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Rettung in der Not?

Fazit unseres Schwerpunkts Seiteneinstieg

Die Zuschriften, Interviews und verschiedene Beiträge zu unserem Schwerpunktthema „Seiteneinsteiger“ lassen erkennen, dass es durchaus möglich ist, ohne Lehramtsstudium aber mit berufsbegleitender fachlicher und pädagogischer Qualifikation im Schulalltag als Lehrkraft zu bestehen. Aber es wird auch sichtbar, dass keinem Seiteneinsteiger etwas geschenkt wird.

Symbolbild - Quelle: Canva Pro

Der Weg zum Erreichen von notwendigen Abschlüssen, um nicht für immer „Lehrkraft 2. Klasse“ mit gleichen Aufgaben, aber weniger Gehalt zu bleiben, ist sehr herausfordernd und dauert z.T. viele Jahre. Je niedriger die Qualifikation bei der Einstellung in den Schuldienst ist, umso aufwendiger wird es, eine besoldungsrelevante Lehramtsbefähigung für eine bestimmte Schulart zu erlangen. Für manche zu lang z.B. aufgrund des bereits erreichten Lebensalters, für andere zu herausfordernd, sodass nicht alle Möglichkeiten der Qualifizierung in Anspruch genommen oder Maßnahmen abgebrochen werden.

Eine realistische Einschätzung der beruflichen Zukunft ist vor der Unterschrift auf dem Arbeitsvertrag dringend notwendig. Dazu braucht es eine kompetente und einheitliche Beratung durch die Schulämter, welche individuelle Wege aufzeigt, aber auch auf Schwierigkeiten und Grenzen hinweist.

Wiederholt wird in den Zuschriften von Enttäuschung, Überforderung oder Unzufriedenheit aufgrund nicht erfüllter Erwartungen berichtet. Als Schüler:in hat man die Schule aus einer anderen Perspektive und zu einer anderen Zeit, häufig auch in einer anderen Schulart erlebt. Jetzt erfahren die neuen Kolleg:innen, dass Lehrer:in sein viel mehr als Unterrichten bedeutet, dass der Nachmittag und Abend und auch die Ferien mitnichten immer Freizeit sind. Die Gesellschaft hat sich verändert und damit auch Schule. Die individuelle Förderung in sehr heterogenen Schulklassen wird als eine der größten Herausforderungen genannt. Falsche Vorstellungen vom Lehrerberuf müssen vor dem Einstieg korrigiert werden, ein Praktikum zum Kennenlernen von Schule könnte eine Lösung sein.

Besonders schwierig wird die Situation der Seiteneinsteiger:innen, wenn sie sehr schnell mit Klassenleitung beauftragt werden oder zusätzlich zu den Fächern, die aufgrund der Abschlüsse anerkannt wurden, weitere Fächer unterrichten müssen. Obwohl es in der Verwaltungsvorschrift des Schuljahres und in Vereinbarungen zum Personalkonzept festgeschrieben wurde, wie die Einarbeitung für Seiteneinsteigende zu erfolgen hat, hapert es in der Praxis teilweise an der Umsetzung. Hier sind insbesondere die Personalräte in den Schulen in der Verantwortung!

Kolleginn:en, die als fachbegleitende Lehrkräfte beauftragt wurden, berichten, wie zeitaufwendig diese Aufgabe ist. Aber das Engagement zahlt sich aus, wenn die „Neuen“ durchhalten, Schwierigkeiten überwinden und auf Dauer in Schule ankommen und das Kollegium verstärken. Die bereits vorhandenen Erfahrungen aus dem früheren Berufsleben können für die Bildung und Erziehung sehr bereichernd sein.

Nicht immer stimmt die Chemie zwischen den neuen „Ungelernten“ und den erfahrenen Lehrkräften mit lehramtsbezogenem Universitätsabschluss. Nicht überall konnten positive Erfahrungen mit Seiteneinsteigern gemacht werden. Und umgekehrt haben sich auch manche Seiteneinsteigende von den Kollegien nicht angenommen gefühlt. Obwohl Schule dringend auf Seiteneinsteiger angewiesen ist, gibt es auch Kritik am Verfahren der Lehrergewinnung auf diesem Weg. So wird insbesondere darauf verwiesen, dass die Qualität des Unterrichtes durch immer weitere Öffnung der Einstellungsrichtlinie leidet, Schule deprofessionalisiert wird. Den zukünftigen Umgang mit Seiteneinsteigern wird das neue Ministerium zu verantworten haben. Kurzfristig wird sich der Lehrermangel nicht beheben lassen. Bis ausreichend Absolvent:innen eines Lehramtsstudiums zur Verfügung stehen, werden wir nicht nur in Thüringen mit Quer- und Seiteneinsteigern die Lücken füllen müssen. Auf die GEW kommt weiterhin die Aufgabe zu, sich im Interesse unserer Beschäftigten mit allen Mitteln einzubringen, wenn es um die Voraussetzungen für Einstellungen, Anerkennung von Abschlüssen, Beratung, Art und Weise der individuellen Qualifizierung, Unterstützung im Schulalltag und weitere Themen geht. Aber wer ist „die GEW“, die was machen muss? Die GEW sind wir, die Mitglieder, unterstützt von den hauptamtlichen Mitarbeitern der Landesgeschäftsstelle! Und wer kann sich besser und vor allem authentisch für positive Veränderung der Arbeitsbedingungen einsetzen als Betroffene selbst?

Gewerkschaftliche aktive Arbeit von Seiteneinsteigern für Seiteneinsteiger ist notwendig! An unsere derzeit 80 GEW-Mitglieder, welche als Seiteneinsteiger arbeiten, wird in Kürze eine Einladung des Referats für ein erstes zwangloses Treffen in der Landesgeschäftsstelle  gehen.

In unserer Ausgabe kamen auch zwei Erzieher:innen zu Wort. Sie gehören, sofern sie nicht auch unterrichten, nicht zu den Lehrkräften. Deshalb fallen sie nicht unter den Begriff Seiteneinsteiger. Nichtdestotrotz sind inzwischen auch in dieser Berufsgruppe viele Kolleg:innen ohne die Ausbildung „Staatlich anerkannter Erzieher“ im Schuldienst. Probleme beim Ankommen im Schulalltag, bei der Weiterbildung und der Eingruppierung gibt es auch hier. Bei Interesse, sich über spezielle Fragen auszutauschen, bietet sich die Teilnahme an Veranstaltungen unserer AG Hort an!

Auch den Fachpraxislehrern, die schon seit vielen Jahren an Berufsschulen arbeiten, haben wir eine Seite eingeräumt. Diese fallen zwar unter die Definition Lehrkräfte, gehören aber nur zu den Seiteneinsteigern, wenn sie an einer allgemeinbildenden Schule eingestellt sind. Hier werden wir uns als GEW insbesondere für eine gerechtere Eingruppierung einbringen. Auch hier gilt: Wer Veränderungen will, muss sich dafür einsetzen! Gelegenheit sich einzubringen, wird es bei der anstehenden Tarifauseinandersetzung geben.

Kontakt
Kristina Argus
Lehrerin an der Staatlichen Regelschule "Andreas Reyher" in Gotha