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Fachkräftegebot

Gute Bildung kostet Geld! Die Debatte um Assistenzkräfte in Kitas

Mit einem Rundschreiben informierte das Bildungsministerium im Oktober die Träger von Kindertages-einrichtungen darüber, dass – zunächst befristet bis 2023 – der Einsatz von Sozialassistent*innen und Kinderpfleger*innen möglich ist und bis zu 10 Prozent des Personalschlüssels umfassen darf. Die GEW Thürin-gen wiederum reagierte mit Schreiben an den Bildungsminister Helmut Holter sowie an die Abgeordneten des Thüringer Landtags. Unser Vorwurf: das Thüringer Kindergartengesetz ermöglicht rein formal den Einsatz von Assistenzen nur zusätzlich zum bewilligten Personalschlüssel. Es bedürfte demnach einer Änderung des Kin-dergartengesetzes um Assistenzkräfte in dem Maße einzusetzen, wie es sich das Ministerium gerade vorstellt.

Symbolbild - Quelle: Canva Pro

Das ist die formale Seite. Was das Fachkräftegebot aber für die Bildungsqualität bedeutet, wollen wir mit einem

Auftaktimpuls von Bettina Löbl – Leiterin der Arbeitsgruppe „Kita und Kita-Leiter*innen“

näher beleuchten:

„Wir teilen gemeinsam die Auffassung, dass unsere Thüringer Kindergärten als Bildungseinrichtungen sehr gute Arbeit leisten und dabei jede Unterstützung verdienen. Das Thüringer Kindergartengesetz enthält ein dem SGB VIII entsprechendes Fachkräftegebot. Zugleich weisen bundesweite Studien – insbesondere die Bertelsmann Studie – immer wieder darauf hin, dass der Personalschlüssel des Thüringer Kindergartengesetzes völlig unzureichend ist. Dies sowohl vor dem Hintergrund international anerkannter fachlicher Standards als auch im bundesweiten Vergleich.

Das sogenannte „Gute Kita Gesetz“ der Bundesregierung verbunden mit der Bundesförderung hatte die primäre Intention der Qualitätsverbesserung insbesondere im Hinblick auf eine bessere Personalausstattung mit Fachkräften im Bereich der frühkindlichen Förderung. Der Thüringer Landtag hat sich mit seiner Novellierung des Kindergartengesetzes entschlossen, dieser Intention nur in geringem Umfang nachzukommen und stattdessen den Schwerpunkt des Einsatzes der zusätzlichen Bundesmittel auf die Gebührenbefreiung zu legen. Zugleich haben die Landesregierung und die sie tragenden Fraktionen des Thüringer Landtages in der Debatte im Landtag und den öffentlichen Diskussionen signalisiert, zukünftig dafür zu sorgen, den Personalschlüssel mit qualifizierten Fachkräften auf dem Qualifikationsniveau der Erzieher*innen absehbar mindestens auf den bundesdeutschen Durchschnitt zu verbessern.

Ausnutzung der Pandemie: Abbau von Qualität statt Zuwachs

Mit der aktuellen Verordnung zum Einsatz von Assistenzkräften anstelle von Fachkräften – nicht etwa zusätzlich zu Fachkräften! – werden all diese Absichtserklärungen und gesetzlichen Intention des Bundesgesetzes samt der Debatten im Zusammenhang mit der Novellierung des Thüringer Kindergartengesetzes in das Gegenteil verkehrt. Die Herausforderungen der Corona Pandemie werden genutzt, um Qualitätsstandards in den Kitas abzubauen und eine jahrzehntelange unterlassene bzw. fehlgesteuerte Personalentwicklung zu kaschieren.

Wir alle kennen den Personalmangel und wissen von unbesetzten Erzieher*innenstellen. In der gemeinsam mit der Universität Jena und unserer Schwestergewerkschaft ver.di am 27. April 2020 veröffentlichten Studie zur Fachkräftesituation in Thüringer Kindertageseinrichtungen haben wir Analyse und Ausblick samt möglicher Handlungsstrategien vorgelegt. Wir sind daher an der Seite derer, die sich um Unterstützung der Kindergärten bemühen und zusätzliches Personal zu akquirieren suchen. Dies kann allerdings nur gelingen, wenn sich die Arbeitsbedingungen einschließlich der Ausbildungsbedingungen für das pädagogische Personal erheblich und schnell verbessern.

Bessere Ausbildungs- und Arbeitsbedingungen, schließlich ist man „systemrelevant“

Die frühkindliche Förderung ist nicht nur in Zeiten von Corona „systemrelevant“. Darin sind sich offensichtlich nahezu alle politischen Kräfte gemeinsam mit uns einig. Ebenso wie im Bereich der Pflege genügt allerdings auch hier weder klatschen noch der im Nirgendwo verhallende Ruf nach unverbindlicher gesamtgesellschaftlicher Verantwortung und Anerkennung.

Anerkennung im Arbeitsleben wird maßgeblich definiert durch gute, tarifrechtlich geregelte Ausbildungs- und Arbeitsbedingungen. Die Realität für Erzieherinnen und Erzieher in Thüringen sieht auch 30 Jahre nach der Wende so aus, dass die Pädagoginnen und Pädagogen nach einer überlangen Ausbildung – weitgehend ohne jede Vergütung, stattdessen oft mit zu zahlendem Schulgeld – ein Berufsfeld vorfinden mit unsicheren Arbeitszeiten – finanzierungsbedingt oft variable Teilzeiten – Vergütungen (trotz einer ihm SGB VIII geregelten öffentlichen Aufgabe mit garantierten Rechtsanspruch für Eltern) weit überwiegend unterhalb des öffentlichen Dienstes und oft ohne Tarifverträge und einer Personalausstattung, die regelmäßig nicht nur im bundesweiten Vergleich als ungenügend kritisiert wird. Ein Arbeitsfeld, bei dem jahrzehntelang bis zum heutigen Tag das Subsidiaritätsgebot des SGB VIII anstelle der gesetzlichen Intention des SGB VIII nach unterschiedlichen Wertvorstellungen und pädagogischen Konzepten sowie Trägervielfalt stattdessen geprägt ist durch ein klammheimliches „Schlechterstellungsgebot“ gegenüber den kommunalen Trägern. Dies ist allzu oft die vorrangige Motivation für die Trägervergabe, nur dürftig kaschiert durch Berufung auf das SGB VIII. Verantwortet von und durch die Kommunen als zu-ständige öffentliche Träger, oft willig vollzogen von freien Trägern, geduldet vom Landesgesetzgeber – angesichts der Kostenstruktur immer zu Lasten der Beschäftigten.

Die zwangsläufige Folge ist ein seit Jahren absehbarer, zunehmen-der und von den öffentlichen Trägern selbst verantworteter Fachkräftemangel. Dem kann nur mit einer umgehenden Verbesserung von Ausbildungs- und Arbeitsbedingungen abgeholfen werden. Nach unserer festen Überzeugung maßgeblich mit Ausbildungs- und Arbeitsbedingungen auf dem Niveau – besser unter Anwendung – des TVÖD und einem schnellstmöglich erheblich verbesserten Personaleinsatz von Fachkräften.

Unbesehen der spezifischen Herausforderungen im Zusammenhang mit Corona bietet die demographische Entwicklung jungen, motivierten und gut qualifizierten Menschen absehbar vielfältige Möglichkeiten bei der Berufswahl. Dies nicht nur in Thüringen, sondern auch außerhalb von Thüringen. Sie werden diese Auswahlmöglichkeiten zu nutzen wissen – auch für den Fall, sich für den Beruf des Erziehers oder der Erzieherin zu entscheiden.

Statt Verbesserung nun Kostenminimierung und Absenkung von Standards

Fachlich und politisch geboten wäre es also, sehr kurzfristig für eine Verbesserung der Ausbildungs- und Arbeitsbedingungen zu sorgen. Das Vorhaben der Landesregierung bzw. des TMBJS zum Ersatz von Fachkräften durch Assistenzkräfte nutzt stattdessen die durch die öffentlichen Träger selbst verursachte Personalmisere zur Kostenminimierung und Absenkung von Qualitätsstandards. Es bietet keine Lösung, sondern verschärft absehbar den Fachkräftemangel, mindert die Qualität der frühkindlichen Förderung oder verlangt vom verbleibenden Fachkräftepersonal zusätzliche Anstrengung.

Der seit langen spürbare Personalmangel wird während der aktuellen Pandemie durch erhöhten Aufwand bei der Umsetzung der nun-mehr erforderlichen Hygienekonzepte noch einmal mehr sichtbar, insbesondere dann, wenn pädagogisches Fachpersonal in Quarantäne, Krankheit und/oder Urlaub ist bzw. ausfällt, weil es zu Risikogruppen gehört. Deshalb fordern die Träger zu Recht den Einsatz von zusätzlichem Personal. Sie gehen aber von einer 100 Prozentquote pädagogischer Fachkräfte und zusätzlichem Personal in Höhe von 10 % aus. Mit der durch das Rundschreiben ermöglichten Einstellung von Assistenzkräften und durch die Anrechnung auf den Betreuungsschlüssel werden diese jedoch inkludiert, d. h. aus 100 + 10 % werden 90 + 10 %. Es wird demnach keine einzige zusätzliche Stelle geschaffen, also für mehr Unterstützung gesorgt, sondern nur bereits vorhandene Lücken gestopft mit der Preisgabe des Qualitätsanspruches.

Sparen ist die falsche Strategie

Das Land Thüringen ist zurecht stolz auf das im Sinne des SGB VIII stehende und bisher praktizierte Fachkräftegebot des ThürKitaG. Lassen wir nicht zu, dass es aufgeweicht wird und schützen wir die wertvolle Arbeit und Ausbildung der staatlich anerkannten Erzieher*in und deren bereits jetzt als gleichwertig anerkannten Berufsabschlüsse. Gute Bildung kostet Geld. Hier und jetzt zu sparen ist ein fatales Signal, konterkariert alle politischen Versprechungen und fachlichen Diskussionen anlässlich der Novellierung des ThürKigaG und verschärft absehbar die Fachkräftemisere.“


Die Debatte ist eröffnet!

Wir freuen uns auf zahlreiche Lesebriefe für diese Zeitung oder persönliche Nachrichten an:

ag-kita(at)gew-thueringen(dot)de.