Eine erste Bilanz
Gut, dass es Diversitätsbeauftragte gibt!
Mit der Novelle des Thüringer Hochschulgesetzes 2018 sind Diversitätsbeauftragte an Hochschulen eingeführt worden. Inzwischen sind diese auf Vorschlag der jeweiligen Präsidenten vom Senat in der Regel für drei Jahre gewählt worden. Nützen sie etwas, oder stellen sie nur ein Pöstchen mehr dar, um dass sich Professor*innen reißen, weil es Freistellungen gibt?
Eine kleine Chronologie
Sommer 2014, Podiumsdiskussion an des Universität Erfurt: Ein*e Lehramtsstudierende*r (und GEW-Mitglied) beklagt, von einem Professor wegen der sexuellen Orientierung diskriminiert worden zu sein und – was die Situation noch verschlimmert habe – nicht zu wissen, wer in solchen Fällen die kompetente Ansprechperson
an der Hochschule ist, die einschreiten kann. Die allgemeine Betroffenheit im Plenum wird gebrochen von der Gleichstellungsbeauftragten, die äußerte, mensch* hätte sich doch an sie wenden können. Allerdings ist niemand anders als sie auf diese Idee gekommen, dass sie für solche Fragen zuständig sein könnte. Schnell wird man sich in der Diskussion einig, dass es eine allen bekannte Stelle geben muss, an die sich alle Mitglieder und Angehörigen einer Hochschule im Falle von Diskriminierung wenden können. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) gilt nämlich nur für die Beschäftigten der Hochschule, nicht aber für Studierende und Angehörige der Hochschule.
Herbst 2015, Fachkonferenz „Gute Arbeit an Thüringer Hochschulen“ der LINKE-Fraktion im Thüringer Landtag. Ich stelle ein Positionspapier der GEW Thüringen vor, in dem Beauftragte für Diversität an Hochschulen gefordert werden: „Der Senat wählt für eine Amtszeit von in der Regel drei Jahren einen Beauftragten für Diversität. Er wirkt bei der Planung und Organisation der Arbeits-, Lehr- und Studienbedingungen mit und setzt sich für die Beseitigung bestehender Nachteile und von Diskriminierung ein. Der Beauftragte für Diversität hat das Recht, die für seine Aufgabenwahrnehmung notwendigen und sachdienlichen Informationen von den Organen und Gremien der Hochschule einzuholen und mit Antrags- und Rederecht an den Sitzungen der Organe teilzunehmen. Der Beauftragte für Diversität ist zur Erfüllung seiner Aufgaben von seinen sonstigen Dienstpflichten angemessen zu befreien.“
Frühsommer 2018: der Thüringer Landtag beschließt die Novelle des Thüringer Hochschulgesetzes. Es sieht in § 7 Diversitätsbeauftragte an allen Hochschulen vor. Diese sollen dazu beitragen, „dass alle Mitglieder und Angehörigen unabhängig von der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters, der geschlechtlichen Identität oder der sexuellen Orientierung gleichberechtigt an der Forschung, der Lehre, dem Studium und der Weiterbildung im Rahmen ihrer Aufgaben, Rechte und Pflichten innerhalb der Hochschule teilhaben können“; außerdem vertreten sie „insbesondere die Belange von Studierenden mit Behinderung, einer psychischen oder einer chronischen Erkrankung“.
In der Institution der Diversitätsbeauftragten steckt also ganz viel GEW.
Nur dass wir in unserem Positionspapier angeregt haben, eine Ausweitung des Gleichstellungsauftrags auf einen allgemeinen Antidiskriminierungs- und Diversityauftrag zu überlegen, ohne dass die berechtigten Gleichstellungsforderungen untergehen sollen. Der Gesetzgeber jedoch beließ den Gleichstellungsauftrag unabhängig von Diversität bestehen und führte letzteren stattdessen mit den Belangen behinderter Studierender zusammen. Außerdem haben die Diversitätsbeauftragten nicht die gleichen Rechte wie die Gleichstellungsbeauftragten – beispielsweise fehlen ihnen rechtlich verbürgte Einspruchsmöglichkeiten. Versuche einzelner Hochschulen,
in ihren Grundordnungen über das Gesetz hinauszugehen und freiwillig Einspruchsmöglichkeiten an der Hochschule einzuführen, wurden vom TMWWDG sogar blockiert.
Inzwischen müssten alle Thüringer Hochschulen Diversitätsbeauftragte bestellt haben. Sie beginnen jetzt, sich zu vernetzen und ihre Aufgabenbereiche zu definieren. Wie die konkrete Ausgestaltung der Tätigkeit aussehen soll, muss nämlich jede Hochschule aufgrund fehlender Vorgaben für sich selbst entscheiden.
Und was haben wir davon?
Drei konkrete Beispiele aus meiner alltäglichen Berufspraxis an der Hochschule Nordhausen:
- Ein Student wird außerhalb des Campus Opfer einer – offenkundig rassistisch motivierten – Gewalttat. Wenige Tage später wendet er sich aus dem Krankenhaus an mich mit der Bitte um Hilfe. Ich informiere Hochschulleitung und den Diversitätsbeauftragten. Der Diversitätsbeauftragte nimmt sich des Vorfalls an und steht dem Studenten beratend zur Seite, insbesondere indem er verschiedene Handlungsoptionen aufzeigt und auf Unterstützungsangebote hinweist. Gleichzeitig versucht er auf die Hochschulleitung hinzuwirken, in diesem Fall aktiv zu werden und zeigt ihr Handlungsoptionen gegenüber dem Täter – ein anderer Student – auf.
- Eine Studentin beschwert sich, dass eine Mitarbeiterin der Hochschule sich in einer an sie gerichteten E-Mail verächtlich gegenüber einer Gruppe internationaler Studierender geäußert hat. Die Beschwerde erreicht den Diversitätsbeauftragten, der sich dieses Vorfalls annimmt und gegenüber der Hochschulleitung – im Zusammenhang mit anderen Schilderungen, die ihn erreichten - versucht deutlich zu machen, dass es ein Problem mit Alltagsrassismus unter den Mitgliedern der Hochschule gibt
Es sind nur zwei zufällige Beispiele, die sich an jeder der 10 Thüringer Hochschulen abgespielt haben können. Offen sind noch die Konsequenzen.
Beim dritten Beispiel ist dank der Intervention des Diversitätsbeauftragten schnell eine Lösung gefunden worden:
- Das International Office führt in wöchentlichem Rhythmus Informationsveranstaltungen zu „Studium und Praktikum international“ durch. Jedoch ist das Gebäude, in dem das International Office und der entsprechende Seminarraum untergebracht sind, nicht barrierefrei erreichbar, weshalb sich eine Studentin – selber Rollstuhlfahrerin – beschwert und vorschlägt, diese Veranstaltungen in einem anderen, barrierefrei zugänglichen, Gebäude durchzuführen.
Das International Office antwortet, dass es bei angemeldetem Bedarf sofort auf einen anderen Raum ausweichen würde und bei den Einladungen zu den Veranstaltungen darauf hinweisen wird, dass der Raum nicht barrierefrei zugänglich ist und bei Bedarf die Veranstaltung kurzfristig verlegt werden kann. Diese Antwort stellt die Studentin nicht zufrieden und sie schaltet den Diversitätsbeauftragten ein. Dieser stellt dar, dass das International Office lediglich „angemessene Vorkehrungen“ trifft, aber keine Barrierefreiheit schafft, was einer inklusiven Hochschule angemessen wäre. Es geht nämlich darum, „Barrieren in einer Vielzahl von Fällen zu vermeiden, während angemessene Vorkehrungen darauf ausgerichtet sind, Barrieren „nur“ in einem Einzelfall zu überwinden und erkennbare situative Hindernisse nur in Bezug auf eine bestimmte Person aus dem Weg zu räumen.“ Die Lösung ist schnell gefunden: ab sofort führt das International Office die Veranstaltungsreihe in einem barrierefrei zugänglichen Raum durch.
Die aufgeführten Beispiele zeigen, dass Mitglieder der Hochschule sich bei diskriminierenden Vorfällen nicht mehr fühlen müssen als würden sie alleine gelassen. Es gibt eine Instanz, die sich darum kümmert.
Was kann besser werden?
Natürlich muss das noch besser institutionalisiert und kommuniziert werden, bspw. in Form einer verbindlichen Meldekette, die zu schnellem Handeln führt. Dabei sollte auch die Information von übergeordneten Instanzen, bspw. der Landesantidiskriminierungsstelle bei der Staatskanzlei, mitgedacht werden. Voraussetzung dafür ist neben einem entschlossenen Handeln der Diversitätsbeauftragten die entsprechende Sensibilisierung aller Mitglieder der Hochschule, damit sie bei derartigen Vorfällen angemessen reagieren.
Darüber hinaus ist zu überlegen, ob es nicht wichtig wäre, dass jede Bildungseinrichtung – und nicht nur die Hochschulen – ihren eigenen Diversitätsbeauftragten hat.
99096 Erfurt