Perspektive Wissenschaft II
„Es gibt viele Formen von Rassismus in der Schule“
Prof. Dr. Karim Fereidooni ist Professor für Didaktik der sozialwissenschaftlichen Bildung an der Ruhr-Universität Bochum und forscht schwerpunktmäßig zu den Themen „Rassismuskritik in pädagogischen Institutionen“, „Schulforschung und Politische Bildung in der Migrationsgesellschaft“ sowie „Diversitätssensible Lehrer:innenbildung“.
News4teachers: Sie engagieren sich dafür, dass Rassismuskritik zu einer Professionskompetenz wird. Wozu würde sie Lehrer:innen befähigen?
Fereidooni:
Sie können sich vier Fragen stellen. Die erste lautet: „Was hat Rassismus mir beigebracht, obwohl ich nicht rassistisch sein will?“ Lehrkräfte sollten einfach mal überlegen, welche Kinderlieder sie gesungen und welche Kinderbücher sie gelesen haben. Wie wird bei Oma Ernas 80. Geburtstag über Geflüchtete gesprochen? Über Schwarze* Frauen? Über muslimische Männer? All das gehört zu dem, was wir als rassistisches Wissen bezeichnen. Häufig glauben Lehrkräfte, dass sie frei von Rassismus sind, nur weil sie seit 20 Jahren die Grünen wählen. Das ist jedoch ein Trugschluss. Es geht darum anzuerkennen, dass wir alle ein Stück weit durch rassistische Strukturen geprägt worden sind.
Die zweite Frage lautet: „Was passiert in meinem Arbeitskontext, in meinem Lehrer:innenzimmer, in meinem Klassenraum, das rassismusrelevant ist?“ Wenn sich Lehrkräfte mit Rassismuskritik beschäftigen, indem sie entsprechende Bücher lesen, Workshops besuchen oder kollegiale Fallberatungen mit ihren Kolleg:innen durchführen, dann nehmen sie Situationen wahr, die ihnen vorher vielleicht nicht aufgefallen sind. Sie werden sensibler und schauen genauer hin.
Die dritte Frage lautet: „Inwiefern reproduzieren meine Unterrichtsmaterialien Rassismus?“ Ich berate seit drei Jahren einen großen deutschen Schulbuchverlag, und kürzlich kam der Verlag mit einer Aufgabenstellung auf mich zu: Die Schüler:innen sollten Pro- und Contra-Argumente zum Thema Kolonialisierung finden. Das geht nicht; wenn allein in einem einzigen afrikanischen Staat, im Kongo, zehn Millionen Menschen im Zuge der Kolonialisierung umgebracht wurden, können sie nicht von Schüler:innen verlangen, Pro-Argumente zu finden. Wir müssen über Perspektiven und Perspektivwechsel sprechen. Es ist wichtig, dass Lehrer:innen erkennen, was in Schulbüchern rassistisch ist.
Und die vierte Frage lautet: „Was muss ich als Lehrkraft tun, damit Rassismus in meinem Arbeitskontext weniger vorkommt?“ Dabei ist ein wichtiger Schritt, zunächst einmal anzuerkennen, dass es überhaupt Rassismus gibt. Dazu gehört, es als Lernchance wahrzunehmen, wenn Schüler:innen Kritik üben und zum Beispiel sagen: „Sie sind ein toller Deutschlehrer, aber trotzdem haben Sie letztens was gesagt, das finde ich rassismusrelevant.“
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Der Auszug des Interviews vom 6.6.24 wurde mit freundlicher Genehmigung von News4teachers abgedruckt