuweisung für den gemeinsamen Unterricht abdecken und arbeiten dauerhaft am Limit. Dies zieht einen erhöhten Krankenstand nach sich, was die vorhandenen Probleme zusätzlich verschärft. In den letzten Wochen habe ich mich bei vielen Kollegen der Förderzentren umgehört und überall zeigt sich das gleiche Bild: Der Mangel kennzeichnet den Schultag.

In den Förderzentren wird fehlender Fachunterricht durch sonderpädagogische Fördermaßnahmen ersetzt.

Oftmals übernehmen SPFs über einen langen Zeitraum die Klassenleitertätigkeit, die Unterrichtsvertretung und alle anderen Aufgaben fehlender Lehrkräfte. Ein Kollege drückt es passenderweise so aus: „Die großen Lücken in der Stundentafel werden mit uns SPF´s gestopft, ein bisschen umformuliert und somit für die Statistik geschönt.“ Früher konnten wir das, für eine optimale Förderung bewährte, Zweipädagogensystem praktizieren. Heute findet Unterricht und Förderung nahezu durchgehend allein statt, bzw. im Extremfall ein Pädagoge mit zwei Klassen. An Förderschulen eingesetzte SPFs haben inzwischen eine sehr hohe physische und psychische Belastung durch besonders schwere Fälle („Restschüler:innen“). Diese erfordern eine umfangreichere Elternarbeit und aufwendigere interdisziplinäre Netzwerkarbeit. (Therapeut:innen, Heim, Tagesgruppen, Kinder- und Jugendpsychiatrie, Polizei etc.) In vielen Fällen übernehmen die SPF eine Sozialarbeiterrolle, da es diese am FöZ nicht gibt. Auch die Klassenstärken sind nicht mehr reduziert, teilweise sind bis zu 15 Schüler:innen mit Förderbedarf in einer Klasse. Die wichtige individuelle sonderpädagogische Förderung und Begleitung der Kinder und Jugendlichen kann so nicht umgesetzt werden. Nicht nur Corona hat die Lerndefizite in den bildungsärmeren Haushalten immer größer werden lassen, sondern auch die mangelhafte digitale Ausstattung trägt dazu bei, dass die Schere zwischen den Schichten immer größer wird. Hätte man Inklusion ernster genommen, hätte jede Lernsoftware so geschrieben werden müssen, dass sie auch von Schüler:innen mit den verschiedensten Förderbedarfen genutzt werden kann. Wir Förderpädagog:innen suchen die für unsere Schüler:innen passende Programme und Apps, welche eventuell mal irgendwann auf den Tablets oder Computern installiert werden. Und wenn wir ganz viel Glück haben, funktioniert auch mal das W-LAN in einem Klassenraum, so dass die Tablets dann sogar genutzt werden können.

Die Kollegen aus dem GU beschreiben ein ähnliches Bild.

Mit wachsender Sorge wird auch hier der ersatzlose Ausfall und der Mangel an individueller Förderung beklagt. Die Realität der SPF´s im Gemeinsamen Unterricht sieht so aus: In der GU- Schule ist die SPF meist allein und muss somit den kompletten Auftrag der Förderpädagogik erfüllen. Die Gesamtstunden müssen auf zwei verschiedenen Schulen/Schularten aufgeteilt werden. Die Anforderungen an die Sonderpädagogische Fachkraft sind breit gefächert, es wird eine Fachkompetenz in allen Fächern und Förderbedarfen erwartet, weil der Einsatz in Grund- und Regelschulen erfolgt.

Hinzu kommt die Fortschreibung der sonderpädagogischen Gutachten, die Beratung der Lehrer:innen, die Elterngespräche zum Förderplan und vieles vieles mehr. Die Materialien, welche zur individuellen Förderung notwendig wären, sind nicht immer in vollem Umfang an den Schulen vorhanden und werden nicht selten von der SPF mitgebracht oder selbst entwickelt. Viele Kollegen berichten: „Ich bin ausgestattet von der 1. bis zur 10. Klasse, passend zu den unterschiedlichen Fächern und zugeschnitten auf die individuelle Lernbeeinträchtigung des Kindes.“

Weil auch in den GU-Schulen ein ständiger Mangel an Lehrkräften herrscht, wird regelmäßig die Vertretung ganzer Klassen, an Stelle der Förderung gesetzt. Die ohnehin schon benachteiligten Kinder und Jugendlichen werden so immer weiter abgehängt. Die GU- Kollegen berichten: „Dieser Zustand ist keine kurzfristige Durststrecke, sondern hat sich mit den Jahren immer mehr verschlechtert. Meine eigentliche Arbeit bleibt dadurch liegen und die Leidtragenden sind natürlich die Kinder.“

Ein weiteres Problem, welches durch die SPF notdürftig gelöst wird, ist die steigende Anzahl an Kindern nichtdeutscher Herkunft, bei weiterhin chronischem Mangel an DAZ-Lehrer:innen.

Viele parallele Maßnahmen sind dringend notwendig

Um die Arbeitssituation am Förderzentrum und im Gemeinsamen Unterricht zu entspannen und die Förderung wieder in den Mittelpunkt zu rücken, bedarf es einer ganzen Reihe an Maßnahmen. Denn wirkliche Inklusion kann nur funktionieren, wenn die personellen, sächlichen und räumlichen Ausstattungen stimmen.

15 Punkte der GEW gegen den Lehrkräftemangel sind nahezu 1:1 auf SPF übertagbar

Die GEW macht aktuell 15 Vorschläge an die Politik, was jetzt getan werden muss um den Lehrkräftemangel zu bekämpfen. Diese Punkte können nahezu 1:1 auf die SPF übertragen werden. Insbesondere Punkt 4 „Gutes Geld für gute Arbeit“ ist ein besonders brisantes Thema für die SPF, denn schon seit Jahren kämpfen wir für eine Höhergruppierung in die EG 10. Die GEW führt exklusive Gespräche hierzu mit Vertreter:innen des TMBJS.

Als GEW-Beauftragte für die SPF kann ich nur alle meine Kolleg:innen dazu auffordern, sich dem Kampf anzuschließen. Durch eine GEW-Mitgliedschaft stärkt Ihr die Gewerkschaft und durch diese Stärke haben wir bessere Möglichkeiten am Verhandlungstisch.

Kontakt
Claudia Rödl
Sonderpädagogische Fachkraft am Staatlichen Förderzentrum "Marianne Frostig" in Dorndorf