Interview
Fragen an eine Seiteneinsteigerin, die aus guten Gründen keine mehr ist
Noch im Juni 2021 druckten wir ein Interview mit einer damaligen Seiteneinsteigerin in unserer Mitgliederzeitung ab, aber schon wenige Wochen später beendete sie ihre Tätigkeit an einer Thüringer Regelschule. Grund genug, nach den Gründen für den Ausstieg zu fragen. Vorweg: Es ist wenig überraschend, aber eben bezeichnend.
Du warst ein Schuljahr als Seiteneinsteigerin im Thüringer Schuldienst tätig. Was war damals Deine Motivation, Dich noch einmal beruflich umzuorientieren und im Thüringer Schuldienst als Lehrerin anzufangen?
Ich hatte in verschiedenen Tätigkeiten auch immer schon mit Jugendlichen zu tun, zum Beispiel Stützunterricht in der Berufsvorbereitung oder Prüfungsvorbereitung für Bürokaufleute. Dort habe ich gemerkt, dass mir das sehr viel Spaß macht. Da wuchs der Wunsch, das nochmal richtig zu anzupacken und mich weiter zu qualifizieren. So habe ich dann als Seiteneinsteigerin an einer Regelschule begonnen, habe mich aber berufsbegleitend gleichzeitig für das Schulfach Mathematik an der Uni Erfurt mit einem Zertifikatsstudium nachqualifiziert, denn das war die Voraussetzung, um dauerhaft im Schuldienst arbeiten zu können.
Du arbeitest nun nicht mehr im Schuldienst und bist seit 2021 wieder in einem anderen Beruf tätig. Was waren die Hauptgründe für den Ausstieg?
Ich bin in dem einen Schuljahr wirklich an meine Belastungsgrenze gegangen. Ich habe gemerkt, was dieser Beruf für enorme Kräfte benötigt, was man alles mitbringen muss und was alles dazu gehört. Das war mir im Vorfeld nicht alles so bewusst. Ich finde zwar den Beruf nach wie vor toll, aber die Rahmenbedingungen, die ich kennen gelernt habe, waren unterm Strich der Grund, warum ich das nicht weiter machen wollte.
Das waren zum einen die sehr extremen Verhaltensauffälligkeiten von Schülerinnen und Schülern, mit denen ich nicht zurecht kam. Da hat mir einfach das Werkzeug gefehlt, damit umzugehen. Und zum anderen gab es extreme Niveauunterschiede. Ich hatte gerade im Fach Mathematik in der 5. Klasse Schülerinnen und Schüler, die auf dem Niveau der zweiten oder dritten Klasse waren – und zwar nicht nur zwei oder drei, sondern viele. Und es gab aber auch diejenigen, die eigentlich locker aufs Gymnasium hätten gehen können. Und damit allein in einer Klasse mit 26 Schülern umzugehen, das ist mir nicht gelungen. Da hat mir einfach das Rüstzeug gefehlt.
Ich bin auch vom ersten Tag an sofort ins kalte Wasser gestoßen worden. Ich hatte überhaupt keine Vorbereitung, was es jetzt ja gibt. Bei mir fing der Vorbereitungskurs erst im April an, ich hatte aber schon im August des Vorjahres an der Schule angefangen und war also mehr als ein halbes Jahr unvorbereitet in schwierigen Lerngruppen.
Würdest Du sagen, dass ein solcher Vorabkurs Dir deutlich geholfen hätte?
Ja, denn der Kurs, als ich ihn dann hatte, war schon sehr hilfreich. Das wäre am Anfang natürlich viel besser gewesen, daneben hätte ich aber auch deutlich mehr Zeit für Hospitationen benötigt. Diese Zeit hatte ich einfach nicht, weil ich sehr, sehr viel Zeit für die Unterrichtsvorbereitung benötigt habe und für den Rest dann einfach keine Zeit blieb. Ich habe auf Anraten auch zunächst nur mit einem Teilzeitvertrag mit 80 % begonnen und habe von der Schulleitung dann sogar noch ein paar Stunden weniger eingeteilt bekommen. Es waren 15 Unterrichtsstunden, aber die eben auch vom ersten Tag an. Der Schulleitung war es bewusst, dass es mit mehr Stunden für einen Anfänger unmöglich gewesen wäre.
Das Problem der Niveauunterschiede hat wohl annähernd jede Lehrkraft, vermutlich öfter an der Regelschule als am Gymnasium, aber eben doch überall vorhanden. Was wäre aus Deiner heutigen Sicht eine optimale Klassengröße, in der binnendifferenzierter Unterricht auch möglich wäre?
Ich würde sagen, mit der Hälfte von den 26 Schülern, die ich hatte, wäre es gut machbar gewesen. Das kann ich auch aus tatsächlich erlebter praktischer Erfahrung heraus sagen, weil in Coronazeiten teilweise nur die Hälfte anwesend war. Und das war dann ein ganz anderes, ein viel besseres Arbeiten.
Wie würdest Du die Anteile von strukturellen Gründen, Problemen vor Ort und persönlicher Eignung gewichten, die für Deinen Ausstieg aus dem Schuldienst maßgeblich waren? Die Akzeptanz in der Schule war wirklich sehr gut. Ich wurde super aufgenommen und habe Unterstützung von den Kolleginnen und Kollegen bekommen. Ich muss natürlich auch selbstkritisch sein und habe mich vermutlich auch selbst überschätzt, da denke ich, dass das bestimmt ein Drittel ausmacht.
Aber zwei Drittel sehe ich bei den Rahmenbedingungen und damit meine ich zu große Klassen, extreme Niveauunterschiede und Verhaltensauffälligkeiten und die fehlende Vorbereitung. Das wären auch die Dinge, die ich zukünftigen Seiteneinsteigern nicht wünsche bzw. die unbedingt verbessert werden müssten.
Könntest Du Dir vorstellen, wieder in den Schuldienst zurückzukehren und wenn ja unter welchen Voraussetzungen?
Ich würde es nicht ganz ausschließen, weil ich den Beruf nach wie vor als einen ganz tollen Beruf ansehe. Ich arbeite jetzt auch weiter mit Jugendlichen und das macht mir wirklich viel Spaß. Die Dinge, die sich ändern müssten, hatte ich schon genannt. Mehr Vorbereitung in didaktischen Fragen, dazu jemand, der am Anfang mit im Unterricht ist – und zwar genau dann, wenn es große Niveauunterschiede gibt, also eher als eine Art Tandem.
Das spricht doch eigentlich für die Ableistung eines Vorbereitungsdienstes, oder?
Mit dem Gedanken habe ich tatsächlich gespielt, aber das scheiterte am finanziellen Aspekt, denn eine Besoldung als Lehramtsanwärterin war in meiner familiären Situation nicht machbar.
Welche Rolle spielten finanzielle Aspekte bei m Ausstieg aus dem Schuldienst?
Es war zwar nicht ein Hauptgrund, aber eben auch relevant, so dass ich nach dem Jahr die Tätigkeit als Lehrerin beendet habe. Vorherige Berufsjahre mit Jugendlichen wurden nicht anerkannt, so dass ich mit den 80 % Teilzeit und einer Erfahrungsstufe 1 in der E 11 deutlich weniger Geld als in meiner Anstellung davor hatte. Und als ich beschloss zu gehen, bekam ich auch noch das Angebot, an einer Berufsschule zu arbeiten. Dort wiederum hätte man mir dieses eine Jahr Regelschule wiederum nicht anerkannt. Man wollte mich wieder mit einer Erfahrungsstufe 1 einstellen, was für ein Irrsinn. Wenn man weiß, wie extrem arbeitsaufwendig diese Arbeit ist, und dann wird es für einen persönlich finanziell schlechter, dann war es nicht weit zur Überlegung, ob es das wirklich wert ist.
Vielen Dank.
Das Interview wurde von Michael Kummer geführt.
99096 Erfurt
